Süddeutsche Zeitung

Landesausstellung in Ansbach:"Der Franke ist sich selbst genug"

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Verlässlich, bleichgesichtig, rauschresistent: So sahen Amtsärzte des 19. Jahrhunderts die Menschen in Nordbayern. Stimmt das so? Eine Landesausstellung geht dem nun nach.

Von Olaf Przybilla, Ansbach

Die Historiker vom Haus der Bayerischen Geschichte sind nicht die ersten, die wissen wollen, was typisch fränkisch ist. In der Mitte des 19. Jahrhunderts bereits versuchte die bayerische Regierung zu eruieren, was man sich da im Norden des Landes für, nun ja, interessante Neuankömmlinge an Land gezogen hatte. Am 21. April 1858 erging also eine Verordnung, mit der Berichte aus allen Landesteilen angefordert wurden. Betraut mit der Frage nach Identität und Volkscharakter konnte natürlich nicht das Statistische Landesamt in Fürth werden (das würde man vermutlich heute behelligen damit), betraut wurden die Amtsärzte in den jeweiligen Regionen. Und wie ist er nun, der Franke?

Die "medizinisch-topographische und ethnographische Beschreibung der Physikatsbezirke Bayerns" sind, das vorweg, eine innerbayerische Preziose der funkelnden Art. Man wird sie in ihrer Grobschlächtigkeit und Klischeehaftigkeit hinterfragen müssen wie generalisierende Befunde über große Gruppen von Menschen allgemein. Und womöglich sagten die nach München übermittelten Grobdiagnosen deutlich mehr über den jeweiligen Arzt aus als über die Franken. Aber das ist ja das Schöne am Vorurteil - und also auch das Reizvolle an dieser Landesausstellung, die auf das Fragezeichen im Titel "Typisch Franken?" einen gesteigerten Wert legt.

Obacht also, so lautet der ultimativ-amtliche Stammesbefund eines Arztes aus Würzburg: "Der Franke ist aufrichtig, voll derben Witzes, macht keine Umstände, ist redlich, auf sein gesundes Urteil pochend." Das wird man gerne hören zwischen Amorbach und Altdorf, auch dass "der Franke" verlässlich sei "als Freund und Feind" mag ebenso noch auf hinreichend Zustimmung stoßen wie die verbindliche Diagnose: "Der Franke ist sich selbst genug, er will keine Gemeinschaft mit benachbarten Stämmen."

Allein die "Physikatsberichte" wären einen Besuch wert

Der Kollege vom Ansbacher Land ist da schon eher auf Krawall gebürstet, er wanzt sich seiner Regierung mit dem Untersuchungsbefund an: "Die Reinlichkeit, wie sie in Schwaben und Altbayern angetroffen wird, kennt der Franke nicht und vermisst sie daher auch nicht." Nur selten, so will er festgestellt haben, komme es "ihnen" - den Originalfranken an sich - in den Sinn, "Schüssel und Teller zu reinigen". Stattdessen bewahrten sie Löffel und Gabel ungereinigt in der Tischschublade auf - "für die nächste Mahlzeit", praktischerweise.

Und der Hauptfranke gewissermaßen? Der "eingeborene Nürnberger" - was für eine wohlklingende Formulierung allein dies - erhebe sich, so der offiziell amtsärztliche Befund, "in seiner Statur nur wenig über Mittelgröße" und sei von "vorherrschender bleicher Gesichtsfarbe". Da sich die Diagnostizierenden selbstredend auf wissenschaftlich beglaubigter Basis äußern, wird hier eine nachprüfbare Begründung gleich mitgeliefert: "Unstreitig" trügen zur fahlen Farbe im Gesicht des Eingeborenen "die vielen engen, kein Sonnenlicht einlassenden Straßen wesentlich" bei. Zumal (das steht so nicht im Befund) man sich Nürnberg dann mutmaßlich als eine Art doppelummauertes Ghetto wird vorstellen müssen, in das man zwar rein, aber sonnenmäßig nie wieder raus konnte - mit signifikant verbürgten Folgen für den allgemeinen Teint.

Der Unterfranke? "Schwere Weinbergsarbeit von früher Jugend" an

Man mag sich gar nicht loseisen beim Blättern in diesen "Physikatsberichten" (schon allein deshalb lohnt der Blick in den die Präsentation ergänzenden Ausstellungskatalog). Der Unterfranke? "Schwere Weinbergsarbeit von früher Jugend" an, das viele Wein- und Most-Trinken, darunter auch üble Tropfen, dazu "frühes Geschlechtsleben" - das alles habe entsprechende Folgen fürs Leben am Main. In der Rhön? Dort verschlängen sie "in kurzer Zeit einige Schoppen eines fuseligen Kartoffelbranntweins" - ohne freilich "besondere Merkmale des Rauschs zu zeigen". Und die Fürther? Wie man sie halt zu kennen glaubt, aus streng wissenschaftlich-medizinischer Perspektive: "Der Fürther ist nur gerne in Fürth. Wanderung tritt bei ihm nur ein, wenn es die Not erheischt oder wenn Gewinn lockt."

Eine Feststellung aus den Physikatsberichten hat es auch in die Landesausstellung geschafft - wohl ein Hinweis darauf, dass ihr die Macher eine gewisse Gültigkeit im vermeintlich altbayerisch-fränkischen Dualismus zumessen: "Der Franke ist von Herzen froh, zu Bayern zu gehören, so stolz er auf sein Frankenthum ist." Mit ihm wird der Besucher in der Ansbacher Orangerie ebenso empfangen wie mit Aperçus frankenstämmiger Prominenter.

"Franken ist: fei, allmächd, fralli, horgns und edzerdla. Wenn ich diese Worte höre, weiß ich, ich bin daheim", legt sich Katrin Müller-Hohenstein fest. Ihre ZDF-Kollegin Barbara Hahlweg wiederum analysiert: "Uns Franken mag keine sprudelnde Beredsamkeit gegeben sein. Auch kein unbeschwertes Gemüt. Dennoch lohnt die Kontaktaufnahme. Vor allem für Menschen, die Ehrlichkeit, Humor & Freigeister schätzen." Während Frank-Markus Barwasser, alias Erwin Pelzig, konstatiert: "Wer so bescheiden und gelassen rüberkommen will wie die Franken, sollte ein ziemlich gesundes Selbstbewusstsein haben."

Nun handelt es sich um eine historische Landesausstellung, dass da in Ansbach vom 25. Mai bis 6. November 2022 gewissermaßen nicht nur ein Volksstamm auf die amtsärztliche Couch gelegt wird, versteht sich. Durch die Historie von acht Regionen - sowie zusätzlich durchs "reichsstädtische Franken" - wird der Besucher exemplarisch geleitet, über die Auswahl wird vermutlich zu streiten sein, auch wenn es Museumschef Richard Loibl allfälligen "Beschwerdeführern nicht leicht machen" möchte. Die ausgesuchten Spaziergänge in die regionale Frankengeschichte bieten ebenso Notwendiges (wie die NS-Geschichte in Nürnberg, die im Katalog um jene Coburgs ergänzt ist) wie Unvermeidliches ("Das Wirtshaus im Spessart"), machen sich um praktisches Bildungsgut (Jean Paul als Schöpfer von Worten wie "Schmutzfink" oder "Wetterfrosch") ebenso verdient wie um süffige Auftrumpf-Geschichten aus Nordbayern.

So verbindet man "High Society" wohl nicht notwendigerweise mit Franken. Nach Bad Kissingen aber, der letzte Spaziergang der Ausstellung, reiste nicht nur eine angebliche "Gräfin von Hohenembs" inkognito zur Kur, sie wurde dort auch - trotz offiziellem Fotoverbot - mit der Kamera abgeschossen. Auf dem Bild ist unterm Schirm eindeutig die Kaiserin Elisabeth von Österreich zu erkennen. Das vorletzte Foto von "Sisi".

Ein katholischer Radikalinski plante ein Attentat auf Bismarck

Tatsächlich erschießen wollte wiederum ein gewisser Eduard Kullmann den Reichskanzler Otto von Bismarck bei dessen erstem Besuch in Kissingen. Kullmann, ein katholischer Radikalinski, konnte gefasst werden, der Kanzler reiste noch oft nach Kissingen. Und ließ sich dort, bis zu 124 Kilogramm schwer und radikal diätbereit, täglich in aller Öffentlichkeit wiegen. Die "Bismarck-Waage" ist zweifellos ein Pfund dieser Ausstellung.

Wie es überhaupt zur Schau "Typisch Franken" kam? Darüber legt Loibl im Katalog Rechenschaft ab. Oberfrankens Bezirksheimatpfleger Günter Dippold hatte sich 2016 in Anwesenheit von Ministerpräsident Horst Seehofer humorig darüber beklagt, dass nicht seine "bier- und brauereireiche" Heimat den Zuschlag für eine Landesausstellung zum Jubiläum des Bierreinheitsgebots bekommen hatte - sondern ein Ort in Altbayern. Seehofer soll daraufhin eine Landesausstellung zum Thema "Die authentischen Franken und ihr hintersinniger Humor" angewiesen haben, woraufhin sich Loibl, eigener Darstellung gemäß, "in alter bewährter Beamtenmanier erst einmal tot" gestellt habe. Schließlich aber doch zur Tat schreiten musste, wenn auch mit breiter gefasstem Ansatz.

Das Bier spielt jetzt natürlich auch eine Rolle. Zu sehen ist ein für die gesamtbayerische Geschichte womöglich sinnbildliches Werbeschild aus Lichtenfels in Oberfranken. Ja, es gibt dort mehr Brauereien als irgendwo anders. Um Kunden wirbt das Schild 1920 freilich mit einer tragenden Figur: dem Münchner Kindl.

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