Süddeutsche Zeitung

Kitas in Kirchseeon:"Ich mache tagtäglich nichts anderes, als Erzieher zu suchen"

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In Kirchseeon gibt es genügend Platz in den Kitas. Weil aber so viel Fachpersonal abwandert, wird die Warteliste für Familien immer länger.

Von Andreas Junkmann, Kirchseeon

Ein Umzug von der Stadt aufs Land bringt vermeintlich einige Annehmlichkeiten mit sich, wie etwa mehr Ruhe, weniger Wohnkosten und eine gute Betreuung der Kinder. Ob das auch die Motivation der rund 20 Familien war, die sich in den vergangenen Monaten im Markt Kirchseeon niedergelassen haben, ist zwar nicht verbürgt. Falls dem aber so war, dürfte sich inzwischen Ernüchterung in den neuen trauten Heimen breit gemacht haben. Denn wie nun bekannt geworden ist, können die Kirchseeoner Kindertageseinrichtungen den starken Zuzug nicht mehr stemmen. Das wiederum hat auch mit den steigenden Lebenshaltungskosten am Ort zu tun.

"Es ist katastrophal", sagte Angela Parschiller von der Abteilung Soziales, Familie und Senioren in der jüngsten Gemeinderatssitzung am Montagabend über die Betreuungssituation. Die Familienbeauftragte arbeitet schon viele Jahre im Kirchseeoner Rathaus, eine derartige Lage habe sie allerdings noch nie erlebt. Viele Leute würden vor allem wegen der Kita-Plätze in die Marktgemeinde ziehen, diese seien aber inzwischen rar geworden, so Parschiller. 17 Kinder seien heuer wegen der Pandemie nicht eingeschult worden und würden ein weiteres Jahr im Kindergarten bleiben. Dazu kommen die rund 20 Familien, die erst kürzlich in den Markt gezogen sind - fast alle aus München. Keinem dieser Kinder kann die Gemeinde einen Betreuungsplatz anbieten, die Warteliste wird immer länger. "Die Situation ist wirklich verschärft."

Dieser Engpass hat laut der Familienbeauftragten mehrere Gründe: Neben dem starken Zuzug von Familien aus der Landeshauptstadt, wandert auf der anderen Seite immer mehr qualifiziertes Erziehungspersonal gen München ab. Teilweise würden Leute direkt aus den Einrichtungen abgeworben, berichtete Parschiller den Gemeinderäten. "Da werden Kopfprämien bis zu 1500 Euro gezahlt", so die Familienbeauftragte. Zudem gewähre die Landeshauptstadt den Mitarbeitern eine Großraumzulage und übernehme manchmal sogar deren Fahrtkosten. Für viele Angestellte ist das offenbar Grund genug, den Kirchseeoner Einrichtungen den Rücken zu kehren. Zumal, wie Angela Parschiller sagte, die Lebenshaltungskosten in der Marktgemeinde inzwischen ähnlich hoch seien wie in München.

Der personelle Engpass führt in Kirchseeon nun zu einer bizarren Situation: "Wir haben viele freie Plätze, können sie aber nicht besetzen, weil kein Personal da ist", sagte Parschiller. Demnach sind derzeit 20 Kindergarten- und 24 Krippenplätze verwaist. Zeitweise mussten sogar Gruppen geschlossen werden. Dabei sah sich die Marktgemeinde in Sachen Kinderbetreuung eigentlich ganz gut gerüstet. Das vor rund einem Jahr fertiggestellte Haus für Kinder in der Münchner Straße sollte die Versorgung über Jahre sichern - nun mangelt es an Mitarbeitern, die die Betreuung der freien Plätze übernehmen können. "Wenn Personal da wäre, würden wir alle Kinder unterbringen", sagte jedenfalls Angela Parschiller.

"Wer alleinstehend ist, kann sich hier keine Wohnung mehr leisten"

Doch auch das scheint nur eine Momentaufnahme zu sein. Wenn der Zuzug in die Gemeinde weiterhin so steige, gebe es der Familienbeauftragten zufolge in zwei Jahren auch keine freien Plätze mehr. Parschiller appellierte deshalb an den Gemeinderat, schnellstmöglich nach Lösungen zu suchen. Das Thema habe er bereits auf der Agenda, sagte dazu Bürgermeister Jan Paeplow (CSU). "Es gibt bereits einige gute Ideen. Die sind aber noch nicht vollständig ausgereift", so der Rathauschef, der etwa eine eigene Erzieherschule am Ort vorschlug. Davon könne nicht nur Kirchseeon, sondern der ganze Landkreis profitieren. Als erste Maßnahme hat die Gemeinde unterdessen eine Wohnung für neues Kita-Personal bereitgestellt, "damit das schon mal kein Hinderungsgrund ist", wie Paeplow sagte.

Dass die Marktgemeinde mit ihren Problemen nicht alleine ist, bestätigte Thomas Kroll (SPD), der beim Awo Kreisverband München-Land arbeitet. "Ich mache tagtäglich nichts anderes, als Erzieher zu suchen", sagte er in der Sitzung. Er sprach sich dafür aus, dass auch Kirchseeon den Mitarbeitern eine zusätzliche Arbeitsmarktzulage zahlen solle, wie es inzwischen auch im Landkreis München gehandhabt werde. Denn: "Wer alleinstehend ist, kann sich hier keine Wohnung mehr leisten", so Kroll.

Eine zusätzliche Unterstützung begrüßte das Gremium zwar, allerdings stellte sich auch die Frage der Finanzierbarkeit. Hier konnte aber Kämmerin Christiane Prosser etwas beruhigen: Beim kommunalen Haushalt sei man heuer trotz Corona "gut im Rennen". Demnach habe der Markt bisher rund 3,5 Millionen erwirtschaftet - was unter anderem wiederum mit dem starken Zuzug zusammenhängt. Die Einnahmen aus der Grunderwerbsteuer liegen bereits jetzt schon 50 Prozent über dem ursprünglichen Planansatz. Neue Familien sind für den Markt Kirchseeon also grundsätzlich lukrativ, ob diese sich mit einem Umzug aufs Land derzeit aber selbst einen Gefallen tun, steht auf einem anderen Blatt.

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SZ vom 15.09.2021
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