Süddeutsche Zeitung

Schlachthofviertel:Ein Taubenhaus fürs neue Volkstheater?

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Eine Mehrheit im Bezirksausschuss fordert einen Taubenschlag auf dem Dach des Neubaus. Die übrigen Lokalpolitiker halten die Idee für völlig verfehlt, Intendant Stückl ist wohl überzeugt.

Von Birgit Lotze, Ludwigsvorstadt/Isarvorstadt

Auf dem Dach des Münchner Volkstheaters soll ein betreutes Taubenhaus eingerichtet werden. Der Bezirksausschuss (BA) Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt hat sich mehrheitlich dafür ausgesprochen und die Stadt aufgefordert, einen Taubenschlag, vielleicht auch zwei, zu installieren und zu finanzieren. Intendant Christian Stückl habe sich sofort offen dafür gezeigt, berichtete Arne Brach (Grüne), der sich im BA um den Tierschutz kümmert und den Antrag auf den Weg gebracht hat.

Tauben polarisieren - das zeigte sich auch bei der Diskussion, die dem Beschluss vorausging. "Ein Taubenhaus auf dem Glanzstück unseres Viertels - das ist das Allerletzte", rief CSU-Fraktionssprecher Rudi Cermak, noch bevor der Antragsteller den Vorschlag überhaupt darlegen konnte. Bei Tauben gehe es ums Vergrämen, nicht ums Verhätscheln. "Von mir bekommt ihr ein glattes Nein."

Es gebe auf dem ehemaligen Viehhofgelände, wo der Neubau des Volkstheaters kürzlich fertiggestellt wurde, bereits eine Taubenpopulation, sagte Brach. Sie sei schon vor dem Volkstheater dort gewesen, das Theater habe auch schon Maßnahmen zur Vergrämung ergriffen. Mit Gift könne man wegen des gebotenen Tierschutzes nicht gegen die Vögel vorgehen. Mit Netzen ließen sie sich dort nicht aufhalten. "Tauben finden immer einen Platz, auch an eigentlich unmöglichen Stellen." Wolle man sie unter Kontrolle halten, biete sich nur eine Möglichkeit: ihnen Futter und einen trockenen Platz zum Nisten und Brüten zu bieten. "Das machen viele Städte so", erklärte Brach.

Auch die Stadt München hat sich für diese Lösung entschieden. Im Jahr 2008 stimmte der Stadtrat für das sogenannte Augsburger Modell. Die Zahl der Tiere soll durch "Betreutes Wohnen" limitiert werden. Dafür werden sie in Taubenschlägen gefüttert, ein Teil ihrer Eier wird gegen Attrappen ausgetauscht. Eigentlich wollte die Landeshauptstadt seitdem jedes Jahr zwei neue Taubenhäuser errichten, so war die Vorgabe. Doch die Standortsuche ist schwieriger als gedacht.

Zudem gibt es Zweifel am Erfolg des Konzepts, auch seitens staatlicher Einrichtungen: Die Deutsche Bahn nutzte im Oktober die Gelegenheit der Übergabe eines zum Abriss freigegebenen Gebäudes, um den Taubenschlag auf dem Hauptbahnhof-Dach ohne Bemühungen um Ersatz loszuwerden. Die DB-Verantwortlichen schlossen ab und ließen niemanden mehr hinein, was die Tauben, die sehr standortbezogen sind, nahe an den Hungertod brachte, viele verendeten. Das DB-Management hatte in den vergangenen Jahren immer wieder erklärt, man habe den Eindruck, die Tauben vermehrten sich. Der Schlag sei eher eine Futterstelle als ein populationsregulierendes Instrument.

Im Bezirksausschuss sagte Brach, dass die Zahl der Tauben am Hauptbahnhof aktuell auf 10 000 bis 15 000 geschätzt werde. Dass es dort Probleme mit den Tieren gibt, schob er auf den Mangel an Taubenschlägen. Wolle man die Population unter Kontrolle bringen, benötige man sehr viele Taubenhäuser, eines reiche da nicht.

Das Gremium hatte in den vergangenen Monaten bereits mehrere mögliche Dächer um den Hauptbahnhof und auch die Einrichtung von isoliert auf Pfosten stehenden Taubenhäusern vorgeschlagen, letzteres hatte die Verwaltung aus Kostengründen abgelehnt. Das Referat für Klima- und Umweltschutz (RKU) betätigte, dass es aktuell neue Standorte für Taubenhäuser prüfe. 19 Taubenschläge, die nach dem Augsburger Modell betreut werden, gibt es derzeit in München; die meisten davon liegen allerdings auf privaten Grundstücken.

Es gibt einige Gründe, warum die Behörde Standort-Vorschläge ablehnen muss: Wenn die notwendige Statik nicht gegeben ist, wenn sie nicht gut zugänglich oder keine Lagerflächen vorhanden sind. Andere Absagegründe auf der RKU-Liste haben bislang in München noch nie ein Taubenhaus verhindert: Dass Regelungen zum Infektionsschutz oder zum Denkmalschutz nicht eingehalten werden könnten oder ein Standort nicht ausreichend sturmsicher sei, das sei seit dem Stadtratsbeschluss zur Einführung des Augsburger Modells 2008 nie vorgekommen, heißt es in der Behörde.

Meist geht es dort darum, den Widerstand von Eigentümern, Mietern oder Nachbarn auszuloten. Ohne Kooperation und Zustimmung aller Beteiligten, könne man kein Taubenhaus einrichten und betreiben, so die Pressesprecherin. Das RKU hat beim Sondieren die Erfahrung gemacht: "Vorbehalte und Ängste gegen ein Taubenhaus können trotz intensiver Gespräche und Aufklärung oftmals nicht abgebaut werden."

Trotz der Vorbehalte in der Bevölkerung hält die Behörde das Augsburger Konzept für vielversprechend. Taubenhäuser seien zusammen mit dem Fütterungsverbot ein gutes und tragfähiges Modell, sagt eine Sprecherin. Berücksichtige man den gebotenen Tierschutz und auch die Belange der Menschen, sei das Augsburger Modell "das derzeit einzige erfolgversprechende Konzept, das dem RKU bekannt ist".

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SZ vom 10.08.2021
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