Süddeutsche Zeitung

Schwere Unwetter:Mindestens vier Tote bei Hochwasser in Niederbayern

Lesezeit: 4 min

Von Andreas Glas und Stefan Simon, München

Die Unwetterkatastrophe in Niederbayern hat mindestens vier Todesopfer gefordert. Eine weitere Person wird noch vermisst, Berichte, wonach sie in der Gemeinde Zeilarn bereits tot geborgen worden sei, bestätigte die Polizei zunächst nicht. Wie das Landratsamt Pfarrkirchen und das Polizeipräsidium Niederbayern am späten Mittwochabend bestätigten, bargen Taucher die Leichen von drei Menschen in einem überschwemmten Haus in Simbach am Inn.

BRK-Landesgeschäftsführer Leonhard Stärk sagte der Süddeutschen Zeitung, man habe die Toten gegen 20.30 Uhr im Keller eines Hauses an der Wiesenstraße entdeckt. Die Bewohner der oberen Stockwerke des Mehrfamilienhauses hatten die Retter darüber informiert, dass im überfluteten Erdgeschoss noch Menschen sein müssten.

Vermutlich waren die drei von den Fluten überrascht worden, als sie versuchten, Gegenstände in Sicherheit zu bringen. Gegen 21.30 Uhr wurde in einem Bach in der Nachbargemeinde Kollberg/Julbach eine tote Frau gefunden.

Über die Identität der Opfer war zunächst nichts bekannt. Weitere Menschen werden vermisst, die Zahl der Toten könnte sich also noch erhöhen. Die Suche nach Opfern der Flut wurde erst am Abend aufgenommen, als sich die Hochwasser-Situation leicht entspannt hatte.

Der Kampf gegen die Wassermassen beginnt

In einigen Gemeinden beginnt indes am Donnerstagmorgen der Kampf gegen die Wassermassen, indem die Häuser und Straßen leergepumpt werden sollen. Einsatzkräfte des Technischen Hilfswerks waren die Nacht hindurch mit der Rettung von Personen beschäftigt. In einer Realschule in Triftern, in der am Mittwochabend noch Dutzende Schüler von den Wassermassen eingeschlossen waren, mussten 16 Kinder mit zwei Betreuern die Nacht über ausharren.

Am frühen Morgen wurden die Einsatzkräfte aufgestockt, um in den Märkten Triftern und Tann mit dem Abpumpen der Wassermassen zu beginnen. In der Stadt Griesbach richtete das Technische Hilfswerk eine Notstromversorgung ein.

In der Nacht hatte es nach Auskunft des Landratsamtes Rottal-Inn nicht mehr geregnet, der Pegelhöchststand von 3,61 Meter sank leicht ab. Für Donnerstag erwartete der Deutsche Wetterdienst jedoch erneut unwetterartige Mengen an Niederschlag, besonders im Landkreis Passau.

"Wir kommen nicht zu meinem Schwager"

Am Mittwochnachmittag herrschte Ausnahmezustand im Landkreis Rottal-Inn: Triftern ist kein Dorf mehr, Triftern ist ein reißender brauner Fluss. "Wo ist die Brücke?", fragt ein älterer Herr. Die Brücke über den Altbach ist weg, nur das Geländer ragt aus dem Wasser, der Weg zum Marktplatz ist abgeschnitten, seit Stunden.

"Mein Schwager ist da drüben, aber wir kommen nicht hin, und er kommt nicht raus aus seinem Haus", sagt der Mann. Fünf Uhr nachmittags, es schüttet seit Stunden. Nach und nach sind sie angerückt: Feuerwehr, Wasserwacht, Katastrophenschutz. Über dem Dorf pendelt ein gelber Hubschrauber, der die Kinder in Sicherheit bringt, die drüben im Kindergarten eingeschlossen waren.

"Es ist gigantisch", sagt Michael Walz. Er steht in durchgeweichten Turnschuhen kurz neben einem Flussbett, das vor ein paar Stunden noch eine grüne Wiese war. Bis die Flut kam. Jetzt sehen die Häuser auf der Wiese aus wie große, eckige Schiffe, die im Wasser treiben, und die Bäume wie schwimmende Sträucher, kein Baumstamm mehr zu sehen.

Und plötzlich ist das Wasser da

"Mein Haus ist da drüben", sagt Walz und deutet den Hang hinauf. Dort oben dürfte es vor den Fluten sicher sein, aber ob Walz heute dort schlafen wird?

"Keine Ahnung", sagt er. Und plötzlich ist es da: Das Wasser der sonst kleinen Bäche in Triftern und in Tann. Es reißt am Mittwochnachmittag Bäume und Autos mit, bricht Straßen auf, schließt Wohnhäuser, Schulen, Bauernhöfe ein - und stürzt den niederbayerischen Landkreis Rottal-Inn binnen kurzem ins Chaos. Die Behörden lösen Katastrophenalarm aus - doch noch am Abend haben weder Polizei noch Rettungskräfte auch nur annähernd einen Überblick über das Ausmaß der Schäden.

"Mit dieser Wucht hat wohl niemand gerechnet", sagt ein Sprecher des Landratsamtes.

45 Liter Regen pro Quadratmeter

Die Katastrophe nahm ihren Anfang bereits am Dienstagabend. Nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes (DWD) fielen im Raum Pfarrkirchen seitdem etwa 45 Liter Regen pro Quadratmeter. Allein am Mittwoch zwischen 8 und 14 Uhr waren es 32 Liter, sagt der Meteorologe Volker Wünsche.

Auch Simbach am Inn und Tann trifft es schwer. Rettungshubschrauber sind pausenlos im Einsatz, um von den Wassermassen eingeschlossene Menschen zu retten. Zufahrtsstraßen und Brücken sind überschwemmt.

"Zum Glück liegt das Gebäude auf einem Berg", sagt Bürgermeister Walter Czech. In einem Schulzentrum in Simbach sind 350 Schüler zunächst eingeschlossen, doch sie dürfen am Abend nach Hause. Außerdem müssen eine Asylbewerberunterkunft in einer ehemaligen Turnhalle sowie eine Polizeidienststelle geräumt werden. "Da steht das Wasser meterhoch", sagt ein Sprecher, "da ist keiner mehr".

"Alles, was wir verfügbar haben, ist im Einsatz"

Rettungskräfte berichten, dass Lastwagenfahrer auf der Bundesstraße 12 auf die Dächer ihrer Fahrzeuge kletterten, weil sie Angst hatten, von den Fluten davongeschwemmt zu werden. Der Bahnverkehr ins Hochwassergebiet ist eingeschränkt; Tausende Haushalte sind über Nacht ohne Strom, weil die Fluten den Zugang zu Trafostationen und Umspannwerken verhindern.

Glück im Unglück hat eine Augsburger Schulklasse. Die Siebtklässler mit zwei Lehrern und einem Begleiter waren auf einer Bootstour auf dem Schwarzen Regen in Niederbayern vom Unwetter überrascht worden. Eine heftige Strömung trieb ihre Kähne auseinander. Ein Teil der Gruppe gelangte ans Ufer, die anderen retteten sich auf eine Insel.

"Massive Überschwemmungen" meldet auch Landrat Franz Meyer (CSU), als er um kurz vor 18 Uhr in Bad Griesbach eintrifft - dem Ort, der am schlimmsten betroffen ist im Landkreis Passau. Zwei Stunden zuvor hat Meyer den Katastrophenfall ausgerufen, zum zweiten Mal in seiner Amtszeit. "Morgen werden es drei Jahre", sagt der Landrat mit Blick auf das damalige Jahrhunderthochwasser. So schlimm ist es am Mittwoch noch nicht. In Passau rechnet das Wasserwirtschaftsamt mit einem Stand von 7,70 Meter für die Donau. Vor drei Jahren hatte die Donau einen Pegel von 12,89 Meter.

Schwere Unwetter auch in Nordrhein-Westfalen

Auch die Feuerwehr in Düsseldorf kämpfte gegen die Folgen eines heftigen Unwetters. Bis in die Nacht zum Donnerstag habe es rund 420 Einsätze gegeben, teilte die Feuerwehr mit. Etwa 240 Mann rückten in der Landeshauptstadt Nordrhein-Westfalens aus, um unter Wasser stehende Keller und geflutete Tunnel leer zu pumpen. Sorgen bereitete den Rettern das Flüsschen Anger, in dem das Wasser stetig stieg. Für den Notfall lagen 2000 Sandsäcke bereit.

In Baden-Württemberg und Franken hatte das Tief "Elvira" schon am Sonntagabend schwere Verwüstungen angerichtet. Vier Menschen waren bereits bei diesem Unwetter im Südwesten ums Leben gekommen.

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SZ vom 02.06.2016
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