Süddeutsche Zeitung

Katalonien:Altes Feindbild

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Spanien soll katalanische Separatisten ausgespäht haben. Die Vorwürfe sind brisant - und könnten den Konflikt um die Unabhängigkeit neu entfachen.

Kommentar von Karin Janker

Das Urteil der Separatisten ist notorisch: Spanien sei keine vollwertige Demokratie, sondern ein repressives Regime. Eben deshalb wolle man in Katalonien einen eigenen, gerechteren und demokratischeren, einen besseren Staat schaffen. Dieses Versprechen hielt die katalanische Unabhängigkeitsbewegung lange Zeit am Leben. Sie war doppelt attraktiv: einerseits für Weltverbesserer, die an die Utopie glaubten, und andererseits für machtbewusste Politiker, die sie propagierten. Inzwischen ist die heiße Phase des Katalonienkonflikts vorüber, es zeigt sich, dass der Dialog mit Madrid vermutlich doch mehr Früchte trägt als der aufgeheizte Kampf gegen das Feindbild vom faschistischen Spanien.

Doch nun droht das alte Narrativ plötzlich neuen Stoff zu bekommen. Recherchen des Citizen Lab, eines renommierten Forschungsinstituts in Toronto, mit dem auch die Süddeutsche Zeitung schon zusammengearbeitet hat, legen nahe, dass in den vergangenen Jahren mindestens 65 katalanische Politiker, Aktivisten und Menschen aus deren privatem Umfeld unter anderem mit der Spionage-Software Pegasus ausgespäht wurden, mutmaßlich vom spanischen Geheimdienst CNI oder einem anderen staatlichen Organ. Es steht der Verdacht im Raum, dass hier spanische Bürger vom spanischen Staat abgehört wurden. Ob es dafür eine juristische Grundlage gab, ist ebenso offen wie die Frage, wer diese Aktion in Auftrag gegeben oder sie zumindest gebilligt hat.

Brisant ist vor allem der Zeitpunkt der Cyberangriffe: Diese fanden teils erst knapp drei Jahre nach dem Unabhängigkeitsreferendum statt, das als verfassungswidrig und illegal eingestuft wurde und den Initiatoren hohe Haftstrafen einbrachte. Es erscheint nachvollziehbar, dass ein Staat sich in solch einem Konflikt mit allen ihm rechtlich zustehenden Mitteln gegen verfassungsfeindliche Bestrebungen wehrt. Doch Monate und Jahre danach? Ein Teil der Angriffe ereignete sich erst im Sommer 2020, da war der Katalonienkonflikt längst abgekühlt. In Madrid regierte damals bereits ein Premier, der auf die Unterstützung katalanischer Separatisten im Parlament angewiesen ist und bisher glaubhaft versichert hat, er sei an Dialog und Aussöhnung zwischen Madrid und Barcelona interessiert.

Es geht darum, zerstörtes Vertrauen wiederherzustellen

Nach dem Bekanntwerden der Spionagevorwürfe ließ Pedro Sánchez nun ausrichten, die spanische Regierung habe nichts zu verbergen. Sie lasse außerdem nicht zu, dass die Qualität der Demokratie in Zweifel gezogen werde. Doch diesen Worten müssen Taten folgen. Die lapidare Versicherung, Spanien respektiere die Rechte seiner Bürger, genügt nicht angesichts derart unerhörter Vorwürfe. Es geht nun darum, zerstörtes Vertrauen wiederherzustellen.

Die Pegasus-Recherchen der vergangenen Monate machten vor allem eines deutlich: Es braucht in der EU eine verlässliche rechtliche Grundlage, auf der Spionage-Software von demokratischen Rechtsstaaten eingesetzt werden darf. Gibt es diese nicht, drohen fundamentale Bürgerrechte, die immer auch Abwehrrechte vor staatlichen Übergriffen sind, zu erodieren.

Kataloniens Regionalpräsident Pere Aragonès ist in dieser Situation hoch anzurechnen, dass er nicht geifernd nach Wiedergutmachung ruft, sondern sachlich Aufklärung von der spanischen Regierung verlangt. Diese Forderung ist legitim. Aufklärung ist zwingend notwendig, wenn die Propagandisten des alten Feindbilds nicht neuen Zulauf bekommen sollen.

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