Süddeutsche Zeitung

Klimawandel in Bayern:Den Fischen wird es zu warm

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Seit 1980 hat sich die Zahl der Tage, an denen die Temperaturen des Ammersees die 20-Grad-Marke übersteigt, mehr als vervierfacht. Der Uttinger Fischer Bernhard Ernst sorgt sich um die Zukunft der Renken und die Artenvielfalt.

Von Armin Greune, Utting

Die Messwerte lassen aufhorchen: Den Berechnungen von Bernhard Ernst zufolge hat sich die Wasseroberfläche des Ammersees seit 1981 deutlich stärker erwärmt als die Luft. Die Zahl der Tage, an denen die mittlere Wassertemperatur 20 Grad überstieg, hat sich in diesem Zeitraum sogar mehr als vervierfacht. Was vordergründig wie eine erfreuliche Nachricht für Badegäste klingt, versetzt den Vorsitzenden der Fischereigenossenschaft Ammersee in große Sorge. Als Fischer fürchtet Ernst die Folgen der Erwärmung für die Artenzusammensetzung und die Fangerträge im See. Und als Gewässerökologe fordert er dazu auf, der Klimaerwärmung mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln entgegenzuwirken.

Bei einer Tagung im Starnberger Institut für Fischerei war Ernst im vergangenen November auf das Thema aufmerksam geworden. Herwig Stibor, Professor für Aquatische Ökologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, referierte über die Erwärmung des Bodensees und die daraus resultierenden Nährstoffverhältnisse in verschiedenen Wasserschichten. Den Winter hindurch wertete Ernst nun die Daten für den Ammersee aus, wo der Gewässerkundliche Dienst Bayern seit 1980 die Oberflächentemperatur am Auslauf Stegen registriert. Ernst, promovierter Biologe und Spross einer alten Uttinger Fischerdynastie, stellte Überlegungen an, wie sich die Aufheizung des Seewassers auf den Lebensraum auswirkt, der von temperaturbedingten Umwälzungen im Frühjahr und Herbst geprägt ist. "Die regelmäßige Durchmischung ist die Basis für die Vielfalt des Lebens in unseren Seen", erklärt er. Seine Berechnungen und Schlussfolgerungen fasste Ernst in einem Artikel für die Fachzeitschrift "Fischer und Teichwirt" zusammen, der kürzlich erschienen ist.

Bei den im Beitrag "Der Ammersee im Einfluss des Klimawandels" wiedergegebenen Temperaturdaten über vier Jahrzehnte fällt vor allem das enge Zickzack, also die hohe jahreszeitliche Schwankung um mehr als 20 Grad auf. Um einen Trend abzulesen, ist es entscheidend, wie die Kurve rechnerisch geglättet wird. Ernst hat dazu eine lineare Regression der Tagesmittelwerte für die Jahre 1980 bis 2019 verwendet: Die Linie ergibt einen Anstieg der Jahresmitteltemperatur von 9,3 auf 12 Grad. Auf dem 20 Kilometer vom Ammersee entfernten Hohen Peißenberg sind die Jahresdurchschnittswerte im gleichen Zeitraum lediglich von 6,5 auf 7,7 Grad angestiegen, das Oberflächenwasser des Ammersees hat sich also um mehr als doppelt so viel Grad als die Luft erwärmt.

Die Ammer, die dem See etwa drei Viertel des Wassers zuführt, kann dafür alleine kaum verantwortlich sein, findet Ernst. Denn deren Mitteltemperatur hat sich im vergangenen Jahrzehnt bloß um 0,1 Grad erhöht. "Offensichtlich nimmt der See in Folge des klimatischen Wandels weitaus mehr Wärme auf, als die Atmosphäre, die den See umgibt", schlussfolgert er. Der See wirke also als Pufferfläche auf das Umgebungsklima.

Wie eine Nachfrage beim Wasserwirtschaftsamt ergibt, sind die von Ernst zugrundegelegten Aufzeichnungen in Stegen allerdings mit Vorsicht zu genießen. Weil dort die Messstelle 2009 verlegt und in Richtung Seeauslauf gedreht wurde, könnte ein Einfluss auf die Temperaturdaten nicht ausgeschlossen werden.

Ernst aber hat zusätzlich die jährlichen Extremwerte betrachtet: Demnach liegt das Minimum der Tagesmitteltemperatur jetzt um etwa 1,2 Grad über dem vor 40 Jahren. Zwischen 1980 und 2000 war der See noch vier Mal von einer geschlossene Eisdecke bedeckt, seitdem nur noch ein Mal im Jahr 2006. Die Jahreshöchsttemperatur ist seit Anfang der Achtzigerjahre nach Ernsts Berechnungen sogar um 2,5 Grad gestiegen. Auch die absoluten Jahresmaxima des Wasserwirtschaftsamtes geben einen eindeutigen Trend wieder: Von 1981 bis 2000 lagen sie nur zweimal über 25 Grad, seit der Jahrtausendwende wurde dieser Wert nur noch 2007, 2008 und 2014 unterschritten.

Besonderes Augenmerk richtet der Gewässerökologe auf die 20-Grad-Marke: Ab dieser Temperatur wird das Wasser für kälteliebende Fische wie Renken, Seeforellen, Äschen und Lauben (eine Weißfischart) ungemütlich; der Befall mit Bakterien, Parasiten und Viren nimmt laut Ernst zu. Inzwischen werden die 20 Grad in der Regel schon Mitte Juni überschritten, 2017 und 2018 war das sogar schon Ende Mai der Fall, früher als je zuvor. Heuer wiederum dauerte es bis zum 26. Juni, bis die Marke erreicht war. Im langjährigen Trend verlängert sich die Zeitspanne, in der das Wasser mehr als 20 Grad warm ist, beständig: Sie dauerte 1992 erstmals 40 Tage und stellte 2003 mit 71 Tagen einen neuen Rekord auf. 2017 wie 2019 währte die Periode 74 Tage, 2018 sogar 88 Tage, also fast drei Monate. Bereinigt man die Statistik um Ausrutscher, ist die Wärmeperiode seit 1981 von 20 au mehr als 70 Tage angewachsen. So hat es Ernst ermittelt.

Allerdings geben die Daten nur Werte für die oberste Wasserschicht wieder. Und so sah auch Professor Stibor beim Vortrag in Starnberg wenig Anlass zur Beunruhigung. Am Grund eines 80 Meter tiefen Sees herrschten das ganze Jahr vier Grad plus; dafür sorge ja die Physik, da Wasser dieser Temperatur die höchste Dichte aufweise. Die Angst vor einem wärmebedingten Artenschwund in großen Gewässern wie Boden-, Ammer- oder Starnberger See sei aus seiner Sicht unbegründet: "Sie haben genügend Tiefenvolumen, um die warmen Temperaturen auszugleichen."

Ernst teilt diese Sorglosigkeit nicht: Die Erwärmung habe starken Einfluss auf Mikroorganismen, die den größeren Seebewohnern als Nahrung dienen. Eine Vermehrung von oft fälschlich als "Blaualgen" bezeichneten Cyanobakterien, die Temperaturen über 25 Grad bevorzugen, lasse negative Auswirkungen auf den Fischbestand befürchten. Ernst weiß als Praktiker, dass die Renken, "Brotfische" seiner Zunft in den Voralpenseen, im Sommer wegen der Aufheizung aus den nährstoffreichen Oberflächenschichten in die Tiefe abgedrängt werden. Er spricht daher von einer "sommerlichen Hungerphase" für Renken, während andere Arten wie Karpfen, Hecht, Zander und Waller auf höhere Temperaturen zumindest erst einmal mit rascherem Wachstum reagieren.

Vor allem aber verweist er auf die bislang zweimal jährlich stattfindenden Umwälzungen in den Seen, wenn das Wasser an der Oberfläche im zeitigen Frühjahr vier Grad über- oder zu Winterbeginn wieder unterschreitet. Finde wegen der Erwärmung der Austausch zwischen den Schichten nur mehr einmal jährlich im Winter statt oder bleibe in Zukunft sogar ganz aus, "sind gravierende Störungen im Ökosystem und massive Sauerstoffdefizite am Gewässergrund unvermeidbar", so Ernst. Dort aber ist der Laich der Renken auf ausreichend Sauerstoff angewiesen, damit sich die Eier entwickeln können.

Wertvolle Erkenntnisse über die Wärmeschichtung des Ammersee hatte man sich von der Klimamessboje erhofft, die das Landesamt für Umwelt 2011 zu Wasser ließ. 16 Sensoren erfassten mitten im See entlang einer vertikalen Messkette die Temperaturen von 0,5 bis 78 Meter Tiefe; doch die Anlage ist seit vielen Monaten defekt. Nur noch die Oberflächenwerte ließen sich verwenden, der Fehler in der "relativ anfälligen Technik" sei irreparabel, wird eine Nachfrage beim Landesamt beschieden: Mit einer Wiederinbetriebnahme sei nicht zu rechnen.

"Bis eine neue Sonde klimarelevante Daten liefert, sind dann 30 Jahren vergangen", kritisiert Ernst. Wenn gewartet wird, bis dank eindeutiger Messwerte alle Zweifel beseitigt sind, ließe sich die Entwicklung kaum mehr abwenden. Noch sei es nicht zu spät, eine Reduzierung der Treibhausgase anzugehen, meint Ernst: "Der Klimawandel ist nicht eine ferne Bedrohung der Eisbären, er sorgt jetzt und auch hier, direkt vor unserer Haustür für Veränderungen. Warum sollen wir untätig zusehen, bis es zu irreversiblen, schwerwiegenden Schäden im System gekommen ist?"

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SZ vom 14.08.2020
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