Corona-Krise:"Ich sehe, dass die Kultur der große Verlierer dieser Pandemie ist"

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Mit Abstand und Mund-Nasen-Schutz durften testweise mehr Zuschauer in die Staatsoper. Nun läuft das Pilotprojekt aus. (Foto: Wilfried Hösl)

Am Samstag ist in München eine Kundgebung "Aufstehen für Kultur" geplant. Sie wird von prominenten Rednern aus Politik und Wissenschaft unterstützt - auch Kunstminister Sibler will sich erklären.

Von Michael Zirnstein

Hans Maier hat jüngst zwei Kulturveranstaltungen besucht. Der Hobby-Organist ging auf ein Kirchenkonzert in St. Michael und drei Tage später zur Klassikreihe "Rising Stars" ins Utopia. Und, was ist schon dabei?, könnte man sagen. Genau so sieht das Hans Maier auch. Obwohl er als 89-Jähriger Teil der so genannten Risikogruppe in der Corona-Pandemie ist. Gerade in den Konzerten fühlte sich Maier aber sicher: "Das Ensemble spielte mit großem Abstand auf der Bühne, im Publikum saßen 120 Leute mit Masken weit verteilt - ein tolles Musikerlebnis ist auch in dieser Zeit durchaus möglich." Deshalb fragt er sich, warum die bayerische Staatsregierung bei Konzerten, Theatervorstellungen und ähnlichem "so dermaßen vorsichtig" ist.

Seit Monaten dürfen hierzulande nicht mehr als 200 Personen Kulturveranstaltungen in geschlossenen Räumen beiwohnen, während die Menschen in Flugzeugen, U-Bahnen und Restaurants viel dichter beieinander sitzen. "Ich verlange keine Sonderregeln für die Kultur, ich verlange Gleichbehandlung", sagt Maier.

Weil Hans Maier solche Angelegenheiten nicht mehr direkt in der Staatskanzlei regeln kann, wie von 1970 bis 1986, als er - eine Weile unter Franz Josef Strauß - als Kultusminister auch für Kunst und Kultur in Bayern zuständig war, wird er seine Forderung nun an diesem Samstag, zwölf Uhr, laut auf dem Königsplatz stellen.

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(Foto: Florian Peljak)

Münchner Kulturbetriebe in der Corona-Krise: Im Rahmen der deutschlandweiten "Night of Light" haben auch Münchner Einrichtungen mit einer Lichtaktion auf die Gefährdung vieler Kulturakteure aufmerksam gemacht.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Im Backstage fanden nach Lockerungen wieder Konzerte statt - natürlich unter Hygieneauflagen.

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(Foto: Sebastian Gabriel)

Die Aktion "Kulturlieferdienst" verwandelte Münchens autofreie Straßen in Open-Air-Bühnen.

Er war der Erste, den die Bratschistin Veronika Stross um eine Rede gebeten hatte, als sie die Demonstration "Aufstehen für Kultur" auf den Weg brachte. "Ich habe sofort zugesagt. Viele Künstler befinden sich gerade in einer Lebenskrise, es ist sehr verdienstlich, wenn Frau Stross darauf aufmerksam macht und versucht, die vielen einzelnen zu einen", sagt Maier, "denn ich sehe, dass die Kultur der große Verlierer dieser Pandemie ist". So sehen das auch einer seiner Nachfolger im Amt, Wolfgang Heubisch (FDP), und der einstige SPD-Bundes-Kulturminister Julian Nida-Rümelin, die ebenfalls bei der Kundgebung auf dem Königsplatz für die Kultur einstehen werden - ein parteiübergreifendes Triumvirat der erfahrenen Denker und Lenker gegen die ungerecht empfundene Gängelung der Kreativen.

Dabei geht es dem Philosophen und ehemaligen Münchner Kulturreferenten Nida-Rümelin gar nicht um Kritik an amtierenden Politikern, sondern ums Grundsätzliche: "Wie geht die Gesellschaft in der Krise mit der Kultur um?", fragt er. Wie nach dem Zweiten Weltkrieg, als sich Deutschland nach dem Verlust der reichen Kulturwelt eher als "Land der stabilen D-Mark" neudefinierte, verschöben sich auch nun die Gewichte in Richtung Wirtschaft. "Aber Kultur ist nicht verzichtbar", betont Nida-Rümelin. Wenn Künstler, die ohnehin oft dazuverdienen müssen, jetzt in der Not nicht unterstützt werden und nicht mehr vom Gefühl getragen werden, wichtiger Teil einer einzigartigen Kulturnation zu sein, dann würden sie womöglich ganz aufgeben. "Ich befürchte einen schleichenden Aderlass. Meine Sorge ist: Wir wachen nach der Krise auf und sehen, es ist ein Gutteil der kulturellen Substanz verloren gegangen."

Hans Maier

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(Foto: Catherina Hess)

Julian Nida-Rümelin

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(Foto: Robert Haas)

Wolfgang Heubisch

Auch Hans Maier - Verfasser der Schrift "Kultur und Politik" - beobachtet, wie die Krise die Verhältnisse im Land neu ordnet, vor allem im Staatssystem: "Wir sehen ein Lehrstück, wie sich Politik verändert: Es ist die Stunde der Exekutive, die kann schnell entscheiden." Außer eben in der Kultur, wo viele auf wichtige Hilfen und Lockerungen warten. Genau deshalb mache "die Politik die Kultur kaputt", wiederholt Wolfgang Heubisch seit Monaten auf Podiumsdiskussionen. Der kulturpolitische Sprecher der Landtags-FDP meint damit freilich die Corona-Politik von Ministerpräsident Söder. Seine strengen Regeln hauptsächlich für die Live-Kultur würden das Publikum verunsichern und den Veranstaltern das Veranstalten nahezu unmöglich machen. Als Beispiel nennt er das Pilotprojekt in Staatsoper, Philharmonie und Meistersingerhalle, das nun ausläuft.

Der Ausnahmebetrieb mit 500 Gästen unter strengen Hygienebedingungen sei von den besten Wissenschaftlern gründlich untersucht worden, und die Ergebnisse zeigten, dass Hygiene-Konzerte keine Infektionstreiber seien. "Da geht mehr!", sagt Heubisch. Doch Söder verzögere alles, so wie er auch in der Künstlerhilfe auf Zeit spiele: "Diese Hängepartie nutzt niemandem."

Kunstminister Bernd Sibler bittet auf Nachfrage um Verständnis. Kurzfristig hat er sich entschlossen, auch zur Demo zu gehen - nicht als Zuhörer, sondern um sich am Pult zu erklären. Ja, man habe mit dem Pilotprojekt "positive Erfahrungen gemacht", und er setze alles daran, Künstlern zu Auftrittsmöglichkeiten zu verhelfen wie zuletzt bei der Unterstützung des Brunnenhof-Open-Airs. "Andererseits steigen die Zahlen an Infizierten momentan rasant an. Wir müssen als Staatsregierung verantwortungsvoll und umsichtig agieren. Deshalb müssen wir Fragen weiterer Öffnungen immer vor dem Hintergrund des derzeitigen Infektionsgeschehens bewerten."

Auf einer Podiumsdiskussion hatte Sibler dem ihn belehrenden Heubisch zugerufen: "Ja, Wolfgang, du tust dich leicht in der Opposition!" Er müsse das alles im Ministerrat durchbringen. Und da sehen seine Amtsvorgänger, die Sibler beide ausdrücklich loben, das Hauptproblem. Er sei "ziemlich allein", glaubt Maier, in der Staatskanzlei dominierten andere Interessen, und gerade Markus Söder habe "die Kultur als wichtige Aufgabe erst zu spät genannt". Dabei stehe, doziert der emeritierte Politik-Professor, in Artikel 3 der Verfassung: "Bayern ist ein Kulturstaat", und der Staat müsse die kulturelle Überlieferung schützen. "Da muss es in den Ohren der Politiker klingeln." Maier sieht noch Hoffnung, auch bei Söder, den er schätze: "Er ist lernfähig."

© SZ vom 24.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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