Süddeutsche Zeitung

Künstliche Intelligenz und Design:Als die Maschinen fühlen lernten

Lesezeit: 4 min

Eine Ausstellung in der Pinakothek der Moderne in München führt in die Welt der künstlichen Intelligenz ein - und wagt einen Blick in die Zukunft.

Von Andrian Kreye

Die meisten Fragen in den Debatten um künstliche Intelligenz, Roboter und die Zukunft drehten sich in den letzten Jahren darum, was Maschinen alles anrichten, was sie alles nicht können, nie können werden, und warum man sich trotzdem fürchten sollte. Weswegen es eine angenehme Abwechslung ist, an einem regnerischen Sommervormittag mit dem Professor für Robotik und künstliche Intelligenz Sami Haddadin durch seine Ausstellung "KI.Robotik.Design" in der Münchner Pinakothek der Moderne zu gehen. Weil er nicht nur Forscher ist, sondern auch Enthusiast.

Überhaupt ist diese Ausstellung ein Glücksfall. Bisher geht München mit seiner Rolle als eines der weltweit führenden Zentren für Wissenschaft und Technologie im Stadtbild eher zaghaft um. Es sind immer noch die Puppenstubenromantik der Innenstadt und die Verklärung der Voralpenlandschaft, die das Selbstbild der Stadt bestimmen. Es sind Glanzlichter wie Haddadins Ausstellung, die einem als Münchner nahebringen, dass man hier durchaus im Mahlstrom der sich exponentiell beschleunigenden Zukunftskräfte lebt.

Dass Roboter jetzt fühlen können, ist ein entscheidender Schritt für die nächste Phase der Technikgeschichte

Sami Haddadin ist übrigens ein Star. Im Mai erst bekam er so etwas wie den Ritterschlag, da nahm ihn das deutsche Patent- und Markenamt mit seiner Arbeit auf die Liste der Meilensteine deutscher Erfindungen auf. Da stehen sonst so Dinge wie das Automobil, die Röntgenröhre, Konrad Zuses allererster Computer und zuletzt 1989 das digitale Musikformat MP3. Haddadin wurde als 41. Erfinder für seine Erfindung des taktilen Roboters mit aufgenommen. Auf Laiendeutsch gesagt, hat er den Maschinen das Fühlen beigebracht. In der Ausstellung steht so ein Roboterarm der Firma Franka Emika, die er mitgegründet hat. Das Patent ist schon sechs Jahre alt, aber dass Roboter jetzt fühlen können, ist ein entscheidender Schritt für die nächste Phase der Technikgeschichte.

In dieser Woche kommt mit der Ausstellung Sami Haddadins großer Moment im Lichte der Öffentlichkeit oder zumindest des Pinakotheken-Publikums. Es ist keine besonders ästhetische Ausstellung. Aber wenn man sich eine halbe Stunde Zeit nimmt, bekommt man ein solides Grundwissen über die Geschichte und die Zukunft von Mensch und Maschine vermittelt. Haddadin erzählt die Geschichte von Anfang an. Mit seinem Team hat er einen von Leonardo da Vincis Robotern nachgebaut, eine Figur aus Holzlatten, Seilwinden und Schnüren. "Wir haben da ein bisschen nachgeholfen", sagt er. Die Originalpläne waren nie funktionsfähig. Aber sie zeigten eben schon in der Renaissance, wie kompliziert die simultanen mechanischen Abläufe im Bewegungsapparat des Menschen sind.

Die nächste Station projiziert drei Manuskripte des Mathematikers Gottfried Wilhelm Leibniz an die Wand. Da sieht man einen Binärcode, so etwas wie die Ursuppe der digitalen Kultur. Es gibt einen Ausschnitt aus seiner Monadologie von 1714, in der er damals schon bewies, dass eine Maschine keinen Geist haben kann, weil sie nur eine Abstraktion des Menschen ist. Und dann ist da noch ein Integralzeichen, so etwas wie das A im endlosen Alphabet der höheren Mathematik. Den Rest der Geschichte erzählt Sami Haddadin anhand von Maschinen. Eine Rechenmaschine von Leibniz steht da, die Turingmaschine und IBMs Schachcomputer Deep Blue werden erklärt, die frühen Modelle jener Maschinen, die heute unter dem Begriff künstliche Intelligenz Lern-, Analyse- und Logistikverfahren automatisieren.

Der Verstand und die Hände gehören unbedingt zusammen

Was die Ausstellung aber auch vermittelt, ist Sami Haddadins Weltbild, das zum einen angenehm tief in der europäischen Aufklärung verwurzelt ist. Auf der anderen Seite sieht er die Forschungsfelder KI und Robotik als Einheit. Er bekleidet den Lehrstuhl für Robotik und Systemintelligenz der Technischen Universität München, so eine Kombination aus Ingenieurskunst und Informatik gibt es nicht so oft. Er kann deswegen sehr gut erklären, warum der nächste Schritt für die Digitalisierung nicht nur technisch mit der Robotik verbunden ist. Das zeichnet sich ja schon ab, weil das "Internet der Dinge" mit seinen selbstfahrenden Autos, seinen intelligenten Assistenten, Pflegerobotern und seiner neuen industriellen Revolution dafür sorgen wird, dass die künstliche Intelligenz den Sprung aus den abstrakten Sphären des Cyberspace in die physische Welt schafft. Er kann auch sehr eindrücklich erklären, wie untrennbar Intelligenz und Feinmotorik die Evolution des Menschen bestimmt haben. Dass Verstand und Hände unbedingt zusammengehören. Dass man nur über die Motorik dazu kommen konnte, Werkzeuge zu entwickeln.

Das vorletzte Exponat ist ein Schaukasten mit einem Paternoster aus Dioramen, der zeigt einen kurzen Abriss, wie sich diese Symbiose aus Robotik und künstlicher Intelligenz gerade vollzieht. Das beginnt mit der Entwicklung eines Designs für einen Stütz- und Bewegungsapparat, inspiriert von der Idee des Menschen als Homunkulus, der einen Großteil seiner Hirnkapazität für die Motorik der Hände einsetztt. Ist das geregelt, folgt die Körperwahrnehmung, die auch eine Maschine braucht, um im Raum agieren zu können. Dazu kommt dann die Fortbewegung. Da alles führt zur Fähigkeit, die Umwelt zu manipulieren, was auch eine Hand-Auge-Koordination erfordert. Ganz am Schluss steht dann die Symbiose von Mensch und Maschine über die Interfaces. Es ist zwar Technik, aber doch auch ein evolutionärer Prozess, für den die Menschheit Jahrmillionen, die Technologie aber nur Jahrzehnte gebraucht hat.

Der Grundtenor ist ein Optimismus, der in einer Philosophie wurzelt

Es ist vor allem der Symbiosegedanke, der die Ausstellung letztlich prägt. Sicher gibt es auch einen kurzen Seitenweg in die Dystopie mit den Deep Fakes der künstlichen Intelligenz, jenen sinistren Täuschungsmethoden, vor denen sich die Sicherheitsexperten derzeit so fürchten. Doch der Grundtenor ist ein Optimismus, der fundiert in einer Philosophie wurzelt, die davon ausgeht, dass die moderne Gesellschaft es in der Regel schon hinkriegt, sich die Maschinen untertan und vor allem zu Diensten zu machen.

Ganz am Schluss der Ausstellung wartet noch eine zweistöckige Installation, die über den Umweg der Kunst vermitteln soll, wie das aussehen könnte. Da stehen ein paar Roboterarme auf einem Gerüst, das mit Pflanzen und Holz ein wenig sympathischer gestaltet wurde. Die Arme werden von einer künstlichen Intelligenz mit dem Input aus den wichtigsten Nachrichtenseiten im Web gefüttert. Die Besucher der Ausstellung können sich außerdem eine App herunterladen, mit der sie sich in diesen Fluss der Informationen einklinken können. Die Roboterarme verarbeiten diese Daten auf einer riesigen Papierrolle zu Zeichnungen, die dann über soziale Medien zurück ins Internet gespeist werden.

Die Metapher ist so schlicht wie freundlich. Der Kreislauf, der hier zwischen Mensch, Daten und Maschinen entsteht, die auf die Fähigkeiten der jeweils anderen Instanz aufbauen, schafft ein Mehr, das in diesem Falle keinen Nutzen, sondern einen rein ideellen Wert bekommt. Es ist ein physisch monumentaler, aber inhaltlich eher feinfühliger Schlussakkord einer Ausstellung, die sehr viel mehr will, als einen pädagogischen Auftrag zu erfüllen.

Ki.Robotik.Design. Bis zum 18. September 2022 in der Pinakothek der Moderne. Di-So 10:00 bis 18:00, Do bis 20:00 Uhr. Info: pinakothek-der-moderne.de

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