Süddeutsche Zeitung

BBC-Starmoderator Jeremy Clarkson:Eine Attacke zu viel

Lesezeit: 2 min

Von Marc Felix Serrao

Wer sich für ein friedliches gesellschaftliches Miteinander, Minderheitenrechte oder Umweltschutz engagiert, kann aufatmen. Jeremy Clarkson, Europas umstrittenster Fernsehmoderator, muss gehen. Endgültig. Am Mittwoch gab die BBC bekannt, dass sie den Vertrag ihres vor zwei Wochen suspendierten Spitzenmitarbeiters nicht verlängern werde. Er läuft nächste Woche aus.

Tony Hall, Generaldirektor der öffentlich-rechtlichen Anstalt, bestätigte, dass der 54-Jährige einen Produzenten seiner weltweit ausgestrahlten Autosendung "Top Gear" attackiert und beleidigt habe. Damit sei für ihn, Hall, "eine Linie überschritten". Am Donnerstag meldeten britische Medien dann, dass dem geschassten Moderator wohl strafrechtliche Ermittlungen wegen des Vorfalls drohen.

Es ist ein Absturz. Aber keine Überraschung.

Jeremy Clarkson, diese hünenhafte, nicht wirklich attraktive Gestalt mit den grauen Pudellöckchen, hat es in einer einzigartigen, mehr als Vierteljahrhundert währenden Karriere geschafft, so ziemliche jede gesellschaftliche Gruppe mindestens einmal zu beleidigen.

So alt wie "Top Gear" sind auch die Forderungen, ihn und das Format aus dem Programm zu werfen. Ein Beispiel: In der 16. Staffel nahm sich Clarkson für eine Episode Albanien vor. Das kleine Land wurde als schwerkriminelles Nest portraitiert. Beim Autotest ging es dann auch nicht um die Motorleistung, sondern um den Kofferraum - und die Frage, in welchem Modell man am besten eine Leiche von A nach B transportieren kann.

Vorwürfe wegen Rassismus, Frauenfeindlichkeit und Homophobie

Der albanische Botschafter in Großbritannien blieb damals gelassen, anders als etwa sein mexikanischer Kollege. Der erreichte 2011, dass sich die BBC für die Darstellung seiner Landsleute als faule, auf Kakteen starrende Nichtsnutze entschuldigen musste.

Die Vorwürfe gegen Clarkson wegen Rassismus, Frauenfeindlichkeit oder Homophobie haben sogar einen eigenen Wikipedia-Eintrag.

Die Frage lautet also nicht, weshalb Clarkson jetzt rausfliegt? Sondern: Wie um alles in der Welt konnte dieser Typ so lange in der Öffentlichkeit überleben, zumal in einer derart auf Ausgewogenheit getrimmten Umgebung wie der öffentlich-rechtlichen BBC.

Der wichtigste Grund ist der Erfolg. "Top Gear" ist eine der ertragreichsten und langlebigsten Sendungen der Fernsehgeschichte, nicht nur in Großbritannien. Die inzwischen 22 Staffeln haben zuletzt mehr als 300 Millionen Zuschauer erreicht, nur fünf Millionen davon in der Heimat.

Für BBC Worldwide, die Vermarktungstochter der Rundfunkanstalt, ist das Format eine Geldmaschine. Unter der Marke "Top Gear" verkauft die BBC neben DVDs der Sendung auch Computerspiele, Bücher, Trinkflaschen, Pullover, Rucksäcke und sogar Bettwäsche.

Schaut man sich ein paar Episoden im Netz an, erkennt man schnell den Grund für die Beliebtheit. Altherrenhumor hin oder her: Clarkson und sein Team sind phantasievoller und risikofreudiger als so ziemlich jedes andere nicht-fiktive Format auf dem Markt.

Statt Autos stumpf auf ihre Leistung zu testen, wie man es etwa aus dem deutschen Fernsehen kennt, inszeniert "Top Gear" in jeder Sendung eine andere, mitunter schwer dadaistische Zirkusshow. Das kann ein Rennen quer durch Europa sein, bei dem Clarkson im Auto losrast und einer seiner Co-Moderatoren die Fähre oder ein Flugzeug nimmt. Oder es kann der Versuch sein, mit einem Minibudget einen uralten Geländewagen zu kaufen und damit von einer Küste Südamerikas zur anderen zu kommen. Oder aber das Team spielt Rugby, Tennis, oder Eishockey. Im Auto.

Petition per Panzer

Und nun? Der Protest der "Top Gear"-Anhänger war erfolglos. Selbst der eigens angemietete Panzer, in dem Fans dem Sender eine Petition zur Weiterbeschäftigung Clarkons überbrachten, half nicht.

Der Moderator selbst hat zwei Möglichkeiten. Er kann sich zurückziehen, das Geld sollte reichen. Oder er erfindet sich und sein Format neu. Kommerzielle Sender, die weniger Rücksicht nehmen müssen auf die öffentliche Meinung als die BBC, dürften schon Schlange stehen.

Letzteres wäre nicht nur fürs Publikum ein Gewinn. Auch Clarksons Kritiker könnten sich, wenn sie ehrlich sind, freuen. Einen Gegner wie ihn, in dessen Gegenwart man sich als Freund des Zeitgeists moralisch derart überlegen fühlen kann, wird es so schnell nicht wieder geben.

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