Süddeutsche Zeitung

SZ-Podiumsdiskussion:Verkehr, Wohnen und Klimagerechtigkeit: Das sagen Münchens OB-Kandidaten

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Die SZ hat Oberbürgermeister Reiter und seine Herausforderinnen Kristina Frank und Katrin Habenschaden zur Podiumsdiskussion eingeladen. Mehr als 800 Gäste hören dem Trio zu, das sich kennt und auch schätzt, aber sich nicht schont.

Von Stefan Simon

Die erste Spitze setzt Dieter Reiter (SPD) schon, bevor es überhaupt losgeht. Als der Münchner Oberbürgermeister bei der Tonprobe im Residenztheater steht und es gerade um die Frage geht, ob ihn gleich auch seine beiden Kontrahentinnen auf der Bühne verstehen werden, antwortet er nur trocken: "Da mache ich mir keine Hoffnungen." Der Amtsinhaber frotzelt sich warm.

Die Süddeutsche Zeitung hat an diesem Sonntag die drei aussichtsreichsten Kandidaten für die anstehende OB-Wahl zur Podiumsdiskussion eingeladen; neben Reiter sind Kristina Frank (CSU), die Leiterin des Kommunalreferats, und Katrin Habenschaden, die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Stadtrat. Ein Trio, das sich kennt, das sich durchaus auch schätzt, das aber offensichtlich nicht vorhat, sich übermäßig zu schonen.

Eineinhalb Stunden lang geht es um Verkehr, Wohnen und Klimagerechtigkeit. SZ-Ressortleiter René Hofmann, der die Matinee zusammen mit Ressortleiterin Nina Bovensiepen moderiert, spricht von einer "klassischen Spielfilmlänge" - die am Ende aber nicht reicht, um alle Themen anzusprechen und alle Fragen zu stellen, die vorbereitet waren. Es spricht für die Debatte, dass es so kommt.

Dass es mit dem Verkehr nicht weitergehen kann wie bisher, stellt keiner infrage. Münchens Straßen sind voll, und Busse und Bahnen bringen bei weitem nicht die Entlastung, die sie sollen. "Sie stehen am Bahnsteig, und die S-Bahn kommt nicht. Sie stehen am Bahnsteig, und Sie passen nicht mehr in die U-Bahn. Sie stehen an der Haltestelle, und der Bus kommt 20 Minuten zu spät.", fasst Kristina Frank die Ausgangslage unter Applaus zusammen.

Die Unterschiede liegen in den Details. Dass inzwischen "jeder, der mit dem Radl in die Stadt fährt, ein guter Verkehrsteilnehmer sei", merkt Reiter halb ernst, halb ironisch an, dass man sich aber eben auch überlegen müsse, "was wir mit den vielen Autos machen, die die Fahrradfahrer trotzdem noch besitzen". Ein neues Gesamtverkehrskonzept muss her, sagen alle - für Katrin Habenschaden muss es dabei um "ein Plus an Lebensqualität" gehen, "darüber sprechen wir viel zu wenig".

Reiter will in "zwei, drei, vier Jahren" möglichst viele Autos raushaben aus der Altstadt. Er weiß, dass das ein emotionales Thema ist im Wahlkampf, und schränkt wohlweislich ein, dass es dabei "nicht um notwendige Fahrten" gehe, aber sehr wohl um den "Löwenanteil des Individualverkehrs". Mit Blick auf die Händler sagt er: "Waren wachsen nicht in den Geschäften." Frank bringt die Idee eines kostenlosen öffentlichen Personennahverkehrs für die Altstadt ins Spiel.

Der müsse erst einmal leistungsfähiger werden, kontert Reiter, was über kurz oder lang zum regelmäßig gehörten Vorwurf führt, warum die Grünen beim U-Bahn-Bau so lange auf der Bremse gestanden hätten. Habenschaden winkt ab: Die notwendigen Beschlüsse hätten ja auch gegen die Stimmen der Grünen gefasst werden können, die seinerzeit acht Stadträte hätten leicht überstimmt werden können. Mit Blick auf sechs Jahre Rot-Schwarz im Rathaus kritisiert sie: "Wir kommen leider erst jetzt in Debatten, die wir vor fünf Jahren schon hätten führen müssen."

Beim Thema Bauen und bezahlbares Wohnen sind die Unterschiede größer. Frank fasst eine ihrer Ideen mit "München plus zwei" zusammen, sie will Gebäude in der Innenstadt schlicht aufstocken und so Platz für 100 000 Münchner schaffen. Reiter und Habenschaden zielen eher auf unbebaute Gebiete im Norden und Nordosten ab, die inzwischen berühmt gewordenen "städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen" (SEM). Habenschaden nutzt die Gelegenheit zum Angriff auf Frank: Wenn es um die Entlastung und den Schutz von Mietern gehe, "haben wir keine Unterstützung von Seiten der CSU", da seien die Mehrheiten im Stadtrat andere.

Beide Kandidatinnen kritisieren Reiter für seine anfängliche Weigerung, mit den vor Ort betroffenen Bürgern zu sprechen. Reiters Standpunkt ist, erst dann zu diskutieren, wenn es Entwürfe gibt, wie nun im Norden. Frank hingegen spricht von existenziellen Ängsten im Norden und Nordosten, weil dort auch immer wieder das Thema Enteignungen im Raum stehe - diese lehne sie kategorisch ab. Sie wirbt für "Kooperation statt Konfrontation".Grünen-Kandidatin Habenschaden setzt auf "fairen Dialog", dann werde es zu Enteignungen ohnehin nicht kommen.

Beim Thema Klimagerechtigkeit setzt Habenschaden einen Punkt: "Wir haben die Hitzesommer, Ältere und Kränkere leiden unmittelbar", dennoch seien die Grünen lange gegen die Rot-Schwarz Mehrheit "untergegangen", als Anträge zum Umwelt- und zum Klimaschutz "noch nicht das opportune Thema" waren. Bei diesem Thema, findet sie, "hört es auf mit dem Hin und Her und mit dem Farbenspielen" - und bekommt dafür Applaus.

Frank verweist auf ihren Plan, die Stadt solle in den nächsten Jahren 500 000 Bäume zu pflanzen, und wiederholt ihre Forderung nach einem Klimareferat, das entsprechende Kompetenzen, die derzeit noch bei mehreren Referaten lägen, zu bündeln.

"Unsere Enkel sollten unsere Stadt so vorfinden, wie wir sie vorfinden durften", sagt Reiter. Die Urheberschaft der Grünen wolle er bei dem Thema nicht leugnen - die liege aber in der Vergangenheit, und jetzt gehe es um die Zukunft. Zur Nachhaltigkeit sagt Reiter, Mülltrennung reiche längst nicht mehr, "wir müssen Müll vermeiden". Ein Beispiel: Coffee to go aus Einwegbechern müsse einen Euro teurer sein als der aus Mehrwegbechern; er führe diesbezüglich schon Gespräche.

Als die Matinee endet, gehen die mehr als 800 Gäste zufrieden aus dem Saal. Manche Position verstehen sie nun besser, und persönlich erlebt haben Reiter, Frank und Habenschaden bisher nur die wenigsten. Auf Koalitionsaussagen lässt sich keiner der Kandidaten ein. Dass der Amtsinhaber gerne weitermachen will, daran lässt er keinen Zweifel. "Wir sind nicht fertig, wir stehen am Beginn", sagt Dieter Reiter am Ende noch einmal über die anstehende Verkehrswende. Kristina Frank äußert ihre Sorge über mögliche Erfolge von Parteien "am äußeren Spektrum", links wie rechts, die "Regierungsbildung werde schwierig". Katrin Habenschaden wird deutlicher: Es gehe darum, den Einzug der AfD in den Stadtrat zu verhindern, sagt sie, und da wird der Applaus besonders laut.

Jetzt müssen die Münchner nur noch zum Wählen gehen.

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