Süddeutsche Zeitung

Kulturpolitik:Künstlereingang ins Ministerium

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Bayerns freie Kulturschaffende organisieren sich in einer Interessenvertretung. Unter dem Kürzel SK³ will die "Ständige Konferenz" direkt auf die Politik einwirken.

Von Michael Zirnstein

Wie es dazu kam, dass an diesem Montag Vertreter neun der wichtigsten bayerischen Künstler- und Kreativen-Verbände ihre Unterschrift unter ein epochales Abkommen zur Zusammenarbeit setzen konnten, dazu erzählt man sich gleich mehrere Gründungsmythen. Der Zeitpunkt lässt sich gut eingrenzen: Es war im Frühjahr 2020, der Beginn der Corona-Pandemie. Es ging wohl damit los, dass einige der engagierten Verbandsvorkämpfer wie Walter Heun vom Landesverband für zeitgenössischen Tanz dem Kunstministerium Brandbriefe schrieben. Sie mahnten an, ihre Mitglieder hätten bald einen erhöhten Bedarf an finanzieller Unterstützung. Einen entscheidenden Schritt machte auch die private Initiative "Aufstehen für Kultur", bei deren Demonstration für notleidende Künstler auf dem Münchner Königsplatz im Oktober 2020 sich zwar kaum einer dieser Verbände beteiligte, wohl aber der damalige Kunstminister Bernd Sibler.

Wie sich der Demo-Mitinitiator und Cellist Michael Rupprecht erinnert, versprach der oberste Kunsthüter Bayerns damals, einen Begleitausschuss ins Leben zu rufen. Sibler hatte erkannt, dass er Rat brauchen würde in dieser komplexen Materie der Künstler-Realität in Bayern, und er erkannte bald in den unregelmäßig einberufenen Sitzungen, dass all diese Solisten und Verbandsmenschen den selben Auftrag hatten wie er: die Kunst und Kultur in Bayern zu fördern.

Um die Sitzungen und ihre teils enttäuschenden, in den Fällen von Spielstättenförderung oder einigen Solokreativen-Hilfen aber durchaus ermutigenden Ergebnisse nachzubereiten, trafen sich die Verbandsvorsitzenden weiter zu zahlreichen, "unendlichen Videokonferenzen". So formuliert das jedenfalls Mathias Gibson von der assoziierten Initiative Backstage Heroes. Philipp Ernst vom BLVKK (Kultur- und Kreativwirtschaft) nimmt seinerseits für sich in Anspruch, vor eineinhalb Jahren ein "Symposium" angeregt zu haben. Jedenfalls habe man trotz aller Heterogenität am Ende gemerkt: Wer an einem Strang zieht, kommt weiter.

Die SK³ ist kein Dachverband, es gibt keinen Vorstand, keine pyramidale Struktur

Unabhängig wollen sie trotzdem alle bleiben, und sie wollen kein Feigenblatt der Politik sein. Die Rede vom seit Jahren immer wieder mal erwogenen "Kulturbeirat der Staatsregierung" ist deshalb auch am Montag tabu. Man sehe sich eher als schlagkräftige "Allianz", wie es Judith Seibert vom Verband der Freien Kinder- und Jugendtheater formuliert. Auch ist vom "Netzwerk" oder der Interessenvertretung der freien Kunst- und Kulturszene die Rede, wenn es um das "SK³" geht. Genau gesagt steht das Kürzel für "Ständige Konferenz für Kunst und Kultur in Bayern". Wobei SK auch für "Sonderkommando" stehen könnte, scherzt Christian Schnurer vom Bildendende-Künstler-Verband BBK.

Außer den bereits Genannten haben sich der Ständigen Konferenz auch die Landesvereinigung für Kulturelle Bildung (etwa viele Volkshochschulen), der Tonkünstlerverband, der Schriftstellerverband, der Verband der Freien Darstellenden Künste und der Verband für Popkultur (VP.by) angeschlossen. Man ist überdies offen für weitere Partner, zum Beispiel die Comic-Zeichner; und mit dem großen, politisch traditionell CSU-verbandelten Bayerischen Musikrat ist man "im Austausch".

Die SK³ ist kein Dachverband, es gibt keinen Vorstand, keine pyramidale Struktur, man handele "agil in einer dynamischen Organisationsstruktur". Das heißt, SK³ ist ein Werkzeukasten für einige Zehntausend Einzelkünstler und -kreative und Ensembles, Hunderte Institutionen und somit letztlich auch für die jährlich sieben Millionen Club- und Bühnenbesucher in Bayern, wie VP.by-Rockintendant Bernd Schweinar erklärt. "Epochal" ist für ihn, dass man genreübergreifend "von der Literatur bis zum Heavy Metal" eine Linie gefunden habe.

Man will "mit einer Stimme" kulturpolitisch Stellung beziehen in den Ministerien, in der Verwaltung, bei den Parlamentariern, beim Städtetag und in der Öffentlichkeit; aber Sprecher sei dann jeweils der- oder diejenige, der oder die im jeweiligen Thema die größte Kompetenz besitzt. Bei der ersten Pressekonferenz stellen auch gleich einzelne Partner die Schwerpunkte einer zu erarbeitenden gemeinsamen Kulturagenda vor: Walter Heun (Tanz) fordert eine bessere Wertschätzung der Kulturarbeit, die letztlich zu einer "ausreichenden Budgetierung" führen müsse. Mehr Geld also für neue Fördermodelle; die existierenden sollten zudem entbürokratisiert und modernisiert werden. Jeder einzelne Verband habe dafür Pläne bereits entwickelt.

In enger Zusammenarbeit mit der Künstlersozialkasse soll ein soziales Sicherheitsnetz aufgebaut werden

Bernd Schweinar (Pop und Kleinkunst) verlangt zudem den Erhalt der "elementaren Kulturinfrastruktur", gerade im ländlichen Raum. Jede Schließung einer Spielstätte gefährde die kulturelle Grundversorgung und die Nachwuchsarbeit. "Professionelle Arbeit muss auch professionell bezahlt werden", sagt Andrea Fink vom Tonkünstlerverband. Die SK fordert daher Mindesthonorare gerade bei staatlichen Aufträgen. Fink kündigt den Aufbau eines sozialen Sicherheitsnetzes, auch für die Absicherung im Alter, an, erfolgen soll dies in enger Zusammenarbeit mit der Künstlersozialkasse. Philipp Ernst (Kultur- und Kreativwirtschaft) erklärt, man wolle sein Fachwissen weiterhin den politischen Stellen zur Verfügung stellen, etwa um diese zu beraten, wie Förderanträge künstlernah gestaltet werden können.

Auf dem Podium reicht man dann auch noch eine Depesche aus dem Kunstministerium herum. Der Gründungssitzung vorauseilend hat Kunstminister Markus Blume verkündet, seine drei Millionen Euro schwere Neustart-Hilfe für freie Künstler 2023 fortzuführen. Dieses "Förderpaket Freie Kunst" soll über alle Sparten verteilt werden, zudem sollen "die energiepreisbedingten Mehrkosten" abgepuffert werden, verspricht Blume in dem Schreiben: "Unser Signal ist klar: Wir lassen die Freie Kunst-Szene nicht allein."

Die Botschaft ist bei der SK³ angekommen. Gleichwohl bemerkt Heun: "Drei Millionen sind nur die Fixierung des Status Quo." Die freie Szene als tragende Säule der Kultur benötigt mehr. Auch die bisher aus Verbandsmitteln finanzierte SK³ wird demnächst einen Antrag auf Förderung stellen. Mit anderen Worten: Die frei arbeitenden Kreativen hatten in den vergangenen Monaten schon einen Fuß in der Tür des Ministeriums, jetzt bauen sie sich einen Künstlereingang.

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