Süddeutsche Zeitung

Coronavirus und Schulen:"Ein Exempel auf dem Rücken der Münchner Grundschüler"

Lesezeit: 3 min

Oberbürgermeister Reiter kritisiert den Freistaat für seine Entscheidung, dass nun auch für kleine Kinder Maskenpflicht im Unterricht gilt. Viele Eltern stehen dem dagegen durchaus offen gegenüber. Lehrer wünschen sich vor allem Klarheit.

Von Heiner Effern, Ekaterina Kel und Jakob Wetzel, München

Er habe dafür kein Verständnis, sagt Dieter Reiter (SPD). Um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen, müssen auch in München Grundschülerinnen und Grundschüler im Unterricht eine Maske tragen, das haben am Sonntag die Regierung von Oberbayern und das bayerische Gesundheitsministerium festgelegt. Bis zu den Herbstferien hatte in der Stadt eine Ausnahme gegolten; diese hat der Freistaat jetzt verworfen - und nun herrscht Streit. Der Oberbürgermeister hat die Entscheidung des Freistaats am Montag mit scharfen Worten kritisiert. Der Freistaat widerspricht, und Eltern sind gespalten.

Er sei "mehr als enttäuscht", sagte Reiter. Die Ausnahmeregelung sei für Schüler und Eltern eine "Erleichterung in dieser schwierigen Zeit und infektiologisch gut begründet" gewesen. Noch am Freitag habe er mit der Staatsregierung auf höchster Ebene einen Kompromiss vereinbart. Der sei nun aufgekündigt worden, ohne dass sich die Fakten geändert hätten. Da wäre es "transparenter und ehrlicher", so Reiter, wenn der Freistaat in seiner Verordnung gar nicht erst von möglichen Ausnahmen sprechen würde, "als hier aus politischen Gründen ein Exempel auf dem Rücken der Münchner Grundschüler zu statuieren".

In Bayern gilt bereits seit 19. Oktober eine durchgehende Maskenpflicht auch an Grundschulen, wenn in einer Stadt oder einem Landkreis die Zahl der neuen Corona-Fälle binnen sieben Tagen auf über 50 pro 100 000 Einwohner steigt. In München ist dieser Wert seit 12. Oktober überschritten; trotzdem hatte die Stadt am 21. Oktober eine Ausnahme beschlossen, weil das Infektionsgeschehen in Grundschulen gering sei. Kinder mussten seither zwar im Schulhaus Masken tragen, nicht aber an ihren Plätzen. Damit ist es nun vorbei.

Die Sieben-Tage-Inzidenz lag in München am Montag nach Zahlen des Robert-Koch-Instituts bei 204, so hoch wie bislang nie. Das Münchner Gesundheitsamt hält die Maskenpflicht am Platz dennoch weiterhin für unnötig: Studien hätten gezeigt, "dass Kinder, je jünger sie sind, eine umso geringere Rolle bei der Infektionsausbreitung einnehmen", heißt es. "Von mehr als 47 000 Münchner Grundschülern sind Stand heute nur zwölf Corona positiv", sagt die neu gewählte Gesundheitsreferentin Beatrix Zurek (SPD) - und von diesen habe sich kein Kind in der Schule angesteckt.

Medizinisch sind Masken für Kinder unproblematisch, sagt der Arzt

Typischer Infektionsort von Grundschulkindern ist laut Gesundheitsreferat die eigene Familie. "Es gibt so gut wie keine Querübertragungen zwischen den Kindern an den Münchner Grundschulen", sagt auch Philipp Schoof, selbst Arzt und Sprecher des bayerischen Berufsverbandes für Kinder und Jugendärzte für München. Eine Differenzierung nach Altersstufen sei daher sinnvoll.

Die Alltagsmasken seien für Kinder medizinisch aber völlig unproblematisch, sagt er: "Dass die Kinder unter der Maske nicht genug Sauerstoff bekommen würden, ist Quatsch." Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne) betont, gerade für kleine Kinder sei es wichtig, die Mimik ihres Gegenübers zu erfassen. Und in der vergangenen Woche sei trotz der massiven Zunahme an Infektionen in München die Zahl der durch das Coronavirus lahmgelegten Grundschulklassen sogar gefallen.

Der Freistaat freilich relativiert diese Zahlen. Kinder und Jugendliche würden bei einer Infektion oft keine Symptome zeigen, sagt Gesundheitsstaatssekretär Klaus Holetschek. Sie seien aber dennoch ansteckend - und jede Infektion verschlimmere die Lage. Angesichts der besorgniserregenden Anzahl an Neuinfektionen sei nun nicht die Zeit für Ausnahmen. "Keine Maske im Unterricht zu tragen, ist für mich gegenwärtig ein Wegbereiter für Homeschooling und Unterrichtsausfall!"

Die Elternschaft ist gespalten bei der Maskenfrage

Die Meinungen der Eltern dazu gehen auseinander. Daniel Gromotka, der Vorsitzende des Gemeinsamen Elternbeirats der Münchner Horte und Tagesheime, teilt Reiters Kritik. Die Maskenpflicht sei eine Tortur, sagt er. Viele Schüler müssten sowohl vormittags als auch nachmittags in der Betreuung Maske tragen. Und auch wenn es eine hohe Dunkelziffer gebe, steckten sich doch vornehmlich junge Erwachsene an. Doch so wie Gromotka denken nicht alle. Der Gemeinsame Elternbeirat der Münchner Grundschulen hat sich umgehört. An einer nicht repräsentativen Blitz-Umfrage hätten sich Elternvertreter und Eltern von 59 der 137 Münchner Grundschulen beteiligt, sagt Anke Sponer, die Vorsitzende des Gemeinsamen Elternbeirates. Manche Beiräte berichteten, sie hätten erst durch die Umfrage gemerkt, wie gespalten die Elternschaft eigentlich sei. 85 Prozent der Befragten aber sagten, sie würden eine Maskenpflicht dulden, da sich so eine Komplett- oder Teilschließung der Schulen verhindern oder verzögern lasse. Nur zwölf Prozent lehnten die Masken kategorisch ab. In der politischen Debatte spiegle sich das kaum wider, sagt Sponer. Der Gemeinsame Elternbeirat würde die Eltern gerne gemeinsam mit der Stadt wirklich repräsentativ befragen, sagt sie.

Wichtig sei, dass die Schulen so lange wie möglich geöffnet blieben, sagt Michael Hoderlein-Rein, Leiter der Grundschule an der Berg-am-Laim-Straße und Vorsitzender des Örtlichen Personalrats der Lehrer an Grund- und Mittelschulen. Für dieses Ziel müsse man größtmögliche Sicherheit schaffen. Aus dieser Perspektive sei die Maskenpflicht durchaus sinnvoll. Doch Hoderlein-Rein kritisiert das Hin und Her: "Ich glaube nicht, dass den politischen Entscheidungsträgern klar ist, was sie den Schulen antun." Seit dem Wochenende kämen zahllose Nachfragen verunsicherter Eltern. Er habe dreimal die Webseite aktualisiert. Am Montag habe das Telefon kaum stillgestanden, sagt er. Normales Arbeiten sei so kaum möglich.

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SZ vom 10.11.2020
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