Süddeutsche Zeitung

Ehemaliges Reichsparteitagsgelände:Visionen für den Torso

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Eine Ausstellung zeigt, wie sich Stadtplaner, Architekten und Künstler seit 1945 an der nie fertiggestellten NS-Kongresshalle in Nürnberg abarbeiten.

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Im Künstlerhaus am Nürnberger Hauptbahnhof darf man dieser Tage mit bunten Stiften in eine Vorlage skizzieren, wie man sich die Zukunft der Torso gebliebenen NS-Kongresshalle im Süden der Stadt vorstellen könnte. Nicht alle vorgelegten Skizzen sind sogleich klar zu erkennen, einem Besucher aber scheint eine Konzerthalle samt Operninterimsbau auf den beiden flachen Kopfbauten vorzuschweben. Eine mindestens spektakuläre Idee - mit dem Denkmalschutz, unter dem der Torso seit dem Jahr 1973 steht, allerdings wohl nicht ganz perfekt vereinbar.

Ein anderer Besucher plädiert für einen Großtechno-Club in der NS-Riesenimmobilie, eine Art "Berghain Nürnberg", wie über seinem gekritzelten Entwurf zu lesen steht. Ob das ernst gemeint ist oder nicht - das Thema beflügelt offenkundig die Fantasie.

Das sind zwei Preziosen der Ausstellung "NACHdenken, ÜBERdenken - NEUdenken?", die sich mit Ideen und Visionen für Hitlers Hallentorso beschäftigt. Noch wertvoller freilich als diese wirkt eine handschriftliche Anmerkung, mit der sich jemand augenscheinlich Luft zu verschaffen genötigt sieht - mit Blick auf die im Künstlerhaus entstandenen Besucherskizzen. Die Notiz darf als pars pro toto gelten für die Debatte, die Nürnberg seit einigen Monaten über die Zukunft des NS-Riesenbaus führt; und bei der gegenseitige Irritationen selbst bei Diskutanten zu beobachten sind, die dem selben Milieu entstammen und zumindest in grundsätzlichen Dingen bislang nie weit auseinanderlagen: historisch Interessierte und kulturaffine Akademiker, klassisches Bildungsbürgertum.

"Das ist 1 Gedenkort, kein Eventort", hat da jemand auf den Aufforderungszettel zur Ideenabgabe notiert - was in etwa die Tiefe des Grabens illustriert, der sich durch diese Debatte zieht. Zumal man sich selbst unter Fachleuten schon nicht über den ersten Teil dieser Notiz komplett einig werden würde: Ist dieser NS-Koloss tatsächlich ein Gedenkort? Oder eher Denkmal und Erinnerungsort? Oder besser noch Lern- und Begegnungsort? Der Riesentorso, der als solcher nie eine Funktion hatte im NS-Staat, ist komplizierte historische Hinterlassenschaft - darüber immerhin sind sich alle einigermaßen einig.

Die Ausstellung ist bis zum 28. Februar gleich an zwei Orten in Nürnberg zu sehen. Das Offene Büro des Stadtplanungsamtes in der Lorenzer Straße nimmt Architektur-Arbeiten in den Fokus, darunter konkrete historische Pläne, visionäre Entwürfe und Seminararbeiten aus dem Studium. Im Erdgeschoss des Künstlerhaus-Glasbaus wiederum sind filmische, fotografische und plastische Werke zu sehen, künstlerische Reflexionen auf eine offene Wunde.

Als Hinführung zum Thema empfiehlt es sich, vorab Notizen in Augenschein zu nehmen, die Menschen beim Besuch der NS-Kongresshalle hinterlassen haben Feedback Karten (kubiss.de). Was man sich künftig vorstellen könne für diesen Halbrundbau, wurde da 2021 gefragt - und die Bandbreite der (natürlich nicht repräsentativen) Antworten gibt einen ungefähren Eindruck davon, wie wenig konsensfähig diese Frage mehr als 75 Jahre nach dem Krieg noch immer ist. Einfach abreißen, wünschen sich manche; als Denkmal weithin unberührt lassen, fordern wiederum andere. Eine kulturelle Nutzung finden viele gut, besonders offenbar Künstlerateliers. Eine Oper dagegen? Geht schon, aber nur als Interim, finden die einen. Geht natürlich, aber wenn, dann bitte gerade nicht interimistisch, halten andere dagegen.

Entschieden hat der Stadtrat Ende 2021, dass 2025 ein Operninterim an die NS-Kongresshalle kommen soll; dessen Backstage-Bereich wird im Halbrund geplant, die Räume sollen nach der Rückkehr der Theaterleute ins Stadtzentrum von Künstlerinnen und Künstlern genutzt werden. Offen ist dagegen, wo genau die Aufführungshalle gebaut wird; und nicht ausdiskutiert ist, ob diese nach etwa zehn Jahren wieder abgebaut werden soll oder muss - oder anders genutzt werden kann.

Alles das wäre gar nicht infrage gekommen, hätte sich die Stadt 15 Jahr nach dem Krieg dafür entschieden, den Torso zum Stadion für 82 000 Menschen umzubauen. Die Sache hatte bereits konkrete Formen angenommen, Stadträte fanden sich auf dem ehemaligen Parteitagsgelände auf der Innenseite des Hufeisens ein und versammelten sich an einem Modell - es wäre eines der größten Stadien der Republik geworden. Die Sache scheiterte, vor allem wohl der Kosten wegen. Immerhin das Modell aber ist geblieben, in der Ausstellung ist es nun zu sehen.

Weniger konkret waren lange Zeit kulturelle Pläne, was freilich weder die Fantasie von Künstlern noch den Entwurfsgeist von Architektinnen zu bremsen imstande war. Vor fünf Jahren etwa legte Jasna Kajevic als Studienarbeit ein Konzept für ein Kunst- und Kulturzentrum vor, samt Akademie für die Fächer Architektur, Design und Kunst. Den ursprünglichen Gedanken der NS-Bauherren - eine überdachte Halle für 50 000 Menschen, in dem der Rundbau lediglich zur Erschließung dienen sollte - hätte sie umgekehrt. Das Halbrund samt integrierten Lichthöfen würde demnach zum akademischen Lehr- und Lernort umfunktioniert, für den Innenhof sieht der Plan eine bauliche Zergliederung vor - über Stege, die alle Bereiche verbinden und miteinander vernetzen.

Ein halbes Dutzend solcher konkreter Entwürfe zeigt die Ausstellung. Ein gewisser Makel ist ihnen ebenso zu eigen wie der mondänen Vision des ägyptischen Architekten Samir El Kordy, mit der ein NS-Bau zum zeitgenössischen Ort für die Künste und Kulturen der Welt wird: Fragen des Denkmalschutzes sind weithin ausgespart. Den Planern des Operninterims wird das nicht erspart bleiben. "Eine Bebauung der Fläche" des Hallenhofes werde "aus denkmalfachlicher Sicht grundsätzlich sehr kritisch gesehen", heißt es in einer Stellungnahme des zuständigen Landesamtes zu den Plänen der Stadt.

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