Süddeutsche Zeitung

"Northman"-Regisseur Robert Eggers:Kopf ab

Lesezeit: 4 min

Der Regisseur Robert Eggers gilt als Wunderkind des US-Kinos. Jetzt hat er mit "The Northman" sein Hollywood-Debüt gedreht. Eine Begegnung.

Von Annett Scheffel

Robert Eggers interessiert am Filmemachen dasselbe, was ihm als Kind beim Filmeschauen gefallen hat: das Eintauchen in eine andere Realität. "Die Menschen tief hineinzuziehen in eine Welt. Ich will, dass sie dort sind: mit den Figuren am Ruder auf dem Langschiff, beim rituellen Tanz ums Lagerfeuer, beim alles entscheidenden Schwertkampf."

Der Regisseur stellt in Hamburg sein Wikinger-Epos "The Northman" vor. Und fleht beim Interview fast darum, sich den Film im Kino anzuschauen. Nicht auf einem kleinen Bildschirm. Den Gedanken ertrage er nicht.

Der 38-Jährige hat erst drei Spielfilme gedreht. Die haben aber alle drei eine solch eigene Handschrift jenseits der Hollywood-Stangenware, dass man ihn getrost zu den spannendsten amerikanischen Filmemachern der Gegenwart zählen kann. Sein Langfilmdebüt war 2015 der Hexenhorror "The Witch", für den er beim Sundance Festival als bester Regisseur ausgezeichnet wurde. 2019 folgte das klaustrophobische Seemannsdrama "Der Leuchtturm", in dem zwei Männer auf einer nebligen Atlantikinsel dem Wahnsinn verfallen.

"Viele der alten Sagen lesen sich wie ein Action-Drehbuch aus den Achtzigern."

Auch "The Northman" ist wieder ein intensives Seherlebnis. In Eggers' apokalyptischer Interpretation der altnordischen Amlethus-Sage, auf der auch Shakespeares "Hamlet" beruht, spielt Alexander Skarsgård einen rachedurstigen Berserker, und Björk raunt in ihrer ersten Kinorolle seit 17 Jahren als Hexe düstere Prophezeiungen. Es ist ein Film aus Blut und Schweiß und Dreck, tief verwurzelt in der isländischen Sagenkultur. Wie seine Vorgängerfilme fühlt sich "The Northman" an wie ein Vorort zur Hölle - nur noch mal heftiger. Es spritzt wie verrückt das Blut, und es werden eine Menge Köpfe abgetrennt.

"Ich bin selbst ein bisschen schockiert, dass ich so einen Macho-Film gemacht habe", sagt Eggers in einem schicken Hotel an der Alster. Er selbst sieht auch schick aus: der Bart modisch exakt getrimmt, an der Hand Siegelringe, das Outfit komplett in Schwarz. So richtig wohl scheint er sich auf dem steifen Brokat-Sofa aber nicht zu fühlen. Eggers ist der Typ, der wahrscheinlich tausendmal lieber an einem schlammigen, eiskalten Filmset steht als unter hanseatischen Kronleuchtern.

Der Regisseur hat sich die brutalen Kampfszenen in seinem Film nicht ausgedacht, er hat sorgfältig recherchiert. Nach allem, was man heute weiß, war die Welt Anfang des zehnten Jahrhunderts eine Welt der Gewalt. "Viele der alten Sagen lesen sich wie ein Action-Drehbuch aus den Achtzigern. Die Szene, in der Alexander einen Speer fängt und zurückwirft - das ist aus einer Sage. Ich versuche, die Vergangenheit in meinen Filmen immer ohne Wertung zu zeigen. Und die nordischen Sagen sind eben eine Welt der großen Krieger. Sie wollen und sie müssen kämpfen."

Eggers weiß um den Balanceakt, der sich daraus ergibt: "Natürlich ist das eine teure und aufwendige Action-Produktion, die Geld einspielen muss. Die Frage ist, wie bekommt man es hin, die Actionszenen aufregend und unterhaltend zu inszenieren, ohne dabei die Gewalt zu glorifizieren?" Ganz sicher scheint er sich immer noch nicht zu sein, ob es ihm gelungen ist, eine Antwort auf diese Frage zu finden. "The Northman" sei mit Abstand sein schwierigster Film gewesen. "Ich war so gestresst, dass ich angefangen habe, Black Metal zu hören, um mich abzureagieren."

Man kann sich vorstellen, dass sich seine Arbeitsweise als Autorenfilmer nicht immer unbedingt mit den Vorgaben eines Hollywood-Studios und engen Drehplänen vertragen hat. "The Northman" ist mit 90 Millionen Dollar Produktionskosten sein erster Big-Budget-Film. Trotzdem (oder gerade deswegen) hat Eggers wieder mit alten Vertrauten zusammengearbeitet: Kameramann Jarin Blaschke, Produzent Lars Knudsen und Schauspielerin Anya Taylor-Joy, die einst mit "The Witch" ihren Durchbruch feierte. "Ich bin stolz auf das Ergebnis", sagt er.

"Es würde mir das Herz brechen, Smartphones und Computer in meinen Filmen zu haben."

Der in einer kleinen Stadt in New Hampshire geborene Eggers ist für seine akkurate Wiedergabe vergangener Epochen bekannt. Seine Liebe für historische Details, sagt er, gehe bis in seine Kindheit zurück, als er in seinem Zimmer Kostüme und Schwerter und "ziemlich viele Bücher" hortete. In seinen Filmen wird nichts dem Zufall überlassen. Das beginnt bei den historischen Wollstoffen, der Bauweise der Häuser und dem schummrigen Licht. Und geht mit den Schilden, Jagdhunden und antiken Musikinstrumenten weiter. Eggers liebt es, in solchen Details und Feinheiten zu schwelgen. Sonst eher zurückhaltend, werden seine Sätze schnell und überschäumend, wenn er darüber spricht. Für seinen Film hat er sich von Historikern und Archäologen beraten lassen. Das Ergebnis ist wahrscheinlich der realistischste Wikinger-Film, den es je gegeben hat. Deswegen, scherzt Eggers, sei der Cast so entscheidend gewesen: "Kleidung und Haarschnitte der Wikinger waren wirklich weit weg von cool und sexy. Zum Glück würden Alexander und Anya sogar gut aussehen, wenn man sie in Kartoffelsäcke steckt."

Eigentlich ist Robert Eggers immer "allergisch" auf alles gewesen, was mit Wikingern zusammenhängt. "Ich mochte als Kind zwar Filme wie 'Conan der Barbar', aber als Erwachsener hat mich diese Art von Machismo eher abgeschreckt. Und ich war skeptisch wegen den Rechtsextremen, die die nordische Mythologie vereinnahmen." Das änderte sich, als er 2016 mit seiner Frau nach Island reiste. "Das hat mich umgehauen. Diese Landschaften. Wie eine andere Welt. Altertümlich und erhaben. Als hätte die Geschichte hier noch nicht begonnen." Er fing an, sich mit der Kultur beschäftigen. Fahrt nahm die Sache auf, als sein Hauptdarsteller Alexander Skarsgård ihm erzählte, dass er seit Jahren vergebens versuche, einen Wikinger-Film zu machen. Das Drehbuch entstand zusammen mit dem isländischen Autoren Sjón Sigurðsson. "Ich brauchte jemanden, der umgeben von all den übernatürlichen Dingen - den Erdgeistern, Elfen und mythischen Sagen - aufgewachsen ist, an den Isländer glauben. Sjón war mein Schiedsrichter, wenn es darum ging, ob irgendwas isländisch genug war."

Er habe eine "starke Neigung zur Vergangenheit", sagt Robert Eggers über sich selbst. "Was mir an diesen vergangenen Kulturen gefällt, ist, dass die Welt der Mythen und die Realität oft ein und dasselbe sind. Es gibt keine Grenzen." Eher unwahrscheinlich also, dass einer seiner Filme je in der Gegenwart spielen wird? "Ich glaube, es würde mir irgendwie das Herz brechen, Smartphones und Computer in meinen Filmen zu haben."

Dazu passt, dass Eggers als nächstes Projekt Friedrich Wilhelm Murnaus Stummfilm-Klassiker "Nosferatu" mit Willem Dafoe neu verfilmen will. Der Film ist kürzlich hundert Jahre alt geworden. Für einen wie Eggers wahrscheinlich geradeso Vergangenheit genug.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5569201
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.