Süddeutsche Zeitung

Streckenführung zum Brennerbasistunnel:Vier Trassenverläufe sind noch möglich

Die Regierung von Oberbayern hält mehrere neue Gleistrassen durch das Inntal zum Brennerbasistunnel für denkbar. Die Deutsche Bahn will sich nach Ostern für eine davon entscheiden.

Von Matthias Köpf, Rosenheim

Eines ist Hubert Aiwanger wichtig an diesem Tag: Man spreche ausdrücklich nicht darüber "ob man sie braucht oder nicht braucht oder wann man sie braucht". Es gehe nur um die grundsätzliche Möglichkeit. Ob aber die geplanten neuen Gleise durch den Raum Rosenheim und das bayerische Inntal auch wirklich notwendig sind, um einen ausreichenden Zulauf von Norden zum neuen Brennerbasistunnel zu schaffen, das müsse der Bund erst noch nachweisen. Da zeigen sich Bayerns Wirtschaftsminister Aiwanger (FW) und Verkehrsministerin Kerstin Schreyer (CSU) einig mit Landrat Otto Lederer und Oberbürgermeister Andreas März aus Rosenheim (beide CSU). Denn dies soll laut Aiwanger "die Stunde der Betroffenen vor Ort" sein, und diese Betroffenen haben sich in einem guten Dutzend Bürgerinitiativen organisiert und im Raumordnungsverfahren knapp 30 000 Stellungnahmen abgegeben. Fünf grobe Trassenverläufe hatte die Regierung von Oberbayern in diesem Verfahren seit Mai auf ihre Verträglichkeit hin untersucht, vier sind seit Donnerstag noch übrig. Die Bahn will sich bis nach Ostern auf eine davon festlegen.

Die Politik bevorzugt schon seit der Vorstellung der fünf Grobtrassen im Jahr 2019 eine Variante, die auf den Karten der Planer violett gefärbt ist und zu mehr als zwei Dritteln unter der Erde verläuft. Sie würde vor allem die schweren Güterzüge von Süden her nahe Nußdorf in den Berg, unter der Gemeinde Stephanskirchen hindurch, östlich um Rosenheim herum und nördlich davon wieder über den Inn Richtung München führen. Die Trasse verschwände weitgehend im Untergrund, würde weniger Landschaft zerstören, weniger landwirtschaftliche Fläche kosten und außerdem - so die Hoffnung der Planer wie der Politik - deutlich weniger Menschen mit dem Lärm und dem Anblick der Züge belasten.

Eine Variation dieser Trasse, die aber von Nußdorf bis Stephanskirchen oberirdisch verlaufen würde, hat die Regierung nun als unverträglich aussortiert. Denn sie würde bedeuten, dass - zusätzlich zur bestehenden Bahnlinie und zur Autobahn auf der linken Innseite - dann auch östlich des Flusses ein gewaltiger Verkehrsweg verlaufen und dort nach den Worten von Regierungspräsidentin Maria Els "massiv in schützenswerte Naturräume eingreifen" würde. Und auch für die violette Variante legen Els und ihre Behörde den Planern dringend noch mehr Tunnelkilometer ans Herz, speziell in Form von zwei Unterquerungen des Inns statt der bisher vorgesehenen Brückenbauwerke. Bei den drei anderen Varianten, die alle westlich des Inns bleiben, sieht die Regierung vor allem dort Nachbesserungsbedarf, wo sich die Trasse zwischen den Städten Kolbermoor und Bad Aibling nach Norden schlängeln könnte. Diese drei Varianten gelten wegen des weichen Seeton-Bodens allerdings als baulich äußert schwierig und würden jene Inntal-Gemeinden zusätzlich belasten, die schon unter der Bestandsstrecke leiden.

Die Menschen im Landkreis "wollen keine EU-Bürger zweiter Klasse sein"

Die Gemeinden der Region haben im Verfahren fast durchweg negative Stellungnahmen abgegeben. Sie haben jeweils die sie betreffenden Varianten abgelehnt - und oft gleich alle fünf, so wie es auch der Rosenheimer Kreistag im Sommer einstimmig beschlossen hat. Landrat Lederer verweist darauf, dass die Region schon stark mit Bahnlinien und Autobahnen belastet sei. Er sehe "keinen Spielraum für eine verträgliche, rein oberirdische Neubaustrecke". Die Menschen im Landkreis "wollen keine EU-Bürger zweiter Klasse sein", betont er mit Blick auf das nahe Tirol, wo es schon seit 2013 fertige vier Gleise gibt, von denen die beiden neueren zu rund 80 Prozent unter der Erde verlaufen.

Der Brennerbasistunnel zwischen Innsbruck und Franzensfeste in Südtirol einschließlich der ersten 30 Kilometer Südzulauf durchs Eisacktal soll laut dem DB-Bevollmächtigen Klaus-Dieter Josel zum Ende dieses Jahrzehnts fertig sein, der Nordzulauf in Bayern idealerweise bis 2040. Doch dafür müsste zunächst der Bundestag den Bau beschließen. Die Zukunftsszenarien zur Entwicklung der europäischen Wirtschaft und des transalpinen Güterverkehrs, die Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer bisher vorgelegt hat, um die Notwendigkeit neuer Gleise aufzuzeigen, sind nach Ansicht seiner Parteifreundin Schreyer aber nicht mehr als "ein entschiedenes Vielleicht". Scheuer habe aber neue Verkehrsprognosen in Auftrag gegeben, die 2023 vorliegen sollten. Der Bund müsse "klar nachweisen, was wir brauchen".

Nach Hoffnung und Überzeugung der Bürgerinitiativen und der meisten Menschen in der Region - so sie nicht gerade an der Bestandsstrecke leben - sind die beiden zusätzlichen Gleise ohnehin überflüssig, ein Ausbau plus abschnittsweiser Ergänzung der existierenden Strecke werde für das allseits beschworene Ziel, endlich mehr Güterverkehr auf die Schiene zu bringen, auch in Zukunft völlig ausreichen.

Doch ein alleiniger Ausbau der Bestandsstrecke samt jahrelangem, tief greifendem Umbau des Hauptbahnhofs ist wiederum für den Rosenheimer Oberbürgermeister März "keine Option", denn dann würde in Zukunft nur noch mehr Güterverkehr mitten durch seine 65 000-Einwohner-Stadt rollen, in der die Bürger entlang der Bahnlinien ohnehin viel zu stark belastet seien. Zugleich möchte auch März erst einmal den Bedarf für neue Gleise nachgewiesen sehen: "Ohne Bedarf kein Bau."

Zumindest darin sind sich alle im Saal einig mit den rund zwei Dutzend Demonstranten, die sich trotz Regens und pandemiebedingter Einschränkungen zu einer Kundgebung vor dem Rosenheimer Kongresszentrum versammelt haben. Auch ein Traktor-Korso fährt wieder vor. Sie alle werden auch nach Ostern wiederkommen, wenn die Bahn aus den vier verbliebenen Varianten ihre Trasse präsentieren will.

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SZ vom 29.01.2021/van
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