Süddeutsche Zeitung

Wahlkampf und Social Media:Ins Amt geklickt

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Philippiner verbringen rund zehn Stunden am Tag am Smartphone. Kein Wunder, dass der Präsidentschaftswahlkampf im Internet heiß läuft, mithilfe einer riesigen Troll-Armee.

Von David Pfeifer, Manila

Vielleicht ist es die letzte große Demonstration am "People Power"-Monument in Manila. Hier begann in den 1980er-Jahren der Aufstand gegen das Regime von Ferdinand Marcos. Er und seine Frau Imelda mussten ins Exil fliehen, aber sie ist wieder zurück, und zwar nicht nur auf der Kundgebungsbühne, wo ein Imelda-Double sich beschwert, wie übel ihrer Familie mitgespielt wurde. Hinter ihr sitzt sogar noch ein Double des Diktators im Rollstuhl. Es ist wie eine Teufelsaustreibung, einige Folteropfer aus der Zeit des Kriegsrechts protestieren an diesem Tag mit jungen Menschen. Sie wollen verhindern, dass der Sohn, Ferdinand Marcos jr., der nächste Präsident der Philippinen wird, wenn am 9. Mai gewählt wird. Doch der wahre Kampf findet nicht hier auf der Straße statt, sondern in den Echokammern der sozialen Netzwerke, wo sich Irrsinn abspielt, der durchaus Auswirkungen auf die echte Welt hat. In allen Umfragen lag Marcos jr. bislang vorne.

"Bei Donald Trump kam es so, und bei Rodrigo Duterte, obwohl keiner es geglaubt hat", sagt der Menschenrechtsanwalt Neri Colmenares, der schon zur Zeit des alten Marcos' Opfer vertreten hat. Er steht neben der Bühne und sieht zu, wie die falsche Imelda ein Loblied auf sich selbst singt, die Menge buht, etwa 3000 Demonstranten sind gekommen. "Es wird auch bei Marcos jr. so kommen", sagt Colmenares, illusionslos, aber freundlich. Der Grund? "Social Media." Mehr als zehn Stunden am Tag hängen die Menschen auf den Philippinen an Bildschirmen, mehr als jede andere Nation der Welt, "sie sind empfänglich für Ablenkung und für simple Botschaften".

Die Menschen denken, dass unter Marcos das Leben besser war. Steht so im Internet

Das Problem haben die Philippinen nicht allein. Neben den realen Gefechten in der Ukraine spielen sich auch auf Instagram, Whatsapp und Youtube Deutungsscharmützel ab. Die meisten Menschen sind davon überzeugt, dass die Russen einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führen - doch in Russland überwiegt in den Umfragen die staatlich gelenkte Überzeugung, man befreie ein befreundetes Land von einer faschistischen Schreckensherrschaft. In Peking denken viele, der Westen habe sich die Räuberpistole mit dem Virus nur ausgedacht, um China kleinzuhalten - während der Rest der Welt Vertuschung durch Peking für möglich hält. Und auf den Philippinen denken mittlerweile viele, dass unter der Marcos-Herrschaft das Leben besser war, auch wenn das belegbar falsch ist. Steht aber so im Internet.

Für die Informationskultur sind die Philippinen eine Art Testlabor. Die Bevölkerung ist sehr jung und wächst dynamisch, 1960 gab es noch etwa 26 Millionen Philippiner, derzeit sind es etwa 110 Millionen, eine Vervierfachung innerhalb von sechs Jahrzehnten. Die jungen Menschen erinnern sich nicht an die düsteren Marcos-Zeiten, sie sind aufgewachsen mit Facebook und Youtube, den mittlerweile mächtigsten Quellen für Informationen im Land. Regulierungen gibt es quasi keine.

Chinesische und russische Trolle sind häufig an ihrem holpernden Propaganda-Sprech zu erkennen, auf den Philippinen aber ist Englisch Amtssprache, die Kultur ist von den USA geprägt, die politischen und popkulturellen Codes sind fast überall einsetzbar. Das macht die Troll-Armeen zu einem attraktiven Arbeitgeber in dem armen Land, Home-Office - kein Problem. "Eigentlich ist Troll-Armee gar kein passender Begriff mehr", sagt Cleve Arguelles, 29, von der Daten-Analyse-Firma "WR Numero Research", in Manila. "Unter einem Troll stellen wir uns einen Einzelgänger vor, der im Keller seines Elternhauses sitzt, nur per Computer mit der Außenwelt Kontakt hält und alle hasst. Aber das, was wir heute erleben, sind klug organisierte und kontrollierte Kampagnen, von gebildeten Menschen, die mutmaßlich zusammenarbeiten." Es ist eine internationale Schattenindustrie entstanden, vermutet Arguelles. Und sie verfeinern ihre Waffen immer weiter.

Viel mehr als eine Überschrift lesen die meisten Menschen ohnehin nicht

Facebook, das auf den Philippinen mit dem Internet gleichzusetzen ist, hat die beiden journalistischen Investigativ-Plattformen Rappler und Vera Files engagiert, um einen Fakten-Check für zweifelhafte Meldungen durchzuführen, die viel Aufmerksamkeit bekommen. So einfach ist das aber nicht, die Trolle sind zu schlau geworden. Beispielsweise kursiert über Leni Robredo, die deutlich qualifiziertere Mitbewerberin von Ferdinand Marcos jr., das Gerücht, sie sei faul. In den Troll-Stücken wird allerdings nur in der Überschrift gefragt, ob sie faul sei - im Artikel wird das Gegenteil behauptet. Das reicht - "viel mehr als eine Überschrift lesen die meisten Menschen ja nicht", sagt Arguelles. Hängen bleibt, dass Robredo faul ist.

Arguelles ist auf die Wirkung von sozialen Medien in Südostasien spezialisiert und derzeit ein gefragter Mann. Er soll immer wieder erklären, wie es dazu kommen kann, dass vielleicht bald erneut ein Marcos die Philippinen regiert, als lernten die Menschen gar nichts aus der Geschichte. Er ist einer von mittlerweile 100 Analytikern der Firma, doch die Troll-Armeen wachsen schneller. Wie viele es davon gibt? "Das wissen wir leider nicht", sagt er.

Eine wichtige Rolle spielten die Troll-Armeen schon bei der Wahl von Rodrigo Duterte 2016, also noch bevor Donald Trump US-Präsident wurde. Wer sich auf Facebook gegen Duterte und seine Hardliner-Sprüche wendete, wurde bepöbelt, "Lügner", "Schwein" - Einschüchterungen. Der Ton ist mittlerweile feiner geworden, aber nicht weniger gefährlich. Wer heute auf Facebook schreibt, dass Ferdinand Marcos jr. seine Steuern nicht richtig gemeldet hat, wird höflich zurückgefragt, wer denn schon gerne Steuern zahle? Wer sich mokiert, dass der Wahlkampf vermutlich mit dem Geld finanziert wird, das die Marcos dem Land geraubt haben, wird gefragt, ob es den Armen damals denn nicht besser ging, als es noch mehr Geld auf den Philippinen gab? Erfolg wird behauptet, Kritik wird zerstreut.

Gegenkandidatin Leni Robredo lässt sich bei langen Reden filmen - guckt aber keiner

"Neben Facebook ist Youtube der zweite große Faktor. Wenn man die Marcos-Kampagne anklickt, gerät man rasch in ein Rabbit-Hole, klickt sich von einem Clip zum nächsten, die sind sehr gut produziert", erklärt Arguelles. "Es fühlt sich nach dem fünften oder sechsten Clip so an, als wollen die Dschihadisten rekrutieren." Und was macht die Gegenkandidatin, Leni Robredo? "Die lässt sich bei langen Reden filmen und stellt das ein. So etwas guckt natürlich niemand." Andere Medien mit großer Reichweite gibt es kaum noch. Nach seinem Sieg verlängerte Duterte die Lizenz des großen Fernsehsenders ABS-CBN nicht, weil der Sender im Wahlkampf kritisch über ihn berichtet hatte. Danach wurde es schwer, normale Nachrichten auch in den entfernteren Ecken des Inselstaates zu empfangen.

Zuletzt war ABS-CBN im Jahr 1972 von Ferdinand Marcos senior am Senden gehindert worden, mithilfe des Kriegsrechts, mit dem er das Land autokratisch führte. Dass der Sender wieder frei übertragen können wird, wenn Marcos junior nun mithilfe seiner Troll-Armee gewählt wird? Unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist, dass sie für eine Weile zum letzten Mal demonstriert haben, am Peoples Power-Monument, denn die Marcos wollen die Geschichte zu ihren Gunsten umschreiben. Immerhin, das Manila Bulletin berichtete vergangene Woche, dass Leni Robredo laut einer Facebook-Analyse mittlerweile einen Hauch vor Marcos jr. liegt. Hoffentlich waren es keine Fake News.

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