Süddeutsche Zeitung

Verworfene Planungen:Der nächste Krach in der Verkehrspolitik

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Nach dem Koalitionsstreit um Tempo 30 in der Stadt geraten Grüne und SPD nun wegen eines Autotunnels an der Schleißheimer Straße aneinander.

Von Anna Hoben und Andreas Schubert, München

Der Koalitionsstreit, der sich vergangene Woche an Differenzen in der Verkehrspolitik entzündet hat, geht in eine neue Runde. Nach einem möglichen flächendeckenden Tempo-30-Limit geht es nun um einen Autotunnel im Münchner Norden. "Die Planungen für die Tunnel in der Schleißheimer Straße und der Tegernseer Landstraße werden eingestellt", so heißt es im Koalitionsvertrag, auf den sich Grüne/Rosa Liste und SPD/Volt im vergangenen Jahr geeinigt haben. Diese Absage für den Tunnel an der Schleißheimer Straße stellt die SPD nun wieder in Frage.

In einem Interview in der Abendzeitung ließ Fraktionschefin Anne Hübner durchklingen, dass der Tunnel doch eine Option sein könnte, wenn BMW andernfalls seinen Standort in München nicht weiter ausbauen wolle. Natürlich müsse man zuerst mit den Grünen sprechen. Aber klar sei auch: "Wir als SPD machen keine ideologische Verkehrspolitik. Das, was notwendig ist, um den Industriestandort zu sichern, werden wir auch tun." Sie halte es nicht für ausgeschlossen, dass "das Mobilitätsreferat zu dem Schluss kommt, dass die Stadt den Tunnel doch weiterverfolgen sollte. Wir als SPD werden uns dem dann nicht widersetzen." Am Montag wollte sich die SPD auf Nachfrage nicht zu dem Thema äußern. Es gebe noch keine offizielle Position, hieß es von der Fraktionsspitze.

Als Position ihres Koalitionspartners nahmen freilich die Grünen die Äußerungen wahr. Mit Verwunderung habe man zur Kenntnis genommen, dass die Fraktion SPD/Volt "offenbar von einer zentralen Vereinbarung des grün-roten Koalitionsvertrages abrücken möchte", hieß es in einer Mitteilung. Grünen-Fraktionschef Florian Roth wies darauf hin, dass der Planungsstopp in den Koalitionsvertrag aufgenommen wurde, weil der Tunnel zerstörerische Auswirkungen auf ein Flora-Fauna-Habitat-Gebiet habe, das er unterqueren müsste. Dies mache ihn auch zu einem planungsrechtlich äußerst unsicheren Vorhaben. Im Übrigen sei der Verzicht auf neue Tunnel auch Teil des haushaltspolitischen Konsolidierungsprogramms.

Selbstverständlich, so Roth, sei die Bindung von BMW, einem der wichtigsten Arbeitgeber und Gewerbesteuerzahler der Stadt, an den Standort München von großer Bedeutung. Man sei dazu seit langer Zeit im Gespräch über die Verkehrssituation im Norden. "Zentral ist für uns eine Verbesserung der Anbindung des öffentlichen Verkehrs." In Einklang mit BMW klage man etwa seit geraumer Zeit beim Freistaat die Realisierung des S-Bahn-Nordrings ein. Alle Überlegungen zum motorisierten Individualverkehr müssten mit dem Koalitionspartner, mit BMW und mit der Stadtverwaltung ergebnisoffen diskutiert werden. "Auch das Thema einer dynamischen Bepreisung des Individualverkehrs, die von BMW ja immer wieder gefordert wurde, darf hier kein Tabu sein."

Der Autobauer BMW, der sein Forschungs- und Innovationszentrum (FIZ) deutlich erweitern will - bis zu 15 000 neue Arbeitsplätze sollen entstehen -, setzt sich schon lange für einen Anschluss der Schleißheimer Straße an die A99 ein. Der Tunnel würde es ermöglichen, dass ein Großteil des Auto- und Lastwagenverkehrs westlich vom FIZ direkt nach Norden abfließen könnte. Im Oktober 2014 hat der Stadtrat die Verlängerung der Schleißheimer Straße in den Verkehrsentwicklungsplan aufgenommen. Im Juli 2019 schließlich stellte das Baureferat sieben mögliche Varianten für einen Tunnel vor, deren genauere Planung danach erfolgen sollte.

Die Vorzugsvariante war eine Verlängerung der Schleißheimer Straße entlang der bestehenden Fahrbahn. Diese hätte das Sperrengeschoss des U-Bahnhofs Dülferstraße gequert und diesen geteilt - ein aufwendiges Vorhaben. Zugleich würde dieser Tunnel teilweise durch das Naturschutzgebiet Hartelholz führen. Zur alternativen Prüfung hatte die Verwaltung eine Trasse unter der Nordhaide vorgeschlagen, der ehemaligen Panzerwiese, die auch zum Naturschutzgebiet gehört. Eine weitere Variante würde diese ebenfalls touchieren. Zum anderen Streitthema Verkehrssicherheit und Geschwindigkeit auf Münchens Straßen soll nun eine Arbeitsgruppe mit Mitgliedern beider Fraktionen Vorschläge erarbeiten. Die Grünen hatten sich vergangene Woche für eine Bewerbung als Modellkommune für flächendeckendes Tempo 30 ausgesprochen. Die SPD hatte den Grünen "Autohass" vorgeworfen.

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SZ vom 09.02.2021
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