Süddeutsche Zeitung

Staatsschauspiel Dresden:"Meine Aufgabe besteht darin, die Freiheit zu verteidigen"

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In "Das Blaue Wunder" gründen Rechtspopulisten eine Militärdiktatur - Flüchtlingserschießungen inklusive. Eine Diffamierung der AfD? Intendant Joachim Klement über politischen Kampf im Theater.

Interview von Antonie Rietzschel, Dresden

Joachim Klement, in Düsseldorf geboren, leitet seit Herbst 2017 das Staatsschauspiel in Dresden, das sich seit Jahren mit der politischen Lage im Osten auseinandersetzt. Mit zwei Inszenierungen wird das Haus beim Berliner Theatertreffen im Mai vertreten sein. Für Diskussionen sorgt die aktuelle Produktion "Das Blaue Wunder". Die AfD-Groteske von Regisseur Volker Lösch ist als Warnung anlässlich der bevorstehenden Landtagswahl zu verstehen. Sie zeigt, durchaus überzeichnet, eine Welt, in der die Partei die Macht übernommen hat - Wendeverlierer, Wehrmachtsmäntel und Militärdiktatur inklusive.

SZ: Bei der Premiere erhielt "Das Blaue Wunder" Standing Ovations. Gab es auch schon Rückmeldung von der Alternative für Deutschland?

Joachim Klement: Auf unserer Facebookseite hat der stellvertretende Vorsitzende der AfD in Sachsen kommentiert. Er meint, man müsse sich nicht wundern, wenn künftig die Haushaltsmittel für "derlei 'Kultur'" infrage gestellt würden. Auf der anderen Seite gibt es Zuschauer, die sich von dem Stück bestärkt und ermutigt fühlen, sich gegen rechten Populismus und Extremismus zu positionieren.

Die Landtagswahl in Sachsen steht an. Der Einfluss der AfD auf staatlich geförderte Kultureinrichtungen könnte ein reales Thema für sie werden. "Noch liegt die Wahl vor uns", spricht in das "Das Blaue Wunder" ein Chor aus Aktivisten. Ist das Stück eine Flucht nach vorn, eine Mahnung an den Wähler? Oder gar ein Hilferuf?

Das Stück entwirft in seiner Überspitzung eine Zukunftsvision, in der es keine Freiheit gibt - künstlerische Arbeit ist unter diesen Umständen nicht möglich. Meine Aufgabe besteht darin, die Freiheit zu verteidigen.

Der AfD zufolge dient künstlerische Arbeit der Erhaltung der nationalen Identität.

Das hat mit Kunst nichts zu tun. Sie darf nicht instrumentalisiert werden.

In dem Stück wird das fiktive Bild einer Welt gezeichnet, in der die AfD das Sagen hat. Deren Anhänger laufen brüllend und schimpfend über die Bühne und tragen Mäntel, die an die Wehrmacht erinnern - am Ende steht eine grausame Militärdiktatur. Ist es Aufgabe des Theaters, eine Partei zu diffamieren?

Wir machen keine Propaganda gegen die AfD. Das Stück zeigt eine Entwicklung. Am Anfang stehen Menschen mit bestimmten Biografien und Haltungen.

Verschwörungstheoretiker, Wende-Verlierer, Gefrustete. Sind das nicht ganz schön viele Klischees?

Sie begeben sich mit einem Schiff auf eine Reise, die sich auf grausame Art verselbständigt. Und das passiert nicht im luftleeren Raum. Regisseur Volker Lösch und sein Team haben sich mit großem Furor durch die Bundes- und Landesprogramme der AfD gegraben, sich schriftliche und gesprochene Beiträge von Politikern angeschaut. All das wird nun in dem Stück kenntlich.

Die Programmatik der Partei sowie die Zitate von Björn Höcke oder Alexander Gauland bilden die Grundlage für das "Blaue Buch" - im Stück eine Art "Mein Kampf", nach dem die Reisenden das Zusammenleben regeln. Ist die politische Realität nicht schon grotesk genug? Muss man ihr auch noch mit einer Groteske begegnen?

Theater ist ein Labor sozialer Fantasie - hier werden Grundsatzfragen TÜV-mäßig überprüft. Normalerweise legen wir großen Wert auf Differenzierung. Wir wollen bis in die Tiefen einer Figur vordringen und verstehen, warum jemand auf eine bestimmte Weise reagiert. Die Überspitzung in "Das Blaue Wunder" erschreckt, weil die Zuschauer eine solche Verselbständigung der Ereignisse anfangs nicht für möglich halten.

Flüchtlinge in Leichensäcken werden für Zielübungen benutzt, es gibt Vergewaltigungen und Erschießungen. Die Szenen werden gebrochen durch Auftritte von Aktivisten, die sich in der Stadt gegen rechts engagieren. Es gibt also eine klare Einteilung in Gut und Böse. Inwiefern ist eine solche Polarisierung hilfreich - in einer Stadt wie Dresden?

Das Stück zwingt die Menschen, sich zu positionieren. Aber ist das was Schlechtes? Als ich im Herbst 2017 von Braunschweig nach Dresden kam, hatte ich das Gefühl, dass jeder mit seiner Meinung bei sich bleibt. Anlässlich des vierten Jahrestages von Pegida war das aufgehoben. Da kamen Bürger und Bürgerinnen aus unterschiedlichen Teilen der Stadt zusammen, um gemeinsam gegen Pegida die Stimme zu erheben. Auch Ministerpräsident Michael Kretschmer war da, und der Oberbürgermeister. Vor einigen Jahren wäre das so nicht möglich gewesen. Vielleicht sollte man die aktuelle Situation, die ganzen Widersprüche in der Stadt, nicht nur als etwas Negatives begreifen, sondern auch eine Chance darin sehen. Endlich zeigen die Menschen, wo sie stehen und reden miteinander. Wir wollen etwas dazu beitragen und künftig im Anschluss an das Stück die Möglichkeit geben, mit uns zu diskutieren.

Im Vorfeld der Premiere hieß es, einige Schauspieler seien unglücklich mit der Umsetzung von "Das Blaue Wunder". Ein Bühnentechniker, selbst AfD-Anhänger, schäme sich in Grund und Boden.

Warum sollen in einem Theater auch alle einer Meinung sein? Natürlich gibt es Widersprüche, die wir austragen, wir sprechen offen über Reibungspunkte.

Benutzt Lösch mit seinem Stück nicht die Bühne, um zum Kampf gegen die AfD aufzurufen?

Es gibt Regeln, die etwas mit Respekt und Menschenwürde zu tun haben. Weil wir auf bestimmte Tendenzen aufmerksam machen, sind wir gleich parteiisch? Künstlerische Arbeit ist immer eine Ermutigung, kein Opfer zu sein, sondern sich einzumischen.

"Wir wollen uns nicht immer an den Rechten abarbeiten", sagt eine Aktivistin auf der Bühne. Das könnte man auch als Appell an ihr Haus verstehen, sich mit anderen Themen auseinanderzusetzen.

Wir haben 26 Premieren im Jahr, Sie können unsere Arbeit nicht auf dieses eine Stück reduzieren.

Ein Schwerpunkt liegt aber durchaus auf den Befindlichkeiten der sogenannten besorgten Bürger.

Die Kunst bildet die gesellschaftliche Realität ab, die uns umgibt. Hier beschäftigt die Leute zum Beispiel sehr stark die Ost-West-Thematik. Mich ja auch, obwohl ich Westdeutscher bin. Ich verstehe nicht, dass wir in einem Landesteil leben, in dem nicht die gleichen Löhne gezahlt werden. Oder warum Menschen hier eine andere Rentenerwartung haben, obwohl sie auch jahrelang gearbeitet haben. Diese Ungleichbehandlung müssen wir thematisieren. An der Stelle kann unser Haus ein Resonanzraum sein.

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