Süddeutsche Zeitung

Auszeichnung der Ehrenbürger:"Wir müssen aufpassen, dass die Stadt nicht an ihrem Reichtum erstickt"

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Oberbürgermeister Dieter Reiter ehrt im Alten Rathaus Doris Dörrie, Ernst Grube, Hannelore Kiethe, Hans Podiuk und in Abwesenheit Walter Zöller. Jeder der fünf hat seinen eigenen Blick auf die Stadt.

Von Sabine Buchwald

Was haben die Münchner Ehrenbürger eigentlich davon, Ehrenbürger der Stadt zu sein? Außer der Ehre natürlich, zu diesem kleinen Kreis der Auserkorenen zu gehören? Doris Dörrie weiß es nicht. Die Regisseurin, Schriftstellerin und HFF-Professorin zuckt mit den Schultern, während sie die Tafeln studiert, auf denen klingende Namen aus der Stadtgeschichte wie Leo von Klenze, Gabriel von Seidl, Max von Pettenkofer stehen. Auch sie wurden ihrerzeit zu Ehrenbürger Münchens ernannt, so wie nun Doris Dörrie, Ernst Grube, Hannelore Kiethe, Hans Podiuk und Walter Zöller. Die quadratischen Platten hängen im oberen Foyer des Alten Rathauses. Auf zwei Stück verteilt sind nun auch schon die Neuen verewigt, säuberlich aufgepinselt in Rot und Schwarz von der Malerin Marion Kropp.

Dörrie ist schon früh gekommen zu der offiziellen Verleihung am Montagabend. Sie sitzt in einer Ecke, lehnt die gereichten mundgerechten Waffeltütchen, gefüllt mit Hummus, Currycreme und Guacamole, beharrlich ab. Noch ist die Lautstärke im Foyer so, dass man sich gut unterhalten kann. Sobald sich der hohe Raum mit Menschen füllt, wird dies immer schwieriger. Sie habe aus der SZ von der Ehrung erfahren, erzählt Dörrie mit einem feinen Lächeln, und während sie weiter die Namensliste studiert, formt sich Kritik in ihrem Kopf. Fast nur Männernamen. München sei so viel diverser und bunter, das bilde sich hier nicht ab, sagt sie. Sie finde, die Stadt könnte in dieser Hinsicht insgesamt ein bisschen Gas geben. Später im Saal, nachdem sie die Urkunde aus den Händen von Oberbürgermeister Dieter Reiter erhalten hat, betont die 1955 in Hannover geborene Regisseurin ihre Liebe zu München. "Es ist meine Stadt geworden", sagt sie, ihr "Magic Minga". Dann ergreift sie die Gelegenheit zu mahnen: "Wir müssen aufpassen, dass die Stadt nicht an ihrem Reichtum erstickt."

Doris Dörrie ist nun eine von neun Frauen, denen die Ehrenbürgerwürde verliehen wurde. Sie werden vom Ältestenrat des Stadtrats vorgeschlagen, weil sie Vorbildliches für die Stadt geleistet haben. Nur neun Frauen von 66 ausgezeichneten Münchnerinnen und Münchnern? Als Reiter diese Zahl in seiner Begrüßungsrede erwähnt, fällt ihm das Ungleichgewicht augenblicklich auf. Immerhin sei es erneut ein Schritt in die richtige Richtung, betont er. In den ersten 175 Jahren seien überhaupt nur Männer berücksichtigt worden. Die Ehrenbürgerwürde ist die höchste Auszeichnung, die eine Kommune in Bayern zu vergeben hat. Die Möglichkeit dazu gibt es seit dem Jahr 1818. Der erste Ehrenbürger wurde zwei Jahre später der Staatsbeamte Georg Friedrich von Zentner. Einige Male wurde die Auszeichnung auch wieder abgesprochen. In der aktuellen Namensliste klafft eine Lücke zwischen 1931 und 1949.

1995, also vor 28 Jahren, bekam mit der langjährigen FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher (1921-2016) erstmals eine Frau das Ehrenbürgerrecht. Zuletzt wurde 2022 der früheren Bürgermeisterin Christine Strobl die Auszeichnung überreicht. Und doch sind unter den fünf Geehrten dieses Jahr wieder nur zwei Frauen. Mit Dörrie eben noch Hannelore Kiethe, Mitgründerin und Vorsitzende der Münchner Tafel. Dynamisch springt sie im schwarzen Hosenanzug auf die Bühne. In einem Imagefilm wird die Großmarkthalle als ihr wichtiger Arbeitsplatz gezeigt. Die Münchner Tafel verteilt mittlerweile gut 6,7 Millionen Kilogramm gespendete Lebensmittel im Jahr an Bedürftige. Fast 1000 ehrenamtliche Mitarbeiter seien inzwischen an den 28 Ausgabestellen und 100 Sozialstationen im Einsatz. "Ich sehe die Ehrenbürgerwürde als Auszeichnung für alle Mitarbeiter", sagt Kiethe. "Es berührt mich." Abseits der Bühne ruft sie der gratulierenden Kommunalreferentin Kristina Frank zu. "Ohne das Team wäre ich nichts." Und dann erzählt sie, wie sehr sie die zunehmende Armut in München bedrücke. Wenn etwa weinende Mütter bei der neu eingerichteten Hotline der Tafel anriefen, weil sie kein Essen mehr für ihre Kinder hätten. Der Rückhalt in der Bevölkerung und der Sponsoren aber stärke ihr und dem Team den Rücken.

Berührt, zufrieden, aber auch nachdenklich zeigt sich Ernst Grube. "Die Aufmerksamkeit, die ich jetzt erfahre, freut mich sehr", sagt der gebürtige Münchner. "Aber ich habe sie mir erkämpft." An der weiß gedeckten Ehrentafel, wo es später Puten-Roularde oder gefüllte Zucchiniblüten gibt, hat der 90-Jährige seinen Platz neben OB Reiter. Seit Jahrzehnten erzählt Grube unermüdlich in Vorträgen und in Schulklassen von seinen Erlebnissen während der NS-Zeit. Er musste Jahre seiner Kindheit im Heim verbringen und wurde mit seiner jüdischen Mutter und den Geschwistern schließlich 1945 aus dem KZ Theresienstadt befreit. Seine Gedanken seien bei den Eltern, sagt Grube. Bei seinem bekennend kommunistischen Vater, der sich von der jüdischen Mutter nicht haben scheiden lassen und immer für die Familie kämpfte. Das Erinnern ist Grube so wichtig. "Ich wünsche mir, dass unsere Arbeit beachtet wird."

Mit Hans Podiuk, 76, und Walter Zöller, 82, gehören zwei langjährige CSU-Stadträte zu den neuen Ehrenbürgern. Nur Podiuk ist gekommen, sein Parteikollege ist wegen eines Beinbruchs verhindert. Er habe nicht mit dieser Auszeichnung gerechnet, sagt Podiuk. "Ich war ja nicht der Inbegriff des Friedensfürsten." 42 Jahre sei er nahezu täglich im Rathaus gewesen und sogar OB-Kandidat. Dafür, so Dieter Reiter, hätte er eigentlich die Tapferkeitsmedaille verdient. Mit der Ehrenbürgerwürde, klärt der Rathaus-Chef am Ende auf, seien weder Rechte noch Pflichten verbunden.

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