Süddeutsche Zeitung

Tschechisch-deutsche Grenze:Wenn die Ärzte nicht mehr zur Arbeit kommen

Lesezeit: 3 min

Von Andreas Glas, Regen/Amberg

Kurz vor Weihnachten haben Tschechen und Bayern noch miteinander gefeiert. 30 Jahre Mauerfall. Der tschechische Außenminister Tomáš Petříček und der bayerische Heimatminister Albert Füracker (CSU) haben gemeinsam zum Bolzenschneider gegriffen und am früheren Grenzübergang in Waidhaus symbolisch einen Stacheldrahtzaun durchgeschnitten. "Wir haben keine Grenze mehr, die uns trennt", sagte Füracker, "die Menschen können diesseits und jenseits unterwegs sein." Das sei "einfach wunderbar".

Nun, drei Monate später, ist nichts mehr wunderbar. Wegen der Corona-Pandemie hat Tschechien seine Grenzen geschlossen, neuerdings auch für Berufspendler. Darunter viele Ärzte, die in Bayern arbeiten. "Brutal", sagt Rita Röhrl. Ein Wegfall tschechischer Ärzte "würde uns extrem treffen".

Röhrl (SPD) ist Landrätin im Kreis Regen, der an Tschechien grenzt. In Röhrls Landkreis gibt es allein an den Arberlandkliniken in Zwiesel und Viechtach 30 Mitarbeiter aus Tschechien, darunter 16 Ärzte. All diese Ärzte leben auf der tschechischen Seite der Grenze und pendeln tagtäglich nach Bayern.

Pendelnde Ärzte gibt es auch anderswo im Freistaat, weil sie hierzulande häufig besser verdienen als in ihrer Heimat. Von ihnen verlangt die tschechische Regierung jetzt, dass sie entweder zu Hause bleiben oder sich für mehrere Wochen eine Unterkunft in Deutschland suchen - und sich nach ihrer Rückkehr für zwei Wochen in Quarantäne begeben. "Ein Problem", sagt Landrätin Röhrl.

Sie könne verstehen, dass die Tschechische Republik "jede Möglichkeit nutzt, um ihr eigenes Volk zu schützen", sagt Röhrl. Sie hätte sich aber zunächst Absprachen zwischen den Ländern gewünscht, um eine Lösung zu finden, "die der einen Seite nicht total die Arbeitskräfte entzieht und auf der anderen keine Viren ins Land bringt", sagt Röhrl. Sie habe alles versucht, sich vor der Entscheidung mit der tschechischen Politik in Verbindung zu setzen. Ohne Erfolg.

Der Landkreis Regen werde nun allen tschechischen Klinikmitarbeitern Unterkünfte zur Verfügung stellen, etwa in den Hotels der Ferienregion, die wegen des Katastrophenfalls derzeit ohnehin geschlossen sind und genug Platz hätten. Es gebe allerdings Ärzte, "die uns klipp und klar gesagt haben, dass sie das nicht machen", da sie auf Dauer nicht von ihren Familien in der Heimat getrennt leben möchten, sagt Röhrl. Sie glaube nicht, "dass wir alle 16 Ärzte auf einen Schlag verlieren werden". Aber es werde eben nicht jeder bereit sein, "diese Kröte zu schlucken". Insgesamt, schätzt Röhrl, pendle jeder fünfte Arzt an den Arberlandkliniken aus Tschechien in den Landkreis ein.

Ähnlich sieht es in den übrigen Krankenhäusern in der Grenzregion aus, zum Beispiel am Klinikum Weiden in der Oberpfalz. Dort gebe es rund zehn tschechische Mitarbeiter, von denen die meisten täglich pendeln, teilt Kliniksprecher Michael Reindl mit. Auch in Weiden handelt es sich bei den Pendlern vor allem um Ärzte, aber auch um Pflegepersonal und Reinigungskräfte.

Dass nun manche dieser Mitarbeiter wegfallen, bedeute für die übrigen Beschäftigten des Klinikums "eine weitere Belastung, was die aktuelle Situation natürlich etwas verschärft". Man bemühe sich bereits darum, "entsprechende Unterstützung zu organisieren". Die tschechischen Pendler unterstützt das Weidener Klinikum wiederum bei der Suche nach Unterkünften. "Einige Mitarbeiter nehmen dieses Angebot auch wahr", lässt Sprecher Reindl wissen.

Je weiter die Kliniken von der Grenze weg sind, desto weniger betroffen sind sie von den neuen Ein- und Ausreisebestimmungen. Zum Beispiel das Sankt-Marien-Klinikum in Amberg. Zwar arbeiten dort sogar 36 Ärzte aus Tschechien. Weil zwischen Amberg und der tschechischen Grenze aber rund 70 Kilometer liegen, haben nur drei von ihnen keinen festen Wohnsitz in Bayern. Es gebe allerdings Wochenendpendler, "für die stellt das ein Problem dar", sagt der Amberger Klinikchef Manfred Wendl.

Womöglich gehe es Tschechien nicht allein um den Virenschutz - sondern auch darum, in der Corona-Krise zusätzliche Ärzte ins Land zu holen, sagt die Regener Landrätin Röhrl. Sie wäre jedenfalls "nicht überrascht, wenn die ein oder anderen Ärzte drüben bleiben". Mit Blick auf die Kliniken in ihrem Landkreis sagt Röhrl: "Ich bin im Moment völlig ratlos, wie wir das über die Runden kriegen. Jeder, der da bleibt, ist wichtig."

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SZ vom 26.03.2020
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