Süddeutsche Zeitung

Presseschau zur Wahl in Hamburg:"Es ist kein Naturgesetz, dass Populisten immer mehr Zulauf haben"

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Für die meisten Medien ist die Wahl in Hamburg ein Signal aus der Mitte - gegen Hysterie, Panikmache und Ausgrenzung.

Für die Welt ist die Hamburg-Wahl ein starkes, bürgerliches Signal:

"Bürgerschaftswahl heißt die Wahl in Hamburg - und die Bürgerschaft hat gezeigt, wo das Bürgertum steht: in der Mitte, dort, wo Vernunft, Verantwortung und Verlässlichkeit eine Bedeutung haben. Die AfD ist vor dem Aus, eine Partei, die zwar demokratisch gewählt wird, aber die Demokratie verachtet. Die nach den Morden von Hanau noch einmal deutlich gezeigt hat, was sie ist: ein von Hetze, Rassismus und völkischem Gedankengut durchtränkter Verein. Die SPD hingegen kann noch Wahlen gewinnen. Und zwar dann, wenn sie den ganzen sozialistischen Quatsch von Vergesellschaftung, Enteignung und Reichenbashing sein lässt. Wenn sie also das Gegenteil von dem ist, was die Bundesvorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans aus ihr machen wollen."

Auch faz.net erkennt ein Votum gegen Politikverdrossenheit:

Alle Umfragen ließen einen Sieg der SPD erwarten "So ist es gekommen - und das ist die eigentliche Überraschung: Politik- und Politikerverdrossenheit sind kein Schicksal. Offenbar ist es nach wie vor möglich, so in einem Gemeinwesen Verantwortung zu übernehmen, dass den Bürgern nach fünf Jahren der Sinn nicht nach Abwechslung steht."

Und Der neue Tag aus Weiden hofft, dass die Wähler Hysterie, Panikmache und Ausgrenzung satt haben:

"Eine Hoffnung geht um in Deutschland: dass die Wähler in einem der reichsten Länder der Erde nach dem Debakel von Thüringen endlich die Hysterie, Panikmache und Ausgrenzung satt haben. Dass der unauffällige Sozi Peter Tschentscher dabei zum stillen Helden aufstieg, ist kein Zufall. Die hanseatischen Wähler wollen Macher, keine Selbstdarsteller. (...) Noch bei der Europa-Wahl sah es danach aus, als könnte Katharina Fegebank Erste Bürgermeisterin werden. Vielleicht stülpte es aber sogar den 27 000 16- und 17-jährigen Erstwählern den Magen um, wenn Muttis pseudojunge Sprüche raushauen wie: "Es ist eine unglaublich geile Stimmung hier, ich habe noch nie einen so motivierten Haufen an Partei erlebt." (...) Eine Chance auch für die letzten AfD-Mitglieder, die einst wegen der EZB-kritischen Lucke-Fraktion in die Partei einstiegen, innezuhalten, und sich zu fragen: Wollen wir die von der Zeitgeist-Union enttäuschten Konservativen um uns sammeln oder rechtsradikale Irre unterstützen, die vom Putsch träumen?"

Ähnlich die Hannoversche Allgemeine Zeitung:

"Dass der rot-grüne Erfolg mit einer Schwächung der AfD einhergeht, ist ein bemerkenswertes Ergebnis. Nach dem Niedersachsen Stephan Weil (SPD) gelingt es nun auch der rot-grünen Regierung von Peter Tschentscher, die Rechtspopulisten politisch kleinzuhalten, indem ein konsequentes politisches Gegenmodell erfolgreich praktiziert wird. Die AfD scheint gerade dort zu verlieren, wo ihre Themen gelöst, nicht über alle Maßen debattiert werden."

Die Ludwigsburger Kreiszeitung sieht den Fall der SPD trotz ihres Sieges bundesweit noch nicht gestoppt:

"Dass der solide auftretende Bürgermeister Peter Tschentscher weitermachen kann, ist deshalb keine Überraschung. Obwohl auch er in der sozialdemokratischen Hochburg viele Stimmen verlor. Am Sonntagabend wurde bei den Genossen darüber hinweggejubelt. Der Fall der Sozialdemokratie ist damit nicht gestoppt. Schon gar nicht durch das neue linke Führungsduo Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken. Eher kann man sagen: Tschentscher, ein Mitte-Mann wie Vorgänger Olaf Scholz, hat Hamburg gegen den Bundestrend gehalten. Genauso konstant wie es für die Sozialdemokraten nach unten geht, geht es für die Grünen nach oben. Plus zehn bis zwölf Prozent sind für sie offensichtlich überall drin, jedenfalls im Westen."

Und auch die taz hält den SPD-Erfolg für ein lokales Phänomen:

"Sagt der Erfolg in Hamburg etwas über die SPD-Krise? Die urbanen Milieus sind das letzte Biotop, in dem die SPD mehrheitsfähig ist. Sieben der zehn größten Städte der Republik werden weiterhin sozialdemokratisch regiert. Allerdings: Mehr zeigt Hamburg nicht. Die dortige Sozialdemokratie ist etwas Besonderes: eine Art Staatspartei. Dieser Erfolg ist kein übertragbares Modell. Und weder Bestätigung noch Dementi des neuen, moderat linken Kurses von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans."

Zeit Online wirft SPD-Bürgermeister Peter Tschentscher Selbstgerechtigkeit vor:

Rot-Grün werde weiterregieren können. "Für die Hamburger SPD wird das jedoch nicht ganz ohne Schmerzen ablaufen. Sie muss den Grünen mehr von der Macht abgeben, was ihr sichtlich schwerfällt. Im Wahlkampf hat Peter Tschentscher pausenlos verkündet, dass im Grunde alles, was in der Stadt gut laufe, an ihm und seiner SPD liege. Mit einer solch selbstgerechten Haltung dürfte das Koalieren schwierig werden in den nächsten Jahren."

Die Badische Zeitung aus Freiburg sieht im Ergebnis von Rot-Grün auch einen Lohn für gute Regierungsarbeit:

"Fast fühlt man sich nach dieser Hamburger Wahl in alte Zeiten zurückversetzt. Da ist eine selbstbewusste SPD, die ein Ergebnis knapp unter 40 Prozent einfährt und mit erträglichen Verlusten zugunsten des Regierungspartners, den Grünen, weiter regieren kann. Da ist eine Koalition, die nicht abgewählt wird oder schrumpft, sondern die in der Summe zulegt, weil Bürgerinnen und Bürger gute Arbeit belohnen. Da ist eine AfD, die Stimmen verliert und um den Einzug ins Parlament bangen musste. So wenig Wut, so viel Zufriedenheit war selten in jüngerer Zeit bei einer Wahl in deutschen Landen. Und die AfD? Es ist kein Naturgesetz, dass Populisten und rechte Extremisten immer mehr Zulauf haben. Man kann sie zurückdrängen. Das ist die beste Botschaft dieser Wahl."

Der Spiegel sieht vor allem durch die hohe Wahlbeteiligung die Demokratie gestärkt:

"Das ist ein starkes Signal für die Demokratie und die Parteien der Mitte in einer Zeit, in der Politiker Hass und Anfeindungen ausgesetzt sind und das Vertrauen in die demokratischen Institutionen von der demokratiefeindlichen Propaganda der AfD von rechts angegriffen und unterhöhlt wird.

Die Wahlbeteiligung ist gestiegen, auch das ist ein gutes Zeichen aus Hamburg. Der Jubel auf der Grünen-Wahlparty, die AfD sei aus der Bürgerschaft vertrieben worden, erwies sich allerdings als verfrüht. Für die AfD wurde es zwar knapp, ihr Ergebnis stabilisierte sich am Abend jedoch über fünf Prozent."

Für die Volksstimme aus Magdeburg ist die Wahl in Hamburg von bundesweiten Fehlern geprägt:

"Stabile Verhältnisse in Hamburg. Das hat Rot-Grün auch einer guten Regierungsführung zu verdanken. Aber vier Parteien - und besonders die SPD - haben schwer unter Störfaktoren von außen gelitten. Auf höherem Niveau hat die Hamburg-SPD ähnlich wie auf Bundesebene verloren. Die misslungene Kür der SPD-Bundesvorsitzenden wirkt nach. Das Gemurkse der CDU in Berlin und Thüringen hat dazu beigetragen, dass die seit Jahren an der Waterkant darbende Union ein neues Rekord-Tief erreicht hat. Die FDP muss allein wegen Thüringen um den Einzug in die Bürgerschaft bangen. Und die AfD scheint nach der Zunahme rechtsextremer Gewalt von einigen Wählern endlich gemieden zu werden. Die Führungsspitzen von SPD, CDU und FDP in Berlin müssen begreifen, dass sie gegenwärtig ihren Parteigliederungen mehr schaden als nützen. Was eine überzeugende Führung umgekehrt bewirken kann, können sie bei den Grünen besichtigen."

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