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Kultur in München:Wie es mit der Musical-Bühne im Werksviertel weitergeht

Lesezeit: 4 min

Wo einst Kartoffeln lagerten, beackerte ein Entertainment-Konzern mit "Fack ju Göthe" und "Amelie" den Münchner Musical-Boden. Jetzt wollen die Erben des Pfanni-Konzerns das Werk 7 selbst als bunte Bühne betreiben.

Von Michael Zirnstein, München

Nur wenige Details erinnern daran, dass das alte Kartoffellager vor nicht allzu langer Zeit im Scheinwerferlicht der deutschen Musical-Welt stand. Der rote Teppich am Eingang ist nun grün im Theater Werk 7 wie auch das Logo, so wie das grüne Licht, das hier mal 4600 Tonnen Erdäpfel am Keimen hindern sollte. Erinnerungskultur à la Pfanni. Auf einem Tresen hinten im betongrauen Foyer steht noch ein Restbestand an Fan-Tassen von "Fack ju Göthe - Se Mjusicäl" zum Verkauf, gestaltet von Münchens Graffiti-Guru Loomit.

Mit dem auf diese Halle und die Stadt maßgeschneiderten Filmhit-kommt-auf-die-Bühne-Stück wollte sich der Hamburger Show-Riese Stage Entertainment 2018 ein Standbein in München aufbauen. Nach neun Monaten und 200 Vorstellungen stellte er es auf Nimmerwiedersehen ein. An einer Wand pappt auch noch ein Werbe-Sticker von "Amelie", der Folgenummer. Genauso liebevoll und groß inszeniert, genauso wenig ein Publikumsrenner. So stoppte "Die Stage" im Oktober 2019 ihren zweiten Dauerläufer und verließ München vorerst. Sie hinterließ einen für sechs Millionen Euro vom Knollenspeicher zum Theater tiptop umgebauten Spielraum mit 1500 Quadratmetern Fläche und 700 Sitzen.

Ein Nachmieter für das Werk 7 fand sich nicht. Die Betreiberfamilie des ehemaligen Pfanni-Fabrikgeländes stieg selbst ein. "Das haben wir uns getraut, mitten in der Pandemie", sagt Caroline Eckart noch immer zuversichtlich, "das Werksviertel wird es als Bühne nutzen." Als Geschäftsführerin der Eventfabrik GmbH will sie die Stadtviertel-Baustelle am Ostbahnhof mit "Leben, Freude und Kultur" füllen. Tonhalle, Whitebox und Technikum sind längst als Rock-, Kunst- und Eventräume etabliert, und ja, "das staatliche Konzerthaus kommt!", sagt sie. Die Vielfalt der Kultursparten hier sei ebenso gewünscht wie deren Reibung. Alles im Plan. Das Werk 7 ist nun ein nächster Schritt, denn wie bei der Sommerbühne auf dem Knödelplatz gehen die Pfanni-Erben hier selbst als Veranstalter zu Werke.

Das Theater war da, fehlte noch eine Intendantin - und die war auch schon da: Nellie Krautschneider hatte die Stage für "Fack ju Göthe" als Theaterleiterin nach München mitgebracht. Viertel-Oberhaupt Werner Eckart wollte sie unbedingt halten: "Du passt so gut zu uns." Nach etwas Bedenkzeit fand sie das auch. "Man schwatzt hier mit jedem auf dem Gelände", sagt Krautschneider. Längst fühlt sie sich zu Hause, vor allem in ihrem Theater. Dabei ist es momentan wenig gesellig hier. Eigentlich sollte gerade das prämierte Reeperbahn-Stück "Jana und Janis" für drei Wochen starten, wegen drei Corona-Fällen im Team fällt es jetzt aus.

Krautschneider betritt ihren Saal wie ein Wohnzimmer. Wie die Zuschauer auf dem Weg zu den Sitzschalen steht sie sofort auf der ebenerdigen Bühne. "Eine 180-Grad-Bühne, etwas ganz besonderes", sagt sie. Und das sage sie allen, die hier spielen wollen gleich dazu, und auch, dass es keinen Ober- und keinen Unterbau gebe. "Man kann hier nicht alles spielen. Die Schauspieler müssen nach allen Seiten spielen, nicht nur nach vorne. Das Publikum ist ganz nah." Die Musiker können nicht in einem Orchestergraben versteckt werden, sie agieren sichtbar oben auf der Galerie und werden daher meist ins Geschehen integriert. Die Stücke müssen sich dem Raum anpassen, der Raum spielt eine Hauptrolle.

Beim allerersten Besuch in der Halle sah sie nichts als neun haushohe Säulen: "Wie soll das funktionieren?!" Sie war nicht für den Bau zuständig, aber für die Ausstattung und das Team. Zuvor hatte sie viele Neu-Produktionen wie "Warhorse" oder "Tanz der Vampire" für den Musical-Konzern aufgebaut und zudem bei Sommer-Festivals von Schwäbisch Hall bis Bad Hersfeld immer wieder als Regieassistentin gearbeitet. Dazu war sie dereinst gleich von der Waldorfschule weg im Stuttgarter Theater in der Altstadt ausgebildet worden. Dort habe sie danach zehn Jahre lang immer wieder den "Faust" betreut, was ihr ihre einzige besondere Fähigkeit beschert habe: "Ich kann den ,Faust' auswendig."

Theaterleitung musste sie noch lernen. Bis zu 53 Darsteller und Mitarbeiter auf einmal bekam sie bei "Amelie" in den Griff. Der Backstage-Bereich ist Werk 7 ist ein Upstage oben hinter der Bühne. Man merkt, das ihr das Treiben gerade abgeht, wenn sie durch die vier Garderoben, die enge Schneiderei-Maskenbildnerei und die offene Teeküche führt, und wenn sie bei einem Ausschnitt des von Loomit gesprayten "Fack ju Göthe"-Werbeschildes stehenbleibt. Das wollte sie unbedingt behalten, genauso wie eine profimäßig gebastelte Fan-Banderole "We lav ju" begeisterter Stammgäste. Team-Gäste-Bindung ist ihr wichtig: Dass die Schauspieler nach der Show "runterkommen und hallo sagen, schreibe ich in die Verträge rein".

Jetzt als Intendantin des Werkstheaters kann sie nicht nur den Betrieb managen, sondern auch inhaltlich gestalten. In ihrem kleinen Büro, dem einzigen Zimmer mit Dach für vertrauliche Gespräche, hängt ein Plakat der Western-Parodie "Long John", eines der wenigen Stücke, das hier schon laufen konnte. Sie liebe diese kreative Stuttgarter Freundestruppe, sie habe sich immer gesagt: "Wenn ich mal ein Theater leite, hole ich die. Check!" Ihr Anspruch sei, "Sachen zu unterstützen, bei denen ich gesehen habe, die sind besonders!" Momentan sind das kleine Produktionen, "bei 25 Prozent Auslastung mit 21 Darstellern, das rechnet sich einfach nicht". So machte den Start das Zwei-Personen-Stück "John & Jen". Auch der Comedy-Solo-Dauerbrenner "Caveman" mit ihrem alten Stuttgarter Freund Martin Ludewig war schon hier und kommt auch wieder: "In München läuft er jetzt immer bei uns", sagt sie.

Das nächste Stück wird "Bürobiester" Ende März sein, eine Office-Comedy-Revue mit Songs von Lady Gaga bis Marianne Rosenberg. Das ist vielleicht weniger schlimm, als es sich anhört, denn Regie führt Lukas Nimscheck, der mit seinen Kinder-Hip-Hop-Helden Deine Freunde tolle Shows abliefert. Er schrieb Krautschneider über Facebook an: "Nellie, Freunde finden, wir passen gut zusammen ..." Sie wies ihn an, er möge sich bitte über ihre Arbeits-Mail melden. Danach klappte es prima.

Auch Off-Space für die Staatsoper?

Vernetzung ist alles für Krautschneider. Mit der Stage Entertainment ist sie noch in freundschaftlichem Kontakt, dort würde man sich freuen, wieder im Werk 7 zu spielen, "sollten wir in unserem Portfolio über ein Stück verfügen, das in Zuschnitt, Thema und Charakter den charmanten räumlichen Bedingungen dieses Hauses entspricht". Die Sarree-Kindertheaterschule, auch "Siedler" im Werksviertel, spielen hier bald "Peter Pan". Die Everding-Akademie lädt Krautschneider stets ein. Und beim neuen Staatsoper-Intendant Serge Dorny hat sie das Werk 7 als Off-Space ins Spiel gebracht. Es müsse nicht immer Singsang sein, "Theater-Theater", ihre alte Leidenschaft, wäre auch mal schön, Hauptsache aber Qualität.

"Ich will vier Tage die Woche spielen", sagt sie, "will viele Wechsel" und auch mal raus und mit Theaterspaziergängen das Viertel erforschen und vorstellen. "Ich liebe das, dass die hier so gewillt sind, Kultur zu machen, das ist auch ein Statement im Stadtentwicklungsprozess. Der Werner bringt seine Gäste auch immer bei seinen privaten Führungen hierher, der liebt sein Theater." Angst, dass die alte Kartoffelhalle Wohnungen oder Büros weichen muss, hat Nellie Krautschneider daher nicht. "Und wenn, dann bin ich die erste, die sich davor ankettet."

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