Süddeutsche Zeitung

Dachau:Sehnsuchtsort Capri

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Zwei Ausstellungen in Dachau spüren dem Faszinosum nach, das Künstler seit dem 19. Jahrhundert auf die Insel zieht und manchen auch zum Dableiben verleitet.

Von Sabine Reithmaier, Dachau

Capri ist seit jeher ein Ort für Aussteiger. Das ging schon mit dem römischen Kaiser Tiberius los, der auf der Insel im Jahr 27 nach Christus die Villa Jovis baute. Über Regierungsgeschäfte verständigte er sich mit seinem Präfekten in Rom via Signalfeuer und genoss ansonsten ungestört sein Leben. Seinem Beispiel folgten, Jahrhunderte später, Maler, Schriftsteller, Großindustrielle, an die heute Villen oder Straßennamen erinnern. Einer davon, der französische Schriftsteller Jacques d'Adelswärd-Fersen (1880-1923), baute nach einem Skandal wegen seiner Beziehungen zu einem Pariser Schulbub die Villa Lysis, wo er mit seinem Freund lebte. Homosexuelle Neigungen unterstellte die Klatschpresse auch Friedrich Alfred Krupp (1854-1902), der in den Wintermonaten von 1899 bis 1902 auf Capri weilte und die Tiefseefauna im Golf von Neapel erforschte. Für ihn waren die Beschuldigungen nicht nur gesellschaftlich tödlich, der schwerkranke Unternehmer starb wenige Wochen nach der Veröffentlichung der Artikel.

Doch lang vor Krupp und Fersen hatten die Künstler Capri für sich entdeckt, allen voran die deutschen Landschaftsmaler, die die Insel als Ideal ihrer romantischen Sehnsüchte entdeckten. Ihren Sichtweisen, aber auch den Perspektiven italienischer Kollegen spürt eine Ausstellung in der Gemäldegalerie Dachau nach. Den Anschluss in die Gegenwart liefert, nur wenig Schritte entfernt, die Neue Galerie Dachau mit aktuellen Positionen.

Goethes "Italienische Reise" erschien 1813/14. Wenige Jahre später, im Jahr 1825, entdeckte der Schriftsteller August Kopisch die schon in der Antike genutzte Blaue Grotte wieder, das endgültige Startsignal für bildungsbeflissene Künstler wie Carl Morgenstern, Max Haushofer, Joseph Rebell oder Oswald Achenbach. Ob Capri im Abendrot, im Morgendunst oder in der hellen Mittagssonne -schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hielten sie die Insel in unterschiedlichsten Stimmungen fest. Ihnen folgten ungezählte andere Maler, darunter Ludwig Dill. Dem Vertreter der Künstlerkolonie Dachau bekam die Bootsfahrt zur Blauen Grotte allerdings nicht gut. Seekrank ließ er sich am felsigen Ufer absetzen. "Ich klebte an der Wand wie eine Krott ... Vor mir glatter Fels ... über mir der boshaft lachende Himmel, unter mir das grausliche Meer, in mir der würgende Magen", schreibt er in seinen Lebenserinnerungen. Seinen Capri-Bildern sieht man die Tortur nicht an.

Dills Kollege Arthur Langhammer reiste nicht nur der Bildung wegen an. Er kam, um im Auftrag eines Verlages die Kunstschätze Italiens zu illustrieren. Und Friedrich Thömig, ein anderer Maler, spezialisierte sich auf Andenkenbilder von der Blauen Grotte. Er verkaufte gut - jedenfalls bis Ansichtskarten sein Geschäftsmodell ruinierten. Auch Malerinnen begeisterten sich für das Licht und die Farben der Insel: Elise Mahler hielt Capris zweites Wahrzeichen, die Faraglioni-Felsen, intensiv rot leuchtend in einem knallblauen Meer fest. Malwida von Meysenbug (1816-1903) hingegen, 1901 Kandidatin für den Literaturnobelpreis, malte 1843 einen Grottenblick aufs offene Meer hinaus, ohne die Insel betreten zu haben.

Einen guten Kontrast zur empfindsamen deutschen Seele bilden die Gemälde italienischer Maler, meist Künstler, deren Namen hierzulande weitgehend unbekannt sind. Sie wählen andere Farben als ihre deutschen Kollegen, ihr Capri wirkt wärmer, sommerlicher. Ihnen genügt auch die Landschaft nicht, sie erzählen Geschichten, malen Fischer beim Flicken ihrer Netze oder spielende Kinder am Strand. Und bei Attilio Pratella darf sogar die rote Sonne im Meer versinken.

Viel düsterer sind die Bilder des frühen Aussteigers Karl Wilhelm Diefenbach (1851-1913). Der Maler zog 1899 mit seinen Anhängern nach Capri. Schon früh war er für ein Leben im Einklang mit der Natur eingetreten, hatte für fleischlose Ernährung und Freikörperkultur plädiert, Religion und Monogamie abgelehnt. In Bayern, wo der "Kohlrabi-Apostel" lang lebte, kam das nicht gut an. Nach Aufenthalten in Ägypten und Wien ging er nach Capri, lebte dort bis zu seinem Tod. Famos sind die Gemälde seines Jüngers Paul von Spaun. Die Capri-Seestücke des österreichischen Adeligen verblüffen durch ihre fotografische Genauigkeit. Hinreißend auch die Kohlezeichnungen Bruno Wersigs, eines weiteren Gefolgsmanns von Diefenbach.

Die Villa eines anderen Exzentrikers stellt die Neue Galerie vor. Der Hamburger Fotokünstler Klaus Frahm hatte 1999 die Gelegenheit, die Villa des italienischen Schriftstellers Curzio Malaparte (1891-1957) zu fotografieren. Fasziniert von den Lichtachsen hat er spektakuläre Aus- und Einblicke eingefangen. "Ein Haus wie ich: traurig, hart, ernst", merkte Malaparte zu dem roten Gebäude an, das zehn Meter breit, 50 Meter lang, auf einem Felsenvorsprung 32 Meter über dem Meer gelegen ist, mit einer imposanten Freitreppe und einer nach allen Seiten offenen Terrasse. Er vererbte das Haus der "kommunistischen Jugend Chinas", ein Vermächtnis, das der italienische Staat erfolgreich anfocht.

Auch die zeitgenössischen italienischen Künstler bleiben für den poetischen Zauber der Insel empfänglich. Capri ist auch bei ihnen schön, sogar im Winterregen, wie die Aufnahmen des Capresen Enrico Desiderio zeigen. Raffaela Mariniello, Künstlerin aus Neapel, konzentriert sich auf touristenfreie Zonen, hält Boote, römische Mauerreste, Fischernetze fest. Oder leere Restauranttische, deren weiße Tischdecken in der Langzeitbelichtung verschwimmen. Gianluca Fredericos Installation ist ein witzig-wildes Sammelsurium, bestehend aus einem deutschen Reiseführer, Thunfischen, Wellensittichen, Eidechsen, Quallen oder Glaskugeln, die einst die Position von Fischernetzen markierten, bevor sie durch Plastikbojen ersetzt wurden. Alles nah am Kitsch, aber trotzdem stimmig einschließlich des Fotos von Antonio Spadaro, dem Fischer, mit dem Monika Mann, die ungeliebte Tochter von Thomas und Katja Mann, mehr als 30 Jahre auf Capri zusammenlebte.

Den Beinamen Zauberinsel verdankt Capri übrigens Rainer Maria Rilke, der 1907 und 1908 hier weilte und dort auf Maxim Gorki traf. Der lasse sich, schrieb Rilke in einem Brief, als "Anarchist" feiern. Angenehmerweise aber werfe er "vorderhand statt Bomben Geld unter die Leute".

Zauberhaftes Capri. Ein Paradies für Künstler, bis 12. 3., Gemäldegalerie Dachau.

Saluti da Capri! Eine Insel zwischen Idylle und Tourismus, bis 12.3., Neue Galerie Dachau

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