Süddeutsche Zeitung

Corona-Pandemie:Söders Kehrtwende kam plötzlich

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Der Ministerpräsident will die Impfpflicht für Personal im Gesundheitswesen nicht umsetzen und wird dafür von vielen Seiten kritisiert. Tatsächlich hat die Staatskanzlei diese Maßnahme bis vor wenigen Tagen selbst noch eindringlich verteidigt.

Von Johann Osel, München

Eines hat Markus Söder auf jeden Fall geschafft: Über seine CSU wird wieder deutschlandweit gesprochen. Bayern will die Impfpflicht für Personal im Gesundheitswesen Mitte März nicht umsetzen. Es werde "großzügigste Übergangsregelungen" geben, "de facto zunächst einmal ein Aussetzen des Vollzugs", hatte der CSU-Chef am Montag nach einer Sitzung seines Parteivorstands gesagt. Damit hat er die Bundesregierung offenkundig überrumpelt, aus den Ländern gab es Zuspruch wie Kritik, die medizinische und juristische Fachwelt diskutiert.

Derweil stellt sich in Bayern die Frage nach der Genese dieser Entscheidung. Warum und wann kam es zu dem Schwenk, war es gar eine Hauruck-Aktion? Ein Briefwechsel des Söder-Vertrauten und Staatskanzleichefs Florian Herrmann (CSU) mit einem Landrat, der nun publik wurde, deutet zumindest auf eine kurzfristige Kehrtwende hin.

Im Januar hatte der Kreistag Straubing-Bogen eine Resolution beschlossen: Der Landrat möge sich beim Ministerpräsidenten dafür einsetzen, dass "die selektive Impfpflicht für Beschäftigte im Gesundheitswesen zurückgenommen wird". Denn die "ohnehin schon prekäre Personalsituation" in der Pflege und in Kliniken würde sich durch den Wegfall Nicht-Geimpfter "wohl weiter verschärfen".

Das Schreiben des Landrats Josef Laumer (CSU) wurde von Herrmann beantwortet und unterzeichnet: Die einrichtungsbezogene Impfpflicht sei "ein wichtiger Schritt für den Schutz vulnerabler Personengruppen in der Covid-19-Pandemie", schrieb er. Bund und Länder hätten sich die Entscheidung darüber "nicht leicht gemacht", dabei seien Bedenken wie die aus Straubing berücksichtigt worden. Der Blick in europäische Nachbarländer zeige aber, "dass diese Sorgen zumeist unbegründet sind".

"Schamlos" nennt FDP-Chef Hagen das Vorgehen der CSU

Herrmann mahnte den Landrat noch: "Ich möchte dringend darum bitten, dass wir nun nicht noch zusätzliche Verunsicherung schaffen" - man müsse gemeinsam für den eingeschlagenen Weg werben. Datumsstempel der Staatskanzlei: Freitag, 4. Februar. Am Montag nach dem CSU-Vorstand: alles anders. Und am Dienstag nach dem Kabinett sagte Herrmann: die Teil-Impfflicht sei "völlig praxisuntauglich", Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) rase mit seinem Entwurf "mit 180 Sachen in dichte Nebelbänke".

Verwundert darüber zeigte sich SPD-Fraktionschef Florian von Brunn: Noch am Freitag die Verteidigung dieser Impfpflicht, am Montag münde sie angeblich im Chaos - das sei "prinzipienlos und verantwortungslos". Söder hoffe wohl, "bei bestimmten Gruppen einen Vorteil zu bekommen", hänge "sein Fähnchen nach dem Wind". FDP-Fraktionschef Martin Hagen nannte das Vorgehen der CSU "schamlos".

"Bayern steht unverändert zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht als erstem Schritt, dem hoffentlich bald eine allgemeine Impfpflicht folgt", heißt es auf Nachfrage der SZ dazu aus der Staatskanzlei. Der Bund sei gefordert, "klare und praktikable Regeln aufzustellen". Zum Brief konkret? "Es war richtig, der Kreistagsresolution, welche die generelle Abschaffung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht gefordert hat, deutlich entgegenzutreten."

Tatsächlich fällt der Wortlaut der Resolution auf: dass die Maßnahme "zurückgenommen" werde. Ein anderer Wortlaut als beim Druck aus den Kommunen, der im Laufe der vergangenen Woche entstanden war. Der Bayerische Landkreistag hatte gefordert, die Teil-Impfpflicht "auszusetzen, zumindest bis vom Bund praktikable und unbürokratische Vollzugshinweise vorgelegt werden". Dennoch findet sich in Herrmanns Antwort vom Freitag nicht die Spur einer Andeutung auf das, was am Montag kommen sollte. Was wohl dafür spricht, dass eben der CSU-Vorstand die neue Linie vorgegeben hat: jetzt konfrontativ gegenüber dem Bund das Aussetzen zu vermelden.

Bayern dürfe nicht vom CSU-Vorstand regiert werden, kritisiert Florian von Brunn

Angebahnt hat sich das freilich über Wochen. Mehrmals hatte Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) Bedenken angemeldet, man vermisse "Leitplanken" vom Bund zum Vollzug; ebenso Fortschritte bei der allgemeinen Impfpflicht - damit Beschäftigte im Gesundheitswesen nicht das Gefühl hätten, ein "Sonderopfer" zu erbringen. Holetschek sagte nun zur ganzen Debatte: "Es ist besser, Probleme zu benennen, als sie zu ignorieren. Genau das ist passiert." So wie in Regierungskreisen beteuert wird: "Es geht hier wirklich um die Sache, nicht um einen politischen Plan."

Die Landtagsgrünen warfen dem CSU-Chef dagegen Kalkül vor. "Herr Söder hat schon jetzt nur noch den Landtagswahlkampf im Kopf" und instrumentalisiere dafür die Impfpflicht, teilte die Gesundheitspolitikerin Christina Haubrich mit. Die AfD dagegen will auch das "Damoklesschwert" der Impfpflicht für alle vom Tisch haben, sagte ihr pflegepolitischer Sprecher Roland Magerl.

SPD-Mann Brunn ist indes noch etwas aufgefallen: der Schwenk nach dem CSU-Vorstand, nicht nach dem Ministerrat mit den Freien Wählern oder über das Parlament: "Markus Söder interessiert sich inzwischen weder für Bundesgesetze, denen er selbst im Bundesrat zugestimmt hat, noch für den Landtag". Er lasse sich "seine populistischen Wenden" in der Parteiführung abnicken, meint Brunn. "Bayern darf aber nicht vom CSU-Vorstand regiert werden".

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