Süddeutsche Zeitung

Bundespolitiker im Landkreis München:Sixpack im Bundestag

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Sechs Abgeordnete hat der Wahlkreis München-Land demnächst in Berlin - so viele wie kein anderer. Aber haben die Wähler auch einen Nutzen davon?

Von Martin Mühlfenzl

Bürgernähe kann unter der Kuppel des Reichstags auch durch einen freundschaftlichen Schulterklopfer und ein urbayerisches "Servus, was machst du denn da?" ausgedrückt werden. Denn hin und wieder kommt es vor, dass in Berlin ein Abgeordneter einen seiner Wähler aus dem Süden der Republik trifft. Von Januar an könnte es noch häufiger vorkommen, dass Besuchern aus dem Landkreis München einer der Ihren begegnet. Dann zieht mit der Sozialdemokratin Bela Bach die sechste Abgeordnete aus dem Wahlkreis München-Land als Nachrückerin in den Bundestag ein.

Sechs Abgeordnete aus allen sechs im im hohen Haus vertretenen Parteien - diese Konstellation gibt es in keinem anderen Wahlkreis im Freistaat. Doch was bringt es den Wählern hier? Werden ihre Interesse dadurch besonders stark in Berlin vertreten? Hat der Landkreis München im Bundestag ein besonderes Gewicht? Repräsentieren die sechs Abgeordneten ihren Wahlkreis auch und lassen sie sich umgekehrt in diesem regelmäßig blicken? Die Antwort ist eher: nicht unbedingt.

Da ist zum Beispiel Eva Schreiber. Die 61-Jährige war 2017 für die Linken im Landkreis angetreten und über die Liste in den Bundestag eingezogen. Nach zwei Jahren fragen sich allerdings nicht zu Unrecht viele Wähler: Eva wer? Das hat seinen Grund: Die gebürtige Kölnerin lebt in München und ist als Mitglied im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in der weiten Welt zuhause, beschäftigt sich mit dem Bau von Staudämmen in Tansania statt mit dem Ausbau des Autobahnrings München-Ost. Außerdem hat Schreiber zwei Wahlkreisbüros - eines in Ingolstadt, das andere in Regensburg. Dort kümmert sie sich als "Betreuungsabgeordnete" ihrer Partei um die Anliegen der Menschen in jenen Teilen des Freistaats, wo die Linke noch schwächer ist als im Großraum München. In der Linken-Bundestagsfraktion sind gerade einmal sieben Abgeordnete aus Bayern.

Die Linke kennt hier kaum jemand

Um den Landkreis München kümmert sich Schreiber nach eigenen Worten von der Geschäftsstelle der Partei in München aus, doch wirklich vor Ort präsent zu sein, sei natürlich schwer. Auch weil in München-Land, wie sie einräumt, die Strukturen fehlten. Der Landkreis wird deshalb von den Ortsverbänden in der Landeshauptstadt mit betreut. Es gebe zu wenige Mitglieder, um etwas aufzubauen, sagt Schreiber. Die "Klientel" hier sei "nicht typisch links". "Wir haben in Aying ein Mitglied, dort eins und da eins. Sie können dann alleine einen Stammtisch aufmachen, aber was bringt das?" Trotzdem versuche sie, Termine wahrzunehmen, sagt die Linke, zuletzt im Sommer in Unterhaching und Garching. Für mehr fehle ihr die Zeit.

Die Frage, wie ein Bundestagsabgeordneter sich seine Zeit vernünftig einteilen kann, wird sich von Januar an auch Bela Bach stellen, die dann neben Eva Schreiber, Florian Hahn (CSU), Toni Hofreiter (Grüne), Gerold Otten (AfD) und Jimmy Schulz (FDP) den Landkreis vertreten wird, nachdem sie für den Gewerkschaftsfunktionär Martin Burkert nachrückt. Als die 29-Jährige vergangene Woche von ihrem unerwarteten Einzug in die Bundespolitik erfuhr, sagte sie, sie wolle Politik für die Bürger im Landkreis machen und der Kommunalpolitik als Kreisrätin treu bleiben. Aber ist das unter einen Hut zu bringen? Zumal aus der Berliner Blase heraus?

Bela Bach (SPD)

Toni Hofreiter (Grüne)

Florian Hahn (CSU)

Gerold Otten (AfD)

Eva Schreiber (Linke)

Jimmy Schulz (FDP)

"Es ist wahnsinnig wichtig, vor Ort da zu sein", sagt CSU-Mann Hahn. "Mit dem Ohr an den Bürgern." Als er diesen Satz sagt, ist er gerade auf dem Weg von einer Konferenz zum Flughafen in Zagreb. Hahn ist Obmann im Ausschuss für europäische Angelegenheiten und Mitglied im Verteidigungsausschuss. Kurzum: Der Mann kommt rum in der Welt. Aber ein Abgeordneter müsse in der Heimat "sichtbar" bleiben, sagt der im Wahlkreis direkt gewählte Abgeordnete. "Ich muss doch auch den Menschen zuhause erklären können, was in Berlin geschieht, was das auch für sie persönlich bedeutet."

Ein "interfraktionelles Bündnis" gebe es nicht

Ein "gutes Pflaster" sei der Landkreis für Politiker, sagt Hahn - und das Personal, das von hier aus nach Berlin oder ins Maximilianeum geschickt werde, sei "quantitativ und qualitativ" gut. Das meint Hahn - zumindest teilweise - auch für die politische Konkurrenz und das bestätigt Toni Hofreiter schon qua Amt: Der in Sauerlach aufgewachsene Spitzen-Grüne ist seit sechs Jahren Fraktionssprecher seiner Partei im Bundestag und dadurch einem breiten Publikum bekannt. "Für uns hier im Landkreis ist er natürlich auch sehr wichtig", sagt sein Taufkirchner Parteifreund Christoph Nadler. "Weil er auch immer im Landkreis unterwegs ist. Er ist regelmäßig hier, berichtet über die Arbeit in Berlin, lädt auch immer wieder zu Fahrten in die Hauptstadt ein." Wie Hahn.

Ansonsten sind sich die beiden aber politisch und persönlich nicht nah. "Es gibt sicher kein interfraktionelles Bündnis", sagt der CSU-Mann über die Abgeordneten-Power aus dem Landkreis. Klar sei aber, dass Abgeordnete Einfluss nehmen könnten: etwa auf die Subventionierung eines neuen Satelliten-Programms in Ottobrunn in Höhe von 230 Millionen Euro. Der Rüstungs- und Verteidigungsexperte der CSU wisse sicher in Berlin zu steuern, sagt der Grüne Nadler aus der Entfernung. "In der Regierung geht das auch sicher leichter. Aber das kann sich ja auch bald ändern."

Im Verteidigungsausschuss sitzt Hahn zusammen mit dem AfD-Abgeordneten Gerold Otten, der übrigens wie Hahn in Putzbrunn zu Hause ist. Für beide kein Grund für eine Fahr- oder gar Wohngemeinschaft in Berlin. Zumal Otten zwar nach außen freundlich auftritt, aber schon mal an der Seite von AfD-Rechtsaußen Björn Höcke in Chemnitz marschiert. Präsenz kann man Otten im Wahlkreis zwar nicht absprechen, aber die AfD ist hier eher eine Hinterzimmerpartei, die kaum nach außen in Erscheinung tritt. Sichtbar sind hier Hahn und Hofreiter. Die Schulterklopfer unter der Berliner Kuppel.

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Quelle:
SZ vom 23.11.2019
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