Süddeutsche Zeitung

Kann Kunst heilen:Ein Herz für die Herzlosen?

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Michael Pendry hat ein riesiges Herz aus fragilen Streben geschaffen. Jetzt haben es sich die Missbrauchsopfer der katholischen Kirche zum Symbol erwählt. Eine Miniatur davon bringen sie per Rad über die Alpen zum Papst. In welcher Hoffnung?

Von Susanne Hermanski

Michael Pendry ist international bekannt geworden mit einer Installation von Tausenden Papiertauben, die er als Schwarm durch Kirchenschiffe und andere sakrale Räume fliegen lässt. Auf dem Berg Zion in Jerusalem waren sie, eingebettet in eine Licht-Sound-Installation, ebenso zu sehen wie in der Salisbury Cathedral oder in New York, Mumbai und auf Hawaii. Friedensbotschafter zweifelsohne, vielleicht auch der Heilige Geist. Andere Arbeiten des Münchners besitzen ebenfalls religiösen Symbolgehalt - so man ihn denn sehen will. Sein "Heart" etwa.

Das fünf Meter hohe und ebenso breite Herz, aus zarten weißen Kunststoff-Streben im 3-D-Druck hergestellt, hatte er 2016 schon geschaffen, und zusammen mit Licht-, Musik- und Nebeleffekten mehrfach ausgestellt. Zuletzt sahen die Arbeit Hunderte Menschen, die sonst kaum je in die Kirche gehen, in der "Langen Nacht der Musik" in der Herz Jesu Kirche.

"Als mich die Erzdiözese fragte, ob sie die Tauben als Kunstwerk einsetzen könnten, das Missbrauchsopfern zum Symbol wird, habe ich ganz klar abgelehnt. Die Leichtigkeit der Tauben passte in keiner Weise mit der Schwere des Themas zusammen", sagt der gebürtige Münchner, der heute zwischen London und München pendelt. Doch im Gespräch mit einem der Sprecher des Betroffenenbeirats, Richard Kick, und der Kulturmanagerin der Diözese Andrea-Elisabeth Lutz, sei man schließlich auf das Herz gekommen. Dessen Fragilität hat Richard Kick augenblicklich tief gerührt. Beim ersten Anblick brach er in Tränen aus. "Für mich erklärt dieses Herz so vieles", sagt Kick. Er sieht darin das verletzte Innerste der Opfer.

"Auch wenn ich persönlich diese Arbeit auch auf viele andere Weisen interpretiere, freut es mich, etwas geschaffen zu haben, was die Leute so berührt", sagt Pendry. Doch er bangt auch offen, als Künstler für immer auf das Thema Missbrauch und den kirchlichen Kontext festgelegt zu werden. Pendry ließ die Form des Herzens, reduziert auf 20 mal 20 Zentimeter, noch einmal drucken. "Diesmal in Metall, das ist das allererste Mal, dass diese spezielle Technik beim 3-D-Druck zum Einsatz kommt", sagt er. Danach wurde das Herz mit 24 Karat vergoldet und auf einen steinernen Sockel montiert.

So bringt es nun eine Gruppe von 15 Missbrauchsbetroffenen und sie begleitenden Freunden auf einer Radpilgerfahrt über die Alpen nach Rom. Aufgebrochen dazu sind sie unter großem medialen Interesse am 6. Mai vom Marienplatz aus. "Wir werden es am 17. Mai bei einer Audienz Papst Franziskus übergeben", sagt Richard Kick, der hofft, die Kunst möge für alle etwas in Bewegung bringen, die Betroffenen wie die Gesellschaft, in der sie leben. Über die Herzlosigkeit, mit der die Kirche Aufarbeitung und Hilfe für die Opfer in seinen Augen verschleppt, hat er zu anderen Gelegenheiten klare Worte gefunden.

Wer sich für Michael Pendrys großes Heart interessiert, der kann es demnächst im Außenbereich des Werksviertels wieder im Original sehen. Dort hat der Künstler auch ein Atelier. Und wenn die Verhandlungen gutgehen, die Pendry seit geraumer Zeit führt, dann schwimmt im nächsten Jahr sogar noch eine 30 mal 30 Meter Riesenvariante des Herzens im Hudson River von New York.

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