Süddeutsche Zeitung

"Curveball" im Kino:Tausche Pass gegen Fake News

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Der deutsche Kinofilm "Curveball" erzählt, wie der BND den USA einen Vorwand lieferte, um im Irak einzumarschieren. Eine Tragikomödie.

Von Josef Grübl

Aus aktuellem Anlass: Erinnert sich noch jemand an den 43. Präsidenten der Vereinigten Staaten? Falls nicht: In dem fulminanten deutschen Spielfilm "Curveball - Wir machen die Wahrheit" hat George W. Bush einen Kurzauftritt, man sieht ihn nach den Anschlägen vom 11. September 2001 vor die Kameras treten. "Justice will be done", verspricht er seinem Volk. Kurze Zeit später greifen die Amerikaner nach Afghanistan auch den Irak an. Das ist alles bekannt, dennoch machen manche Republikaner, rechte Blogger oder Fox News dieser Tage Bushs Nachnachnachfolger für die Folgen des Kriegs verantwortlich: Joe Biden solle sich von den Gedenkveranstaltungen zum 20. Jahrestag der Anschläge fernhalten, forderten sie, er habe das Land verraten, beschimpfen ihn gar als "Killer-in-Chief". Aber um Wahrheiten geht es in Zeiten von alternativen Fakten schon lange nicht mehr - eher um die Frage, wie man diese für seine Zwecke hinbiegt.

Womit wir bei "Curveball" wären, der von Fake News erzählt, als es diesen Begriff so noch gar nicht gab - und von einer Verbindung der deutschen Bundesregierung zu den Anschlägen vom 11. September. "Nach einer wahren Begebenheit. Leider", heißt es im Vorspann des Films von Regisseur Johannes Naber und seinem Co-Autor Oliver Keidel. Mit grimmigem Humor erzählen sie die Geschichte des irakischen Asylbewerbers Rafid Alwan, der 1999 nach Deutschland kommt und sich bessere Bleibe-Chancen ausrechnete, wenn er dem BND etwas über Massenvernichtungswaffen in seinem Heimatland berichtet. Der BND-Mann Dr. Wolf, der gerade selbst im Irak erfolglos nach Anlagen zur Produktion chemischer Kampfstoffe suchte, soll seine Aussagen überprüfen. Diese sind reichlich nebulös - bevor er aber mehr erzähle, sagt Alwan, brauche er eine Wohnung und einen deutschen Pass.

Eine peinliche Nummer, die der BND gern vergessen wollte - aber da hatten die Amerikaner schon angebissen

So gerät der Fall des Ingenieurs aus dem Irak in die Hände von deutschen Staatsbeamten, die hier wie Sesselpupser daherkommen und endlich einmal mehr sein wollen als die Fußabtreter der CIA. Deshalb gehen sie auf die Forderungen ein. Dumm nur, dass Alwans Aussagen und seine Kritzeleien von Anthrax-Trucks nicht stimmen und bald als unzuverlässige Quellen eingestuft werden. Eine peinliche Nummer, die man beim BND schnellstmöglich vergessen will. Noch dümmer ist nur, dass die Amerikaner zu diesem Zeitpunkt händeringend nach Beweisen suchen, um den irakischen Diktator Saddam Hussein angreifen zu können - da kommen die Geschichten des irakischen Ingenieurs in Deutschland gerade recht.

Der Film zeigt Ausschnitte aus der Rede des damaligen US-Außenministers Colin Powell im Februar 2003 vor dem UN-Sicherheitsrat. Man sieht auch den damaligen deutschen Außenminister Joschka Fischer, der keine Miene verzieht, als von den Anthrax-Trucks die Rede ist. Der Rest ist Geschichte, der Irakkrieg kostete Hunderttausende Menschen das Leben. Das ist auch das bittere Ende dieser brillant erzählten Geheimdienst-Farce, die nicht so satirisch überspitzt ist wie die thematisch ähnlichen US-Filme "War Dogs" oder "Vice - Der zweite Mann", dafür aber umso stärker nachwirkt.

Johannes Naber ("Zeit der Kannibalen") setzt auf die Absurdität der realen Ereignisse, er verlässt sich nicht auf den zwielichtigen Rafid Alwan (gespielt von dem im Irak geborenen Dänen Dar Salim), sondern erzählt aus der Perspektive des Biowaffenexperten Dr. Wolf (Sebastian Blomberg), einer fiktiven Figur mit realen Vorbildern. Alwan, der den Decknamen "Curveball" bekam, weil er, wie der titelgebende Bogenwurf im Baseball, das Spiel verändern sollte, wurde einige Jahre später enttarnt, 2015 präsentierte er seine Version der Geschichte in einer ZDF-Doku. Wie man die Wahrheit für seine Zwecke hinbiegt, hatte er da bereits längst verinnerlicht.

Curveball - Wir machen die Wahrheit, D 2020 - Regie: Johannes Naber. Mit: Sebastian Blomberg, Dar Salim, Thorsten Merten, 108 Minuten, Filmwelt.

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