Süddeutsche Zeitung

European Championships:Vorfreude unter Vorbehalt

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In 365 Tagen starten die European Championships in München. Die Organisatoren werben schon jetzt mit Aktionen in der ganzen Stadt für das Sportspektakel - doch der Ticketverkauf könnte zum Problem werden.

Von Joachim Mölter und Sebastian Winter, München

Die Olympischen Sommerspiele von Tokio kann man schon jetzt getrost vergessen, drei Tage nach der Schlussfeier. Mit dem Flair war es ja nicht weit her angesichts der leeren Stadien, die der Corona-Pandemie geschuldet waren. Die Olympischen Spiele von München bleiben jedoch unvergesslich, an sie erinnert man sich auch nach 50 Jahren: Als Reminiszenz ans Jubiläum im nächsten Sommer richtet die Stadt die European Championships 2022 aus, eine Bündelung von kontinentalen Titelkämpfen in neun olympischen Sportarten: Leichtathletik, Turnen, Triathlon, Tischtennis, Beachvolleyball, Klettern, Rudern, Rad- und Kanufahren. Genau 365 Tage vor Beginn der elftägigen Wettkämpfe starten die Organisatoren am Mittwoch den Countdown zu dieser Art Mini-Olympia: "One year to go", heißt das Motto, ein Jahr noch.

An drei Standorten in der Stadt wird geworben für "das größte Multisportevent seit den Olympischen Spielen von 1972": auf dem Odeonsplatz, auf der Theresienwiese und natürlich im Olympiapark. Dabei präsentieren sich einige der Sportarten; wer mag, kann sie gleich selbst ausprobieren. Die Sandplätze auf der Theresienwiese stehen den Beachvolleyballern jedenfalls bereits am Morgen zum Einspielen zur Verfügung, am Nachmittag wird dann ein Turnier ausgetragen, das allerdings bereits ausgebucht ist. Ähnliche Aktionen gibt es auf dem Odeonsplatz, wo ab Mittag geklettert, geturnt und auf dem Trockenen gerudert werden kann; am späteren Nachmittag gibt es auch dort noch ein Turnier, im Tischtennis. Am Abend ist dann die Leichtathletin Christina Hering im Olympiapark mit einer Laufgruppe angekündigt, und auf dem See sollen sich zwei gerade aus Tokio zurückgekehrte Olympioniken duellieren, in ungewohnten Rollen: Der Ruderer Oliver Zeidler und Max Lemke, der in Japan im Kajak-Vierer Gold gewann, tauschen ihre Boote.

An allen Schauplätzen gibt es ein Musikprogramm, auch das dient der Einstimmung auf nächstes Jahr. Als Rahmenprogramm der sportlichen Wettkämpfe 2022 ist ein Kultur-Festival vorgesehen, mit dem Titel "The Roofs", in Anlehnung an das berühmte Zeltdach über dem Stadion, längst eines der Wahrzeichen Münchens.

Ein Programmpunkt ist jedoch gestrichen. Die nach dem Dauerlauf geplante Abendveranstaltung mit Vertretern der Stadt, Förderern und Sponsoren "mussten wir aufgrund der strengen, pandemiebedingten Auflagen leider absagen", sagt Manuel Deutschmeyer, der Sprecher des Organisationskomitees. Es sei "nicht möglich, ein Fest in lockerer Atmosphäre zu feiern, wie wir es uns vorstellen".

Das Konzept der European Championships ist vergleichsweise neu, München erlebt die erst zweite Auflage dieser kompakten Form von Titelkämpfen in mehreren Sportarten. Die Premiere gab es 2018, damals an zwei Orten. Im Berliner Olympiastadion kämpften die Leichtathleten um ihre Titel, alles andere fand in Glasgow statt. Die Idee zu dieser Veranstaltung hatten der Brite Paul Bristow und der Schweizer Marc Joerg, ihre European Championships Management GmbH sitzt in Nyon und koordiniert die Veranstaltung mit den Verbänden, Austragungsstädten und TV-Partnern. Ihr Gedanke war es, den einzelnen Sportarten durch die Zusammenführung mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen.

In München soll der Olympiapark mit den Leichtathletik- und Turnwettkämpfen das Herz der Multi-EM bilden, das zweite Zentrum ist der Königsplatz. Dort werden für die Kletterer vier künstliche Wände vor den Propyläen aufgebaut, nebenan spielen die Beachvolleyballer auf sechs Feldern um Gold, der Center Court soll vor der Staatlichen Antikensammlung aufgeschüttet werden. Exakt also an der Stelle, an der seit Mai ein Mahnmal an die Bücherverbrennungen im Nationalsozialismus erinnert. Das war bei der Vorstellung im Bezirksausschuss Mitte Juli ein Streitpunkt, weil die Erinnerungsstätte durch die Plätze nun verdeckt wird - auf der Suche nach einer Lösung sind die Sport-Funktionäre im Austausch mit dem Kulturreferat. Die marode Olympia-Regattastrecke wird für die Kanu- und Ruderwettbewerbe bloß etwas aufgehübscht. Wegen der pandemiebedingt leeren Kassen der Stadt sind nur neun statt der geplanten 61 Millionen Euro für die gesamte Sanierung übrig geblieben. Für Tischtennis, das in Tokio boomte, steht die Rudi-Sedlmayer-Halle zur Verfügung, die Bahnrad-Bewerbe finden auf dem Messegelände statt, Triathlon und Marathon in der Stadt und um sie herum.

Erwartet werden 4700 Sportlerinnen und Sportler, die um insgesamt 176 Titel kämpfen. Anders als bei der Premiere der European Championships wird in München auch der Behindertensport integriert - mit Wettbewerben im Parakanu und Pararudern. Das Wichtigste war und ist sowieso, die Zeitpläne der Wettkämpfe so aufeinander abzustimmen, dass das Fernsehen den ganzen Tag etwas zum Übertragen hat. Die europäische Rundfunkunion EBU ist ein wichtiger Partner hinter dem ganzen Projekt, dessen Kosten sich auf 130 Millionen Euro belaufen. 100 Millionen teilen sich paritätisch die Stadt, der Freistaat und der Bund, der Rest soll durch den Verkauf von Eintrittskarten und Merchandising reinkommen.

Die Ticketeinnahmen machen den Organisatoren freilich die meisten Sorgen: Dürfen 2022 Zuschauer in die Arenen - und wenn ja, wie viele? Der Ticketverkauf startet wohl frühestens im Herbst, "wir schauen von Monat zu Monat", sagt Deutschmeyer. Eines ist klar: Wettkämpfe ohne Publikum, wie sie in Tokio gerade zu Ende gegangen sind, wären eine kleine Katastrophe für die European Championships.

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Quelle:
SZ vom 11.08.2021
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