Süddeutsche Zeitung

Erneuerbare Energien in München:Öl und Gas aus Norwegen? - "Das war ein Fehlgeschäft"

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Vor zehn Jahren noch war das Ziel, mithilfe von Bohrstätten in Norwegen ganz München kostengünstig mit Energie zu versorgen. Heute setzen die Stadtwerke auf Fernwärme aus Geothermie. Das erfordert Investitionen.

Von Berthold Neff

Europa, ja die ganze Welt stöhnt unter den rasant steigenden Kosten für Energie. Nicht nur die Preise für Heizöl, Erdgas und Strom haben sich innerhalb von nur drei Jahren zum Teil verdoppelt, auch die Fernwärme wird immer teurer. Genau diese Entwicklung hatten die Stadtwerke eigentlich verhindern wollen. "Wir wollen selbst an der Quelle sitzen, wir sind groß genug und können uns das leisten", begründete der damalige Stadtwerke-Chef Kurt Mühlhäuser im Januar 2012 das ein paar Jahre zuvor gestartete Engagement des Kommunalunternehmens bei der Exploration von Öl- und Gasvorkommen vor der Küste Norwegens. Es gehe, so Mühlhäuser, nicht nur "um die Unabhängigkeit vom russischen Gas, sondern auch um die Unabhängigkeit von internationalen Öl- und Gaskonzernen". Man wollte selbst so viel Gas fördern, dass man die ganze Stadt kostengünstig versorgen könne.

Von diesem Traum haben sich die Stadtwerke (SWM) jetzt nach fast zwei Jahrzehnten und Investitionen in Milliardenhöhe verabschiedet. Vor einem Monat haben sie ihre Bohrstätten auf norwegischem Gebiet verkauft und damit weitgehend Schluss mit der Förderung von Erdöl und Erdgas gemacht, die sie mit ihrem britischen Partner Centrica in der gemeinsamen Firma Spirit Energy betrieben hatten. Veräußert wurden 92 Prozent der Ölproduktion und 38 Prozent der Gasreserven. Durch den Deal, der ein Volumen von etwa einer Milliarde Euro hat, erhalten die Stadtwerke etwa 300 Millionen Euro, weiteres Geld könnte auch noch im nächsten Jahr fließen. Die Erdgasförderung soll nun schrittweise auslaufen, in zehn Jahren könnte alles vorbei sein.

Florian Bieberbach, der seit 2013 als Mühlhäusers Nachfolger an der SWM-Spitze steht, zeigt sich heute über diese Entwicklung erleichtert: "Als Fazit in diesem Zeitraum muss man sagen, das war ein Fehlgeschäft." Er räumt aber ein, dass der Verkauf durchaus auch eine negative Seite habe. Mit dem noch vorhandenen Erdgas hätte man angesichts der heutigen Preise gute Gewinne machen können. Hinzu kommt, dass die Stadtwerke das Erdgas aus eigener Quelle gerade jetzt gut brauchen könnten, denn schon im Sommer soll der Block 2 im Heizkraftwerk Nord in Unterföhring so umgestellt werden, dass nicht mehr Steinkohle, sondern das weniger klimaschädliche Erdgas verbrannt wird, um Strom und Fernwärme zu erzeugen - und später dann Wasserstoff, der zumindest beim Verbrennen klimaneutral ist.

Strom wollen die Stadtwerke schon 2025 zu 100 Prozent regenerativ erzeugen

Auf jeden Fall ist der Verkauf der Öl- und Gasfelder ein Schritt, den die grün-rote Stadtratsmehrheit gutheißt. Umweltaktivisten hatten schon länger Druck gemacht, dass die Stadtwerke aus dem Geschäft mit fossilen Brennstoffen aussteigen und den Weg zur "Dekarbonisierung" einschlagen. Bei der Stromproduktion sind die Stadtwerke schon recht weit. Schon in diesem Jahr wollen sie 90 Prozent des gesamten Verbrauchs der Stadt aus erneuerbaren Energien stemmen und 2025 die 100-Prozent-Marke knacken, mit Wasserkraftwerken, Windparks an Land und auf See (und zwei Rotoren in der Stadt), Biomasse-Heizkraftwerken, Photovoltaikanlagen und einem Solarthermiekraftwerk in Spanien.

Weil aber der Großteil des Energieverbrauchs in den Haushalt fürs Heizen draufgeht, setzen die Stadtwerke auf eine Quelle unter unseren Füßen: die Geothermie, das heiße Wasser aus der Tiefe. Langfristig ist geplant, dass Geothermie die Hauptlast bei der Fernwärme übernimmt. Derzeit ist der Anteil noch überschaubar. Selbst wenn Deutschlands größte Geothermieanlage am Heizkraftwerk Süd in Betrieb geht, die bis zu 100 000 Münchnerinnen und Münchner versorgen soll, steigt der Geothermie-Anteil an der Fernwärme nur auf 13 Prozent. Langfristig wollen die Stadtwerke aber nicht nur ihren Strom, sondern auch die gelieferte Wärme klimaneutral erzeugen. Bis 2040 soll die komplette Fernwärme CO2-neutral, überwiegend aus Geothermie, erzeugt werden.

Das macht erhebliche Investitionen erforderlich und wird sicher auch Auswirkungen auf die Preise haben. Im Zwiespalt zwischen CO2-Neutralität, Dekarbonisierung und knappen öffentlichen Kassen dürfte aber eines jetzt schon klar sein: Zum Nulltarif ist die Welt nicht zu retten.

Während es bei Strom und Gas möglich ist, zu einem günstigeren Anbieter zu wechseln, fällt diese Möglichkeit bei der Fernwärme weg. Da waren die Stadtwerke immer schon Monopolist - und werden es auch auf absehbare Zeit bleiben. Die Verbraucher müssen also zähneknirschend akzeptieren, dass der Arbeitspreis bei der Fernwärme (im Dampfnetz) zum Jahresanfang deutlich erhöht wurde, um etwa 46 Prozent. Im Vergleich zur Situation vor einem Jahr hat sich der Arbeitspreis, über den der tatsächliche Wärmeverbrauch abgerechnet wird, sogar verdoppelt. Am Grundpreis, der als Fixpreis pro Anschluss abgerechnet wird, lässt sich ohnehin nicht rütteln, er schlägt mit etwa 25 Prozent bei der Endabrechnung zu Buche und wurde in München schon lange nicht mehr erhöht.

Damit klimafreundliche Heizenergie bei den Münchnern ankommt, sind Investitionen nötig

Tatsache ist, dass der Fernwärmepreis von Mitte 2019 bis Ende 2020 stetig gesunken ist. Weil in den drei Münchner Heizkraftwerken aber nicht nur Restmüll und Klärschlamm, sondern vor allem Erdgas und Kohle verfeuert werden, stieg mit den Preisen für diese Energiequelle auch der Fernwärmepreis, der daran gekoppelt ist.

Hinzu kommt, dass viele Investitionen nötig sind, damit die Wärme bei den Münchnern ankommt - vor allem, wenn man die Geothermie verstärkt nutzen will. Bevor man das heiße Wasser aus der Tiefe pumpen kann, sind hohe Investitionen erforderlich, beginnend mit der seismischen Erkundung der Vorkommen. Danach folgen bis zu drei Kilometer tiefe Bohrungen. Damit nicht genug: Weil es nicht möglich ist, für die Geothermie das alte Dampfnetz zu nutzen, muss stadtweit ein neues Heizwassernetz im Boden verbuddelt werden - dafür müssen wiederum die Straßen aufgerissen werden.

2029 soll es am Michaelibad eine weitere Geothermie-Anlage geben

Nach dem Standort Sendling soll 2029 die Geothermie-Anlage am Michaelibad fertig sein, die das Netz der Innenstadt Ost und West versorgen könnte. Der Norden spielt derzeit noch die zweite Geige, auch weil im dortigen Untergrund Heißwasser mit geringerer Temperatur vermutet wird.

Aber welche Preise sind realistisch, wenn man bedenkt, dass manche Viertel - etwa die Messestadt Riem - zu 90 Prozent mit Geothermie geheizt werden? Ist es statthaft, den Fernwärmepreis auch dort an die Entwicklung auf dem Gasmarkt zu koppeln? Nein, meint Georg Kronawitter (CSU) vom örtlichen Bezirksausschuss. Er findet, dass die Stadtwerke den Preisvorteil bei der günstigen Geothermie an ihre Fernwärmekunden weitergeben müssten. Über eine Anfrage will Kronawitter jetzt Aufschluss von den Stadtwerken, ob daran gedacht wird, die Koppelung an den Erdgaspreis aufzuheben - zumal dann, wenn der Geothermie-Anteil an der Fernwärme deutlich höher sein wird als zur Zeit.

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