Süddeutsche Zeitung

Energiewende:Warum Bayern endlich aufhören muss, der Atomkraft nachzuweinen

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In seiner jüngsten Regierungserklärung forderte Bayerns Energieminister Hubert Aiwanger mal wieder eine Verlängerung für die Kernenergie. Ein Täuschungsmanöver, für das es bereits zu spät sein könnte.

Kommentar von Thomas Balbierer

Er hätte es besser wissen müssen. Als Bayerns Wirtschafts- und Energieminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) in seiner Regierungserklärung am Dienstag mal wieder die Laufzeitverlängerung des letzten bayerischen Kernkraftwerks beschwor, war schon bekannt, dass diese Option keine mehr ist. Am 12. Mai hatte Carsten Müller, Chef des AKW Isar 2 bei Landshut, im Landtag unmissverständlich klargestellt, dass die Zeit für eine Entscheidung über den Weiterbetrieb verrinnt - und zwar Ende des Monats. Später könne man "nicht mehr umsteuern", die geplante Abschaltung am 31. Dezember 2022 sei dann "irreversibel". Der Countdown ist abgelaufen.

Doch statt den Tatsachen ins Auge zu sehen, stellte sich Aiwanger just am letzten Maitag ins Parlament, um die seit Monaten vorgetragene Forderung zu wiederholen, die Atomenergie wenigstens bis ins Frühjahr 2023 vorzuhalten. Die dafür zuständige Bundesregierung hat eine Verlängerung geprüft und aus rechtlichen, technischen und organisatorischen Gründen abgelehnt, ein Gutachten von TÜV und bayerischem Umweltministerium hält einen Weiterbetrieb hingegen für möglich. Aiwanger gab Berlin also schon mal die Schuld, falls die Energieversorgung ohne Atomstrom im Winter einem "Seiltanz ohne Netz" gleichen werde. Nachdem nun auch die Deadline des AKW-Betreibers überschritten ist, fehlt dem Energieakrobaten Aiwanger nicht nur das Netz, sondern auch das Seil.

Statt der Kernkraft nachzuweinen, wäre es der Job des Energieministers gewesen, ein kraftvolles Konzept für den Ausbau der Erneuerbaren in Bayern vorzulegen. Aiwanger hätte jede Sekunde seiner Regierungserklärung nutzen müssen, um ernsthafte und weitreichende Vorschläge für den ökologischen Umbau des Freistaats auszuformulieren. Wer, wenn nicht der Energieminister und FW-Chef, hätte selbstbewusst und ohne Rücksicht auf die Windkraftbremser in der CSU auf ein Ende der 10-H-Abstandsregel pochen und vor der Landtagswahl 2023 den Druck auf die Blockierer erhöhen können?

Stattdessen vergeuden Aiwanger und Ministerpräsident Markus Söder (CSU) weiter wertvolle Zeit, indem sie Aufmerksamkeit auf die Scheindebatte um Atomkraft lenken. Doch für politische Spielchen ist bei diesem Überlebensthema längst kein Platz mehr. Mit ihren Nebelkerzen schaden Söder und Aiwanger nicht nur dem Wirtschaftsstandort, dem ohne regenerativen Strom bald der Saft ausgeht. Sie riskieren, was viel schlimmer ist, auch die Grundlagen künftiger Generationen, die ohne mutige Energiewende mit den katastrophalen Folgen der Erderwärmung klarkommen müssen.

Aiwanger müsste es besser wissen: Schon vor Jahren forderte er eine kommunale und dezentrale Energiewende für Bayern - "statt weiter der gefährlichen und vorgestrigen Atomkraft nachzuweinen".

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