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Corona-Pandemie:Wie sich Bayerns Politiker in der Krise schlagen

Lesezeit: 5 min

Die Gesundheitsministerin schrumpft, der Ministerpräsident wächst und der Wirtschaftsminister schießt quer: So unterschiedlich reagieren die Akteure in der Staatskanzlei.

Von Roman Deininger

Melanie Huml

Das Gesundheitsministerium hat in den vergangenen Tagen einen bemerkenswerten Zuwachs an Spitzenpersonal verzeichnet: einen Staatssekretär (Gerhard Eck, leihweise aus dem Innenressort) und einen zweiten Amtschef (Winfried Brechmann). Nun ist das Gesundheitsministerium ein eher kleines Haus, das im Krisenbetrieb durchaus Verstärkung vertragen kann. Und doch ist es wohl nicht zu verwegen, an den ungewöhnlichen Wechseln die These festzumachen, dass Markus Söders Vertrauen in die Führungsstärke seiner Gesundheitsministerin Grenzen hat.

Politiker wachsen in Ausnahmelagen, oder sie schrumpfen. Melanie Huml, 44, CSU, schrumpft. Bei ihren öffentlichen Auftritten fehlt ihr in diesen Wochen die Eindringlichkeit und Klarheit, die den Ministerpräsidenten auszeichnet; das fällt umso mehr auf, weil der im Krisenmodus bebende Söder bei Pressekonferenzen oft direkt neben ihr steht. Nun macht der Ärztin Huml bei der Virusbekämpfung fachlich gewiss niemand etwas vor, allerdings soll auch ihr internes Management unter einem niedrigen Energielevel leiden. Bei der Beschaffung von Schutzmasken etwa habe Huml den Nachdruck vermissen lassen, den nicht nur Söder jetzt erwarte, berichtet ein Kabinettsmitglied. Bei Sitzungen gerate die Oberfränkin deshalb regelmäßig in eine reine Verteidigungshaltung.

Nicht geholfen haben dürfte Huml, dass ihre Amtschefin Ruth Nowak genau wie sie selbst eher Ruhe als Dynamik ausstrahlt. Für das Tempo soll jetzt der neue Co-Amtschef Brechmann sorgen, der zuletzt im Innenministerium für den Katastrophenschutz zuständig war. Vorher leitete er lange die Rechtsabteilung der Staatskanzlei.

Wenn Ministerpräsident Horst Seehofer einst Angela Merkel und anderen mit seinen "Spitzenjuristen" drohte - da meinte er diesen Brechmann. Er wird auch die Umstrukturierung vornehmen, wenn das Gesundheitsressort in der Krise um 50 Stellen wächst. Der Staatssekretär Eck soll sich derweil um die Abstimmung mit den Kommunen kümmern. Die Frage wird sein, was genau dann eigentlich für die Ministerin zu tun bleibt.

Joachim Herrmann

Wenn es im Kabinett einen gründlich erprobten Krisenmanager gibt, dann ist das Joachim Herrmann. Als im Sommer 2016 das Attentat von München und die Terroranschläge von Ansbach und Würzburg den Freistaat erschütterten, ordnete Herrmann für die Bürger seriös die Fakten. Der Mittelfranke legt weder in seinen Äußerungen noch in seinen Bewegungen gesteigerten Wert auf Tempo, das wirkt beruhigend in stürmischer Zeit. Die Stunde der Angst ist für gewöhnlich die Stunde des Innenministers, und auch in der Coronakrise hat der Routinier zu alter Form gefunden.

Herrmann, 63, CSU, macht bella figura mit Neonschutzweste beim Ortsbesuch im Corona-"Hotspot" Mitterteich oder als Gast am BR-Sonntagsstammtisch. Dass die Kommunalwahlen unter widrigen Umständen offenbar geschmeidig über die Bühne gehen; und dass die Polizei die Ausgangsbeschränkungen bislang mit Bestimmtheit wie Takt durchsetzte, wird beides dem Innenminister gutgeschrieben.

Dabei gehörte Herrmann dem Vernehmen nach zu Beginn der Krise noch zu jenen im Kabinett, die davor warnten, der Bevölkerung zu harte Maßnahmen zuzumuten. Inzwischen ist er auf Söder-Linie eingeschwenkt - ob und wie ihm der Ministerpräsident dabei behilflich war, ist nicht bekannt. Im Gegensatz zum Sommer 2016 spielt Herrmann freilich nur eine Nebenrolle. Den Heldenpart übernimmt Markus Söder selbst.

Florian Herrmann

Florian Herrmann sitzt bei Söder-Pressekonferenzen meistens in der ersten Reihe, als einziger Zuschauer im virusbedingt fast leeren Raum. Das Bild könnte zu falschen Schlüssen führen: Im Corona-Sturm ist Herrmann, Staatskanzleichef und Söders rechte Hand, ein zentraler Akteur. Nach Huml und Joachim Herrmann leitet inzwischen er den Krisenstab der Regierung, was sehr wohl als endgültige Regelung in Söders Sinne zu verstehen ist.

Im Krisenstab laufen alle Fäden zusammen, etwa bei der Beschaffung von Material oder dem Ausbau von Krankenhauskapazitäten. "Es ist schon sehr generalstabsmäßig", hat Herrmann, 48, CSU, promovierter Rechtsanwalt, gerade in einem SZ-Interview erzählt. Aber genau dafür wird der Freisinger - Sohn des ehemaligen Münchner TU-Präsidenten Wolfgang Herrmann - von Söder geschätzt: die schnelle, nüchterne und verlässliche Bearbeitung jedweder Aufgabe. Nun eben: Corona.

Genau wie im virusfreien Alltag kümmert sich Herrmann auch jetzt um den Draht zum Koalitionspartner Freie Wähler und um die Kontaktpflege mit den CSU-Landtagsabgeordneten, ein Job, der im Ruf steht, bisweilen nervenaufreibend zu sein. Herrmann, sagt einer, der ihn schätzt, verbinde politischen Instinkt und juristisches Wissen. Nicht zuletzt das mache ihn für Söder in der Krise wertvoll. Es sei Herrmann, der etwa die stichfeste Formulierung der Allgemeinverfügungen sicherstelle - also jener Verwaltungsakte, mit denen die Regierung derzeit das öffentliche Leben in Bayern herunterfährt.

Hubert Aiwanger

Dass Hubert Aiwanger nicht gerade ein "Early Adopter" im Ernstnehmen des Virus war, dokumentiert sein Besuch bei einem Starkbierfest in Ismaning am 7. März. Der Wirtschaftsminister, notierte eine SZ-Reporterin, habe sich hocherfreut gezeigt, dass 400 Besucher gekommen waren. "Gut, dass Sie das Fest nicht abgesagt haben", gratulierte er den Organisatoren und erklärte Starkbierfeste zum "natürlichen Feind des Coronavirus". Man muss Aiwanger zugutehalten, dass er nach diesem schwierigen Start ordentlich Schwung aufnahm - allerdings nur, um in dieser Woche frontal gegen die Wand zu fahren.

Man kann Aiwanger (49, Freie Wähler), nicht absprechen, dass er im Krisenmodus funktioniert. Seine berüchtigte Hemdsärmeligkeit ist bei der Materialbeschaffung oder der Soforthilfe für Kleinbetriebe nicht unpraktisch. Dass er in seinen Social-Media-Posts zu seinen Heldentaten mehr "ich" unterbringt als der Kollege Söder - geschenkt. Wesentlich heikler ist es jedoch, wenn der Vize-Ministerpräsident des Freistaats kaum verhohlen die Aufhebung der Ausgangsbeschränkungen fordert, die seine Regierung gerade erst erlassen hat.

Mitte April, so Aiwanger, müsse die Wirtschaft wieder anlaufen, sonst riskiere man, "dass wir am Ende mehr Tote hätten" als durch die Pandemie, "weil die Grundversorgung nicht mehr funktioniert". Für das grob fahrlässig in die Welt gesetzte Horrorszenario wurde Aiwanger umgehend von FW-Fraktionschef Florian Streibl und vom Kabinettskollegen Michael Piazolo gerüffelt. Das muss man als Landesvorsitzender erst mal schaffen.

Karolina Gernbauer

Ein normaler Tag in der Coronakrise, erzählt Markus Söder, beginne für ihn um sechs Uhr morgens mit einem Telefonat - mit Karolina Gernbauer, 57, Juristin und Amtschefin der Staatskanzlei. "Wir sind ein eingespieltes Duo", sagt Söder. An der Seite der Amtschefin Gernbauer habe er schon vor zehn Jahren als Gesundheitsminister die Schweinegrippe bekämpft. Die Zusammenarbeit sei damals wie heute sehr vertrauensvoll. Einst hatte sich die Niederbayerin auch bei den Aufräumarbeiten des Gammelfleischskandals profiliert.

Heute ist Gernbauer die höchste Beamtin des Freistaats. Als Bayerns Bevollmächtigte beim Bund, heißt es, genieße sie auch die Wertschätzung der Kanzlerin. Ins Rampenlicht zog es sie nie, auch jetzt wirkt sie hinter den Kulissen. Niemand werde von Söder so gelobt wie Gernbauer, hat ein Kabinettsmitglied beobachtet. Wenn im Krisenstab mal Hektik einsetze, behalte sie den Überblick. Und wenn sie mal einen Minister ermahne, was durchaus passiere - dann traue sich keiner zu widersprechen.

Markus Söder

Es ist nicht auszuschließen, dass sich im Land bald die ersten Selbsthilfegruppen gründen werden: mit Menschen, die Markus Söder bisher ziemlich uneingeschränkt furchtbar fanden - und jetzt entgeistert feststellen, dass sie sich von keinem anderen als diesem Mann durchs Corona-Tal führen lassen wollen. Söder trifft den Ton in der Krise, sachlich, aber unmissverständlich.

Dass er es sich nicht nehmen lässt, ständig aufzuzählen, was Bayern früher oder besser mache als andere Länder, gibt Abzüge nur bei den Stilnoten. In der Sache - bei den schnellen Schulschließungen oder Ausgangsbeschränkungen - wird vermutlich keine Mehrheit der Bayern dafür beten, doch bitte bald von Armin Laschet regiert zu werden. Söder ist gewachsen in den Zeiten von Corona. Aber die Krise ist noch lange nicht vorbei. Am Ende wird er daran gemessen werden, wie gut das Land auf das Virus vorbereitet war.

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Quelle:
SZ vom 28.03.2020
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