Süddeutsche Zeitung

Verkehr in München:Was tut die Stadt für die Sicherheit von Radfahrern?

Lesezeit: 3 min

Von Isabel Bernstein, München

Das weiße Fahrrad lehnt an der Fußgängerampel, klein, aber doch unübersehbar. Hier, wo die Schleißheimer die Moosacher Straße kreuzt, hat ein neunjähriges Mädchen ihr Leben verloren, als ein Lastwagen sie beim Rechtsabbiegen übersah. Im Mai 2018 war das. Nun, ein Jahr später, wird in München erneut ein "Ghost Bike" aufgestellt, diesmal an der Corneliusbrücke in der Isarvorstadt. Auch hier ist ein Kind ums Leben gekommen, und der Unfallhergang erinnert stark an den in Milbertshofen: Ein elfjähriger Junge, der sich auf dem Heimweg von der Schule befand, wollte geradeaus über die Kreuzung radeln, als ihn ein rechtsabbiegender Kieslaster offenbar im toten Winkel übersah und erfasste. Er starb wenig später in einem Krankenhaus.

Die häufigste Ursache für Fahrradunfälle in München ist, dass Autos Radler beim Rechtsabbiegen übersehen. Jede achte Kollision geht darauf zurück. Wenn ein Lastwagen beteiligt ist, enden sie oft tödlich. Der Elfjährige ist in diesem Jahr bereits der dritte Radfahrer, der auf Münchens Straßen ums Leben kam.

Die Stadt hat eine Reihe von Vorschlägen erarbeitet, die ihr bei ihrer "Vision Zero" helfen sollen, also dem Ziel, die Zahl der Verkehrstoten in München auf Null zu reduzieren. Doch Kritiker finden, dass außer kleineren Nachbesserungen bisher wenig Konkretes passiert sei. "Die Stadt könnte deutlich mehr machen", sagt Andreas Groh vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC). Die Stelle, an der der Elfjährige am Montag starb, ist für Groh symptomatisch: Über die Corneliusbrücke führt stadteinwärts ein Fahrradstreifen, der auf Höhe der Ampel endet. Autofahrer können hier nur rechts oder links in die Erhardtstraße abbiegen, Radler aber sehr wohl gerade aus in die Corneliusstraße fahren. Eine Markierung auf dem Boden, die das kenntlich macht? Fehlanzeige. Groh hält der "Vision Zero" seine eigene entgegen, man könnte sie "Vision Rot" nennen: Er will, dass alle Bereiche, wo Autos beim Abbiegen Radspuren kreuzen, rot markiert werden.

Dass die Stadt zu wenig für die Verkehrssicherheit mache, sehen Kreisverwaltungsreferat (KVR) und Polizeipräsidium München anders. Eine klassische Unfallhäufungsstelle sei die Kreuzung Cornelius-/ Erhardtstraße nicht, teilt das KVR mit. Michael Reisch von der Polizei geht noch einen Schritt weiter: Betrachte man die Zahlen, dann "haben wir in München keine gefährlichen Kreuzungen". Von einer solchen sei die Rede, wenn es pro Jahr zu vier Unfällen oder mehr kommt. Selbst die Ecke Schleißheimer/Moosacher Straße, an der die Neunjährige vor einem Jahr starb, galt nach dieser Definition nicht als "gefährliche Kreuzung". Dennoch hat die Stadt einiges getan, um die Stelle zu entschärfen: Die Bushaltestelle wurde versetzt, die immer wieder für Rückstau verantwortlich war, der Radweg rot eingefärbt, auch dürfen Lastwagen nur noch die linke der beiden Rechtsabbiegespuren nutzen, was ihnen einen besseren Blick auf den Fahrbahnrand ermöglichen soll. Erst vom Jahr 2024 an müssen neue Lkw mit einem elektronischen Abbiegeassistenten ausgestattet sein.

Andreas Groh geht in München vieles zu langsam. In diesem Jahr etwa sollen in einem Pilotversuch 100 Trixi-Spiegel an Kreuzungen angebracht werden, sie sollen Lkw-Fahrern an Ampeln die Sicht in den toten Winkel ermöglichen. Der Versuch soll wissenschaftlich begleitet werden, die Ausschreibung dazu in Kürze beginnen. "Wir haben nicht die Zeit für lange Prüfanträge", schimpft Groh. Eine weitere Maßnahme des "Vision Zero"-Pakets der Stadt ist die Erstellung einer digitalen Unfallkarte. Doch auch hier dauert die Umsetzung: Für dieses und nächstes Jahr ist geplant, dass ein Gutachter "die Grundlagen für die detaillierte Analyse der polizeilichen Unfalldaten" vorbereitet, teilt das KVR mit.

Tatenlosigkeit will sich das KVR nicht nachsagen lassen

Groh kritisiert auch, dass die Stadt immer noch zu stark auf Autointeressen fokussiert sei. Aus seiner Sicht gibt es Möglichkeiten, die Sicherheit für Fahrradfahrer in kurzer Zeit zu verbessern: indem man an mehr Kreuzungen getrennte Ampelschaltungen für Autofahrer und Radler anbringt oder Autos zwei Meter mehr Platz zur Ampel halten lässt, damit sie die Radfahrer vor sich haben. Doch das würde natürlich bedeuten, dass weniger Autos pro Grünphase über die Ampel kämen, die Folge: längere Staus. "Aber es ist wichtiger, dass keine Menschen überfahren werden als dass es keine Staus gibt", findet Groh.

Tatenlosigkeit will sich das KVR nicht nachsagen lassen. Es verweist unter anderem auf beidseitig rot eingefärbte Fahrradfurten an der Lindwurmstraße, neue Radstreifen an Impler- und Plinganserstraße oder die Thalkirchner Brücke, die entschärft wurde. Auch sei die Radweglücke an der Bahnunterführung Werinherstraße geschlossen. In diesem Jahr soll die Verkehrssicherheit unter anderem entlang der Brienner Straße zwischen Stiglmaier- und Odeonsplatz sowie der Marsstraße verbessert werden.

Und auch der Unfall des elfjährigen Jungen wird noch analysiert werden. Für diese Woche plant die Unfallkommission einen Ortstermin mit Vertretern des KVR, der Polizei und des Baureferats. Einen solchen hatte es auch nach dem Tod der Neunjährigen vor einem Jahr gegeben. Sie hatte einige Nachbesserungen für eine Kreuzung bewirkt, die laut Definition zwar nicht als gefährlich galt, aber doch einen Toten zu viel hervorgebracht hatte.

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Quelle:
SZ vom 22.05.2019
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