Süddeutsche Zeitung

Christkindlmarkt:"Bei uns bist no a Mensch"

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Der Christbaum vor dem Rathaus kommt aus dem Landkreis Freyung-Grafenau - der darf sich deshalb im Innenhof präsentieren. Doch bei aller Werbung: Bei einer Frage wechseln die Abgesandten schnell das Thema.

Von Andreas Schubert, München

Wenn man Bernhard Sitter senior so über seine Heimat reden hört, bekommt man fast Lust, ins Auto zu steigen und sich das mal anzuschauen. "Richtig geil", schwärmt er, sei es im Bayerischen Wald. Sitter ist Hotelier und Bierbrauer in Neureichenau im Dreiländereck, wo Niederbayern an Tschechien und Österreich grenzt. Im Innenhof des Münchner Rathauses betreibt Sitter dieses Jahr den Glühweinstand. Der ist Teil einer Werbeaktion des Landkreises Freyung-Grafenau, der dieses Jahr den Christbaum für den Marienplatz gespendet hat.

Es ist Tradition, dass Kommunen der Stadt einen Baum spendieren und dafür im Rathaus Glühwein verkaufen und für sich werben dürfen. Und offensichtlich bringt die Aktion etwas, denn die Gemeinden stehen Schlange. 15 Jahre müssen Bewerber derzeit warten, ehe sie zum Zug kommen. Auch der Landkreis Freyung-Grafenau war schon einmal hier - just vor 15 Jahren. Und diesmal, so erzählt es Christian Luckner, ein Sprecher des Landkreises, rühre man die Werbetrommel professioneller als damals. So halten die Baumspender eine ganze Reihe an Broschüren und Karten am Infostand bereit, die das Interesse der Münchner wecken sollen: Wander- und Freizeittipps, eine "Erlebniskarte", natürlich eine Karte für Radltouren und ein Heft, das die Gemeinden im Landkreis und die Wirtschaftskraft desselben vorstellt. "Wir wollen unsere Region auch als Wohn- und Arbeitsort präsentieren", sagt Luckner.

Bernhard Sitter drückt es freilich ein wenig nonchalanter und in schönstem Niederbairisch aus: "Bei uns bist no a Mensch, da werd no Griaß God gsagt". Sitter hat lange Haare und einen Biker-Bart, er steht mit Hut und kurzer Hose und Holzpantoffeln bekleidet vor dem Glühweinstand und raucht mit seinen Kollegen eine Zigarre. Weil es noch Vormittag ist, hält sich der Ansturm der Besucher noch in Grenzen, und statt Glühwein geht eher Kinderpunsch über den Tresen. Sitter spricht von "de Mingara", wenn er die Münchner meint.

Die Mingara also, sollten hier, im Rathausinnenhof, lernen, dass es auch noch andere Regionen für nahe Urlaube gebe als immer nur Oberbayern und Österreich. "Bei uns gibt es keinen Overtourism, keinen Stau, keine Tiroler Blockabfertigung." Dann schwärmt er von der niedrigen Arbeitslosenquote und der Wirtschaftskraft in der Region. "Und trotzdem kann man sich bei uns noch eine Wohnung oder ein Haus leisten, anders als in Minga", sagt Sitter. In der Tat ist das Leben im Bayerwald recht günstig. Nach Angaben des Landkreises liegen die Preise für ein durchschnittliches Eigenheim bei 250 000 statt bei 1,45 Millionen in München. Brauer Sitter, der auch als Biersommelier unterwegs ist, verwendet zum Vergleich lieber den Bierpreis-Index. "Bei uns gibt's die Halbe für dreifuchzig, statt für über fünf Euro".

Günstige Lebenshaltungskosten in einem, so zumindest wirbt der Landkreis, lebenswerten Umfeld. Ostbayern hat sich nach dem Fall des Eisernen Vorhangs vom Armenhaus zur boomenden Wirtschaftsregion entwickelt, nachdem es plötzlich nicht mehr am Rand Europas lag, sondern in dessen Zentrum. Diese Entwicklung wollen die Leute vom Regionalmanagement an ihrem Infostand verdeutlichen, der durch seine Gestaltung aus stilisierten Baumsilhouetten an die Naturschätze der Region erinnern, aber auch deren Modernität aufzeigen soll.

Ein paar Zuzügler könnte der gerade mal 78 000 Bewohner zählende Landkreis Freyung-Grafenau aber noch gebrauchen. Und ein paar Streicheleinheiten fürs Image: Nirgendwo in Bayern wählten bei der Landtagswahl mehr Leute die AfD als dort im Stimmkreis, und das in einer Gegend, in der die Arbeitslosenquote nicht mehr wie früher bei 30 sondern unter zwei Prozent liegt.

Spricht man sie darauf an, wechseln die Abgesandten des Landkreises am Infostand, wo man an einem Glücksrad auch einen Urlaub "im Woid" gewinnen kann, schnell das Thema. Lieber zeigt man sich tolerant und weltoffen. So wirbt Bernhard Sitter junior, der auch am Glühweinstand mitarbeitet, für das Hotel seiner Familie gezielt um homosexuelles Publikum. "Gayfriendly Auszeiten" gibt es im "Bier- und Wellnesshotel" Gut Riedelsbach. Das Angebot werde sehr gut angenommen, sagt Sitter junior, der mit seinem Ehemann einen Sohn adoptiert hat. "Und wir zeigen auch Flagge." Stolz führt er einen vor den Stand, über dem die Regenbogenfahne flattert, das Symbol für Toleranz schlechthin. Und im Münchner Rathausinnenhof auch eines für eine vielleicht nicht unsympathische Gegend.

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SZ vom 02.12.2019
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