Süddeutsche Zeitung

Mitten in Bayern:Aufwind für Ballon-Verschwörer

Lesezeit: 1 min

In diesen verwirrenden Zeiten wird gerne alles mit allem in Verbindung gebracht. Und so liegt auch ein Verdacht nahe, wenn das Kultusministerium meldet, dass bayerische Schüler einen Ballon in die Stratosphäre schicken.

Glosse von Maximilian Gerl

Man muss nicht verschwörungsgläubig sein (aber es hilft!), um in diesen verwirrenden Zeiten alles mit allem in Verbindung zu bringen. Dazu ist unsere Welt zu globalisiert. Wenn irgendwo etwas passiert, hat es häufig auch bei uns im Freistaat Folgen. Und, qua Logik, umgekehrt. Oder?

Interessant konstruierte Gedankengebäude hat die jüngere Geschichte jedenfalls zuhauf hervorgebracht. Mal vergiftet eine Elite die Menschheit mit Impfstoffen, mal wird die Erde von Echsenmenschen regiert. Jetzt aber könnte womöglich das bayerische Kultusministerium die geballte Aufmerksamkeit von Youtube-Enthüllern und Telegram-Theoretikern erhalten. Dabei klang die am Montag verschickte Pressemitteilung so harmlos: "Digitaler Unterricht heute - Schüler bringen Wetterballon bis in die Stratosphäre." Doch wer weiß, dass alles mit allem zusammenhängt, weiß auch, dass ein Ballon eben erst von den USA in deren Luftraum abgeschossen wurde. Und dass die Sichtung weiterer, mysteriöser Flugobjekte über Nordamerika folgte. Das kann kein Zufall sein!

Von wegen also chinesische Spionage, wie manche glauben, oder die Vorhut einer Alien-Invasion: Die Bayern stecken dahinter. Eindeutig. Aber warum? Späht Michael Piazolo den Unterricht in Übersee aus, um bei der nächsten Kultusministerkonferenz mit Insiderwissen zu brillieren? Will der Wissenschaftskollege Markus Blume nicht nur sprichwörtliche neue Sphären mit seiner Hightech-Agenda erreichen? Oder sucht Ministerpräsident Markus Söder nach einem Ort, an dem sich Vize Hubert Aiwanger bis zur Landtagswahl kaltstellen lässt? Für Letzteres würde der Abschussort eines der Flugobjekte sprechen: Alaska.

Weitere "Beweise", im Internet auch gerne unschuldig als Frage formuliert, werden sich schon finden lassen. Wobei: Das Timing ist vielleicht ein wenig ungünstig. Denn wer die Ministeriumsmitteilung weiterliest, erfährt, dass die Schülerinnen und Schüler der Realschule Dettelbach (Landkreis Kitzingen) noch an ihrem Forschungsballon basteln. Aufsteigen soll er erst zum Schuljahresende - und könnte damit kaum schon anderswo abgeschossen worden sein. Doch selbst in Zeiten, in denen alles so schön mit allem zusammenhängt, darf man es mit den Details halt nicht zu genau nehmen.

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