Süddeutsche Zeitung

Demokratie:Australien zeigt, wie's geht

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Die Wahl hält eine ermutigende Lehre bereit: In einer Demokratie muss keiner die Schuld an Missständen auf "die da oben" abwälzen, denn die Macht hält jeder Einzelne selbst in der Hand.

Kommentar von Thomas Hahn

Die Fatalisten reden Unsinn. Sie sagen, der Normalmensch könne nichts machen, keinen Einfluss nehmen auf die Macht, die Welt nicht in die richtige Richtung lenken. Stimmt nicht. In Australien hat die Basis gerade eine selbstgefällige Mitte-rechts-Regierung weggefegt. Bürgerbewegte stellten sich zur Wahl, Unzufriedene folgten ihnen, Wählerinnen und Wähler trafen klare Entscheidungen. In einer funktionierenden Demokratie kann man nicht immer alles auf "die da oben" schieben. Man muss sich beteiligen an den politischen Prozessen, dann ändert sich auch etwas.

Die Parlamentswahl in Australien ist in vielerlei Hinsicht ermutigend gewesen. In Labor gewann die Partei mit dem ausgewogenen Parteiprogramm gegen die eher einfältige Koalition aus Liberaler und Nationaler Partei. Der neue Premierminister Anthony Albanese ist ein versöhnender Politiker, kein spaltender wie der abgewählte Scott Morrison. Vor allem aber: Vertreterinnen und Vertreter einer rechtskonservativen Elite haben gegen grüne oder unabhängige Vernunftmenschen verloren, die die Nase voll haben vom umweltpolitischen und moralischen Stillstand ihrer Nation.

Die Energiewende ist jetzt ein Auftrag der Wähler an Politik und Wirtschaft

Der Klimawandel war laut einer Umfrage des Senders ABC für die meisten das wichtigste Thema bei dieser Wahl. Damit sendet Australien ein starkes Zeichen an den Rest der Welt. Das Land, das wegen seiner klimatischen Bedingungen die Folgen der Erderwärmung deutlicher spürt als andere Wohlstandsnationen, hat verstanden: Die Warnungen der Wissenschaft werden wahr, die Energiewende muss sein. Der größte Kohleexporteur der Welt soll sein Potenzial nutzen und zum größten Hersteller erneuerbarer Energie werden. Das ist jetzt nicht mehr nur eine Forderung wilder Aktivisten. Sondern ein Auftrag der Mehrheit, den Staat und Wirtschaft umsetzen müssen.

Abgewählt wurde die alte Regierung außerdem vor allem von berufstätigen Frauen. Noch ein starkes Zeichen: Der breitbeinige Machismo eines Morrison hat ausgedient. Gleichstellung ist eine gesellschaftliche Norm, über die man nicht ständig hinweghudeln kann. Und Gleichstellung bedeutet natürlich auch: Respekt vor Minderheiten, Umsicht im Verhältnis zu anderen.

Die Welt ist zu kompliziert geworden für Nationalisten

Die neue Außenministerin Penny Wong, geboren in Malaysia, eine lesbische Pionierin im Kampf um LGBTQ+-Rechte, ist die Symbolfigur einer modernen Fairness-Gesellschaft. Sie weckt außerdem die Hoffnung auf einen klügeren Ton in der Sicherheitspolitik. Unter der alten Regierung haben die Salomonen ein Sicherheitsabkommen mit China abgeschlossen, das die Stabilität der Pazifik-Region gefährden kann. Das wäre möglicherweise nicht passiert, wenn die Morrison-Regierung dort nicht nur Australiens Pflichten als größter Commonwealth-Partner und Entwicklungshelfer abgearbeitet hätte. Sondern wenn sie auch ein echtes Interesse am kleinen Nachbarn gezeigt hätte.

Die Welt ist zu kompliziert geworden für Nationalisten, die vor allem an Geld und an die eigene Großartigkeit denken. Anthony Albanese tut das nicht. Als Sozialdemokrat vom linken Flügel kann er jetzt beweisen, dass die freie Welt Lösungen hat für die globalen Probleme der Gegenwart. Es wird nicht leicht. Er darf keine Fehler machen, die die Zweifel der Wirtschaftslobby bestätigen. Und er hat wenig Zeit. Die nächste Wahl ist in drei Jahren.

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