Süddeutsche Zeitung

Kriminalität im Internet:Hass und Hetze bis zum Erbrechen

Lesezeit: 2 min

2021 sind in Bayern 2317 neue Verfahren wegen Hate-Speech im Internet geführt worden - Beleidigung, Verleumdung und Volksverhetzung sind dafür typische Vergehen. Justizminister Eisenreich warnt vor einer "Gefahr für die Demokratie".

Von Johann Osel, München

Ein Foto von Jens Spahn, damals Gesundheitsminister, mit dem Virologen Christian Drosten ist Ausgangspunkt der Straftat. Anfangs zetern die Kommentatoren in einem sozialen Netzwerk über Maske und Mindestabstand, und wieso das auf dem Bild nicht erkennbar sei. Bald geht es ums Erschießen des Politikers und des Wissenschaftlers. Ein Mann namens S., offenbar mit richtigem Namen online unterwegs, fragt sich, "ob das Kügelchen dafür nicht zu schade" sei. Auf jeden Fall rät er: "rein in den Sack und mit einem Knüppel drauf".

Dieses Posting wurde zur Anzeige gebracht, das Amtsgericht Landsberg am Lech verurteilte den Verfasser im April 2021 zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten. Anderes Beispiel, geteilt in einer größeren Whatsapp-Gruppe: ein Bild von einer Aschewolke, dazu die Zeile "ein jüdisches Familienfoto". Das ist Volksverhetzung, der 15-jährige User erhielt Sozialstunden für das Foto, das laut Klaus-Dieter Hartleb, Oberstaatsanwalt und Hate-Speech-Beauftragter der bayerischen Justiz, "an Menschenverachtung nicht zu überbieten ist".

Vor zwei Jahren ernannte Justizminister Georg Eisenreich (CSU) Hartleb als Deutschlands ersten Beauftragten für Hate-Speech, also Hassrede im Netz. Zusätzlich wurden bei allen 22 bayerischen Staatsanwaltschaften Sonderdezernate dafür eingerichtet. Seitdem wurden fast 4000 Verfahren wegen Hasskriminalität im Internet geführt, wie Eisenreich am Freitag bei einer Jahresbilanz für 2021 mitteilte. "Hass und Hetze im Netz haben ein erschreckendes Ausmaß angenommen. Es hat sich eine echte Gefahr für die Demokratie entwickelt", sagte der Minister. Und die Pandemie habe dies verstärkt. Diese habe "wie ein Brandschleuniger" gewirkt, so Hartleb. Angegangen würden da neben Politikerinnen und Politikern auch Ärztinnen und Ärzte.

2021 wurden in Bayern 2317 neue Verfahren wegen Hate-Speech geführt (1881 gegen bekannte Beschuldigte und 436 Verfahren gegen unbekannt); zum Vorjahr ein Plus von 41 Prozent. In 450 Verfahren wurde öffentliche Klage erhoben, darunter 112 Anklageerhebungen, 300 Anträge auf Strafbefehl sowie 38 Anträge im vereinfachten Jugendverfahren. 332 Mal erging ein Urteil oder Strafbefehl, 269 sind bereits rechtskräftig. 571 Verfahren wurden eingestellt, weil Täter nicht ermittelbar waren oder mangels hinreichenden Tatverdachts.

Auch wenn ein Posting völlig daneben oder widerwärtig sei, so Eisenreich, bedeute dass nicht automatisch, das die Grenze zum Strafbaren überschritten sei. "Die Meinungsfreiheit endet dort, wo das Strafrecht beginnt." Beleidigung, Verleumdung, Volksverhetzung oder das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen seien typische Straftatbestände bei Hassrede im Netz.

Die Statistik 2021 liefert erstmals Erkenntnisse über die Tatmotivation, sofern feststellbar: Von den 2317 Verfahren waren 347 Taten fremdenfeindlich motiviert, 218 antisemitisch, 83 frauenfeindlich, 86 wegen sexueller Orientierung oder sexueller Identität, 46 islamfeindlich, 25 behindertenfeindlich und sechs christenfeindlich. "Die Zahlen belegen: Jeder kann Opfer von Hass und Hetze werden", sagte Eisenreich.

Betroffen sind Politiker auch auf kommunaler Ebene, häufig Frauen. Der Münchner Generalstaatsanwalt Reinhard Röttle, bei dem der Hate-Speech-Beauftragte angesiedelt ist, verwies auf den in Studien belegten "Silencing-Effekt". Demnach halten sich nicht wenige Lokalpolitiker wegen Anfeindungen im Netz gegen sich oder ihre Familie mit der Online-Präsenz zurück - oder erwägen eine Aufgabe des Mandats.

Im Kampf gegen Hate-Speech hat das Ministerium Online-Meldeverfahren mit verschiedenen Kooperationspartnern eingerichtet, geplant ist eine Plattform für alle Bürger. Dazu setzt Eisenreich auf Prävention im Jugendbereich. Er forderte Plattformbetreiber zur Kooperation auf, wenn es ein Auskunftsersuchen der Justiz gebe; Facebook erhielt ausdrücklich einen Tadel. Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze forderte noch bessere technische und personelle Ausstattung von Strafverfolgungsbehörden und Gerichten. Hate-Speech müsse auch in der juristischen Ausbildung eingehender behandelt werden.

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