Süddeutsche Zeitung

Autobahnen:Kriechen, rasen, kriechen

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Weniger Staus und weniger Tote, weniger Schwerverletzte: Neuerdings fordert auch die SPD ein Tempolimit. Was daraus nach der Wahl wohl wird?

Kommentar von Markus Balser

War eine solche Gemeinsamkeit zu erwarten? Weltweit gilt in fast jedem Land der Erde eine Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen. Neben Deutschland möchte gerade noch Haiti ein Paradies für Schnellfahrer sein. Ist es aber nur theoretisch. Mehr als Tempo 30 ist wegen der Straßenverhältnisse dort meist gar nicht drin.

Dass die anderen Länder gut mit einem Tempolimit fahren, beeindruckt CDU und CSU weiterhin nicht. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) kanzelte Forderungen nach einer generellen Geschwindigkeitsbegrenzung stets ab. Sie seien "gegen jeden Menschenverstand", befand er und sprach von "unverantwortlichen" Gedankenspielen. Dabei ist vor allem eins unverantwortlich: Auf den meisten Autobahnkilometern jedes Tempo zu erlauben.

Wo die Leute langsamer fahren, gibt es weniger schwere Unfälle

Denn Verkehrsstatistik und Fachleute machen klar, dass es einen klaren Zusammenhang zwischen Verkehrssicherheit und Tempo gibt. Wo Autofahrer weniger schnell fahren, passieren weniger schwere Unfälle. Die Deutschen kämen oft wohl nicht mal später an, führen sie langsamer: Studien zeigen, dass ein Tempolimit insgesamt den Verkehrsfluss verbessert und Staus verhindert. Die SPD scheint das nun begriffen zu haben: In ihrem Wahlprogramm fordert sie ein Tempolimit, wie schon Grüne und Linke. FDP und AfD sind, wie die Union, dagegen.

Die Gefahren des hohen Tempos sind auch der Regierung bekannt. In teuren Kampagnen bittet die Politik die Deutschen, doch freiwillig zu bremsen. So finanziert das Verkehrsministerium die Initiative "Runter vom Gas". Unangepasste Geschwindigkeit, warnt sie, sei bei Unfällen mit Todesfolge Unfallursache Nummer eins. Daraus endlich Konsequenzen ziehen? Das traut sich seit Jahrzehnten keine Bundesregierung. Zu groß war stets der Lobbydruck, zu groß die Sorge, von Wählern abgestraft zu werden. Denn zur Wahrheit gehört: Die Debatte spaltet die Deutschen.

Hasenfüßig bewahrt die Politik auf diese Weise ein Relikt der alten PS-Republik. Doch die Zeiten ändern sich. Elektroautos eignen sich kaum für Rennen auf Autobahnen. Wer die Reichweiten ausreizen will, fährt besser langsam - erst recht bei lückenhaften Ladenetzen. Und autonome Autos werden kaum schneller fahren als 130. Sensoren und Computer könnten allzu unterschiedliche Geschwindigkeiten kaum bewältigen. Dass ein Tempolimit fehlt, gilt vielen in der Industrie gar als Hindernis für die Entwicklung der Zukunftsautos.

Was ist das eigentlich für ein Freiheitsbegriff?

Auch dem Klima könnte das Limit helfen. Es wäre ein einfaches Mittel, jedes Jahr zwei Millionen Tonnen CO₂ einzusparen. Das ist zwar nur ein Bruchteil des gesamten Treibhausgasausstoßes in Deutschland. Aber immerhin. Und es würde, anders als Aufschläge aufs Benzin, ja nicht mal etwas kosten. Die Angst um Jobverluste ist übertrieben. Ferraris verkaufen sich weltweit, obwohl in Italien längst Tempo 130 gilt.

Die Gegner des Tempolimits verteidigen zudem eine höchst fragwürdige Freiheit: die Freiheit derer, die gern mal das Gaspedal durchdrücken wollen. Dabei muss die Freiheit des Einzelnen da enden, wo sie zur Gefahr für andere wird - deshalb ja auch ein Rauchverbot in Restaurants und Flugzeugen. Und so ist es auch bei den längst akzeptierten Geschwindigkeitsbeschränkungen in Städten oder auf Landstraßen. Nach der Wahl wird sich auch bei den Autobahnen zeigen, ob die nächste Regierung Mut zur Veränderung hat.

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