Capri, man kann sich das heutzutage kaum noch vorstellen, zumal während der Sommermonate, war über lange Jahrhunderte hinweg eine Insel der Einsiedler. Aber schon einer der ersten dieser Sonderlinge hat jene Saat gestreut, die Jahrhunderte später aufgegangen ist, seither kräftig sprießt und spätestens seit einem Vierteljahrhundert vollends ins Kraut schießt: Capri ist im 18. Jahrhundert Ziel des Tourismus und nach dem Zweiten Weltkrieg Ziel des Massentourismus geworden. Seit den 1980ern kommen auch noch die Reichen und Schönen. Und all das geht zurück bis auf Kaiser Tiberius, der von der kleinen Felseninsel im Golf von Neapel aus in den Dreißigerjahren des ersten Jahrhunderts das Römische Reich regiert hat. Und ein Leben abseits gesellschaftlicher Normen geführt haben soll, wenn man den nachgeborenen antiken Historikern Tacitus und Sueton glauben mag - was die Geschichtsschreibung inzwischen nur eingeschränkt tut.
Die deutschen Romantiker suchten die blaue Blume
Kaiser Tiberius hat aus Capri jedoch in jedem Fall eine schizophrene Insel gemacht, bis in die Gegenwart findet man vielfältige Paradoxa auf engstem Raum. Ein Nebeneinander von Lebenseinstellungen, die unterschiedlicher kaum sein können, ist typisch für diese Insel. Insofern hat sich Capri auch selten einmal festlegen lassen auf ein bestimmtes Image, auch wenn das unentwegt versucht wird - weil eben das Gegenteil mitunter auch stets gilt. Vor allem Dieter Richter zeigt diese Zusammenhänge und Widersprüche auf in seinem Porträt "Die Insel Capri".
Richter, emeritierter Professor für kritische Literaturgeschichte, hat die engeren Grenzen seines Fachs längst hinter sich gelassen. Mit dem Capri-Buch schließt er eine Trilogie über den Golf von Neapel ab, zu der auch Bände über die Stadt Neapel und den Vesuv gehören. Es sind Erzählungen darüber, wie vor allem Künstler das Bild einer Region prägen und damit die Idee, die sich in diesem Fall von Capri allmählich festsetzt. Ähnlich belesen und informiert, aber weniger elegant folgen Ruth Negendanck und Claus Pese den Spuren deutscher Künstler für ihren Band über die "Zauberinsel Capri".
Die Künstlerepoche auf der Insel wird gern verklärt
Es waren die deutschen Romantiker, die glaubten, um 1800 auf der Suche nach der sinnbildlichen blauen Blume auf Capri ein Arkadien gefunden zu haben. Auf einer kargen Insel, die gehörig verklärt werden musste, um auf ihr ein Paradies zu entdecken. Die Sichtweise der Bewohner und der ersten Besucher ist eines der Paradoxa, die Capri prägen. Heute ist es das Nebeneinander von Luxus- und Massentourismus. In den Jahren des Faschismus lebten zeitweilig Häscher und Verfolgte zur selben Zeit auf der Insel.
Da sind Negendanck und Pese jedoch bereits am Ende ihrer Ausführungen angelangt. Ihr Fokus liegt auf dem 19. Jahrhundert, sie widmen mehr als sechs Dutzend Künstlern kleine Kapitel, und man muss schon passioniert sein, um sich für Menschen, die genauso wie ihre Werke überwiegend so gut wie vergessen sind, dennoch zu interessieren. Martin Mosebach, auch er ein Liebhaber der Insel, schreibt in einem begleitenden Aufsatz: "Es ist keines der großen Werke auf Capri entstanden, es war eher die Boheme, die sich hier tummelte, der Künstlertypus, der seine Lebensform zum Kunstwerk erhebt."
Auf diese Lebensformen zielt Dieter Richter ab, er tritt Capri ideengeschichtlich entgegen. Und verlieren sich nicht in Biografien, sondern schildert anhand der vielen Einflüsse die faktischen und geistigen Umformungen der Insel. Dabei bleibt er nicht in der gerne verklärten Künstlerepoche der Insel haften, sondern führt seine Überlegungen bis in die Gegenwart fort. Und erklärt, wie Capri zu dem geworden ist, was es heute darstellt.
Ruth Negendanck, Claus Pese : Zauberinsel Capri. Auf den Spuren deutscher Künstler. Wienand -Verlag, Köln 2018. 336 Seiten, 29,80 Euro. Dieter Richter : Die Insel Capri. Ein Porträt. Wagenbach -Verlag, Berlin 2018. 224 Seiten, 14,90 Euro.