Süddeutsche Zeitung

Coronavirus in Bayern:"Fakt ist: die Krankenhäuser sind voll"

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Bei einem Treffen in der Staatskanzlei zeichnen Ärzte ein dramatisches Bild der Lage in den Krankenhäusern. Söder fordert den Bund zum Handeln auf.

Von Matthias Köpf und Johann Osel, München

Zum Beispiel ein Patient mit Herzinfarkt. Normalerweise melde sich der Notarzt bei der Leitstelle, die melde zurück, wo ein Intensivbett frei ist, idealerweise in nächster Nähe. Und das recht schnell. "Das gibt es einfach nicht mehr", sagt Thomas Weiler. Zwei Stunden werde oft herum telefoniert nach einem Bett - das es nicht gibt oder das dann irgendwo in Bayern steht. Weiler koordiniert in der Corona-Pandemie die Arbeit der Krankenhäuser in Starnberg, Fürstenfeldbruck, Landsberg und Dachau, ist zuständig also für mehr als eine halbe Million Einwohner in Oberbayern.

Er steuert von Berufs wegen - in einer Lage, wie er sagt, in der man "nicht mehr steuern" könne. In ganz Oberbayern seien vier Intensivbetten frei, "de facto Vollauslastung". Weiler erzählt auch vom Patienten mit Tumor an der Bauchspeicheldrüse, die dringende Operation steht an, danach benötige er ein Intensivbett. Da müsse die Operation verschoben werden, "das ist die Situation, in der wir uns momentan befinden".

Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat am Donnerstag mit Vertretern von bayerischen Kliniken über die Intensivsituation beraten. Ein "relativ einheitliches Bild" habe das ergeben, sagte Söder, "sehr sachlich, aber teils emotional". Die Lage sei ernst, "Fakt ist: die Krankenhäuser sind voll". Die Pandemie ziehe durch Bayern, durch ganz Deutschland. "Zu glauben, die Entwicklung beschränke sich auf ein paar Hotspots, ist eine Illusion." Vier Probleme führte Söder auf. "Das Grundproblem bleibt: ungeimpft ist ohne Schutz." Zweitens mehr Impfdurchbrüche und, drittens, in der Bevölkerung "weniger Bereitschaft, sich an Regeln zu halten". Und nicht zuletzt ein "stiller Rückzug einiger aus der Pflege". Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) bestätigt, dass nicht etwa das Fehlen von Beatmungsgeräten Kern des Problems sei, sondern das Personal "als Flaschenhals".

"2G in Deutschland, wo es nur geht"

Am Mittwoch rief die Staatsregierung wieder den Katastrophenfall aus. Der Schritt hilft bei Klinikorganisation, Patientenverteilung und Bettenmanagement, zudem, so Söder, um die "Generalmobilmachung in der Pflege auszurufen". Politisch blickte Söder auch auf Berlin: Das Angebot der künftigen Ampel-Koalition gleiche einem "Sommerreifen-Set", nötig sei die Winterausstattung. Er setze Hoffnungen in die Konferenz der Ministerpräsidenten, forderte unter anderem "2G in Deutschland, wo es nur geht".

Klinik-Steuermann Weiler erläuterte: In Lockdowns habe man weniger Schlaganfälle oder andere Fälle gehabt, auch weniger Verkehrsunfälle. Zugleich gebe es viel weniger Pflegepersonal als vor zwölf Monaten. In Fußball-Metaphern spielten die Beschäftigten "ohne Pause Verlängerung um Verlängerung", man habe aber längst keine elf Leute mehr auf dem Platz, vielleicht acht, und die Ersatzbank sei leer. Ein Problem auf Intensivstationen sei auch die Verwendung von Doppelboxen, ein Covid-Erkrankter könne nicht neben einem anderen Patienten liegen. Es sei, so Weiler, eine "bedrohende Situation" für jeden in der Bevölkerung. Er lobte den Corona-Bonus für Kliniken und eine Betten-Freihalte-Prämie der Staatsregierung als konkrete Hilfe, aber "nicht mit der Gießkanne".

"Auf der Stufe zu Leben und Tod"

Nach dem Gipfel mit Söder gibt es aber nicht nur Zufriedenheit. Jens Deerberg-Wittram hat als Geschäftsführer der RoMed-Kliniken von Stadt und Landkreis Rosenheim am Bildschirm an dem Treffen teilgenommen. Die Regierung habe damit ein Zeichen gesetzt, aber besonders viel gebracht habe das leider nicht, konkret sei da nichts verbessert worden. Alles, was den Kliniken aus seiner Sicht momentan wirklich helfen könne wie eine Impfpflicht, ein neuer Lockdown oder ein Aussetzen aller verschiebbaren Behandlungen, gelte als politisch nicht durchsetzbar, die Staatsregierung verweise da zudem nur auf den Bund.

Markus Schopper vom Münchner Klinikum Bogenhausen, sprach für den Pflegebereich. Es sei jetzt "eine Minute vor Zwölf", die Pflegekräfte seien am Ende. Und 90 Prozent der Intensivpatienten seien ungeimpft, teils "auf der Stufe zu Leben und Tod". Bei Impfdurchbrüchen, sofern Patienten nicht immungeschwächt seien, zeige sich seiner Erfahrung nach meist ein nicht so schwerer Verlauf.

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