Süddeutsche Zeitung

Erinnerungskultur:82 000 Quadratmeter, heikle Lage

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Was wird aus Hitlers "Kongressbau"? Chronik eines Streits, der weit über Franken hinausgreift.

Von Olaf Przybilla

Der Vorwärts hat es früh schon geahnt. Über den gerade entstehenden, megalomanischen "Kongressbau" der Nationalsozialisten lästert das SPD-Blatt aus dem Prager Exil im Jahre 1935, den Bau verdanke man "des Führers Initiative und kongenialer Inspiration". Dass Adolf Hitler sich dazu herabgelassen habe, den Grundstein für das Monstrum (275 mal 265 Grundfläche, samt Umgriffsfläche ergibt das 82 000 Quadratmeter) am 11. September 1935 höchstselbst zu legen, berechtige zu "sämtlichen möglichen Respektsschauern". Zumal aus "allerhöchstem Mund" von einer Bauzeit von acht Jahren zu hören gewesen sei - was sie beim Vorwärts lustig finden 1935, immerhin dokumentiere das eine "sehr optimistische Rechnung über die weitere Lebensfähigkeit der Nationalsozialistischen Partei". Nur: "Wenn aber das Dritte Reich vorher zusammenkracht, was wird dann aus der Kongresshalle?"

Eine damals geradezu prophetische Frage. 1939, kurz nach Kriegsbeginn, wurde die Arbeit an dem Bau eingestellt. Aus den geplanten 70 Metern Höhe hatten die 1400 Arbeiter, die schon zig Millionen Ziegelsteine verspachtelt hatten, kaum 40 Meter aufgetürmt. Was aus dem auch so schon hoch dystopischen Areal wird, diese Frage stellt sich in Nürnberg nun grundsätzlich seit 1945 - noch nie aber wurde so heftig darüber gerungen wie dieser Tage. In der Stadt pflegen CSU und SPD seit jeher ein robustes Miteinander, mal stellen die einen den Oberbürgermeister, mal die anderen, derzeit regiert die CSU, das Rathausbündnis aus beiden Parteien aber bleibt, da mag kommen, was wolle. Zurzeit aber fürchten manche den Bruch dieses Bundes. Schuld daran: Hitler und seine Halle - die Torso blieb, weil das grundsteinlegende Reich vor der Vollendung zugrunde gegangen ist.

Hitler wollte die "Meistersinger" in die Choreografie der Reichsparteitagsregie eingebunden wissen

Was ist da los in Nürnberg? Der aktuelle Streit nimmt seinen Anfang im Opernhaus nahe der Nürnberger Altstadt, und auch da kommt man um den Mann, den sie beim Vorwärts "Herrn Hitler" nannten, nicht umhin. Hitler wollte die "Meistersinger" in die Choreografie der Reichsparteitagsregie eingebunden wissen und ersann dafür ein "entschandeltes" Opernhaus: Weg also mit dem verspielten Jugendstil, der das Haus seit 1905 zum Stadtwahrzeichen gemacht hatte. Und schnell musste es gehen, schließlich sollte der NSDAP-Parteitag 1935 mit Richard Wagner beginnen, da blieben nur sechs Monate für eine Jugendstilsäuberung. Das Ergebnis? Optisch relativ und akustisch komplett unterirdisch. 1935 besucht Hitler die Baustelle - und der verzweifelte Goebbels notiert schon jetzt ins Tagebuch: "Ich treffe den Führer beim Umbau des Opernhauses. Er ist ganz unglücklich."

Die eingebaute "Führerloge" wurde nach dem Krieg verschämt wieder entfernt. Daran aber, dass der "ganze Umbau" des Hauses akustisch "verkorkst" ist - wie bereits Opernfreund Goebbels befand -, änderte das wenig. Im Nürnberger Opernhaus trifft man auch heute noch hochrangige Mitarbeiter, die offen darüber schimpfen, es gebe "ab der zehnten Reihe praktisch keinen Hörgenuss". Auch dieses Erbe hat Adolf Hitler der Stadt hinterlassen.

Die 650 Hausbeschäftigten der Oper haben erst dieser Tage auf die Dringlichkeit hingewiesen, das Haus bitte demnächst in Richtung einer Ausweichspielstätte verlassen zu dürfen. Dass dies politisch "Jahrzehnte verschleppt" worden sei - dafür könnten die Opernleute ja nichts, wie sie zu Recht betonen. Arbeitsstättenverordnung, Arbeitsschutzgesetz, Brand- und Lärmschutz, nichts entspreche mehr geltenden Vorschriften. 2025 soll die Oper dichtgemacht werden. Wohin dann mit dem Betrieb?

Einig sind sich CSU und SPD noch darüber, dass die Idee einer Sponti-Truppe aus dem Stadtrat - "Politbande" genannt - nicht konsensfähig ist: Die Bande will die Oper gleich für immer aufs Reichsparteitagsgelände ziehen lassen und das von den Nazis verkorkste Opernhaus anders nutzen, nur nicht mehr für Oper. Käme unterm Strich kostengünstiger, argumentiert sie, erntet aber kaum Beifall. Ebenfalls kaum konsensfähig: Abriss des alten und Bau eines neuen Opernhauses, ein Gedanke, für den die Grünen Sympathie bekunden. Sie haben kürzlich "zur Kenntnis" genommen, dass eine erste seriöse Kostenschätzung etwa 600 Millionen Euro veranschlagt für eine Ausweichspielstätte samt Opernhaussanierung im Bestand.

Die Grünen leiten daraus ab, man solle sich "möglicherweise" auch der "Vision eines baulich und kulturell einzigartigen" Opernneubaus zuwenden: "Transparent, mit modernster, hochfunktionaler Architektur, einladend, barrierefrei - es wäre ein großer Wurf!" Dafür aber womöglich die Oper, immerhin einen denkmalgeschützten Repräsentationsbau aus dem frühen 20. Jahrhundert verkommen lassen, einer der wenigen, die in der Stadt der Reichsparteitage nach 1945 geblieben sind? Das Echo ist vorerst überschaubar.

Absehbar ist damit, dass das Opernhaus am Altstadtrand eher wohl saniert werden wird und dass das Ensemble nach einer Zeit im Exil - bis zu zehn Jahren - wieder dorthin zurückkehrt.

"Wagner und Hitler reunited again?" Hans-Christian Täubrich sagt: "Lasst die Finger davon."

Ebenfalls einigermaßen konsensfähig ist die Richtung des Umzugs. Nachdem allerlei Industriebrachen geprüft wurden, plädiert eine Stadtratsmehrheit nun für den Aufbruch in den Stadtsüden: aufs ehemalige Reichsparteitagsgelände. Auch dafür, dass dort im Inneren des Kongresshallentorsos (also in den endlosen Gängern und Räumen) demnächst Künstler und Kulturschaffende ihrer Arbeit nachgehen, sprechen sich die meisten aus. Und sogar darüber, dass man ganze Opernhausabteilungen - Maske, Kulisse, Fundus, Verwaltung - ins Innere des hufeisenartigen Baus verlegt, ist eine Stadtratsmehrheit greifbar.

Nürnbergs Parteienstreit spitzt sich derweil auf die nur vermeintliche Detailfrage zu, ob der bislang absichtsvoll verödete Innenhof des NS-Halbrunds mit einer ephemeren Opernaufführungshalle bestückt werden darf - oder nicht. Die SPD hat eigens einen Parteiausschuss dazu einberufen, samt Resolution. Ergebnis: Etliche Standorte an der NS-Kongresshalle könne man prüfen. Speziell der Innenhof aber sei "kein x-beliebiges Bauland", vielmehr "ein Erinnerungsort" - und so habe dieser Ort unverändert zu bleiben. Historiker aus dem NS-Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände sehen das auch so. Beim Gedanken, künftig bei Jubiläumsfeierlichkeit und Sonntagsmatinee auf Sektglas haltendes Publikum vor 39 Meter hoher NS-Rohfassade zu treffen, "sträuben sich mir die Nackenhaare", sagt der Gründungsdirektor des Dokuzentrums, Hans-Christian Täubrich. Überdies: "Wagner und Hitler reunited again?" Da könne er nur sagen: "Lasst die Finger davon."

Anders die CSU. Sich Nazi-Unorte im Sinne "einer freien, demokratischen und offenen Gesellschaft" anzuverwandeln, sei lang schon ein Erfolgsmodell, halten Oberbürgermeister Marcus König und seine Stellvertreterin, Nürnbergs Kulturbürgermeisterin Julia Lehner, dagegen ( siehe dazu unser Interview mit Lehner und der Publizistin Rachel Salamander). Nur einen Kilometer entfernt von der Kongresshalle habe die Stadt das "Führerheim" einer früheren SS-Kaserne längst in ein Haus für Gegenwartskultur verwandelt. Und im Kopfbau des NS-Hallentorsos sind seit Jahren die Nürnberger Symphoniker zu Hause. Warum also nicht in den NS-Innenhof? Gestützt wird die CSU jetzt von den Beschäftigten der Oper. Sie befürworten "eine verantwortungsbewusste kulturelle Nutzung der Kongresshalle" - zumal keiner der geprüften Interimsstandorte auch nur "annähernd so geeignet" sei wie die Kongresshalle.

Der Ausgang ist offen. Womöglich entscheiden am Ende die Grünen, die in Nürnberg in der Opposition sind - im Bund aber nun immerhin die neue Kulturstaatsministerin stellen, Claudia Roth. Beim Thema Opernhaus-in-den-NS-Innenhof neigen sie bislang klar der CSU zu. Nur: Würden CSU und Grüne in dieser Grundsatzfrage gemeinsam gegen die SPD stimmen, ginge daran wohl gar Nürnbergs bislang unverwüstliches schwarz-rotes Bündnis zu Bruch.

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