Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Wenn Kinder an Covid-19 erkranken

Lesezeit: 3 min

Neue Daten bestätigen: Die Krankheit verläuft bei Kindern meist mild. Doch manchmal gibt es schwere Komplikationen - wie das Kawasaki-Syndrom.

Von Berit Uhlmann

Im Frühjahr ging es in Europa los, Tag für Tag stiegen die Fälle. In den ersten Apriltagen erlebte Europa den bisherigen Höhepunkt der Corona-Pandemie. Zur gleichen Zeit begannen Kinderärzte aus 21 Ländern des Kontinents, Daten über ihre jungen Patienten zu sammeln. Nun ist die Auswertung im Fachblatt Lancet Child & Adolescent Health erschienen. Sie bestätigt, was zuvor schon aus China berichtet worden war: Kinder und Jugendliche leiden nur selten schwer an der neuen Erkrankung. Dennoch: In Sicherheit kann sich keine Familie wiegen - egal wie vital, wie fit ihr Kind auch ist.

"Unsere Studie zeigt, dass schwere Fälle in allen Altersgruppen auftreten", sagt Florian Götzinger vom Wiener Wilhelminenspital, der als Hauptautor an der Untersuchung der Kinder zwischen null und 18 Jahren beteiligt war. Am häufigsten aber stellten die Forscher schwere Covid-19-Verläufe bei Neugeborenen und jenen Kindern fest, die bereits an Vorerkrankungen litten. Dazu gehörten Asthma und andere chronische Atemwegsprobleme, angeborene Herzleiden, Krebs sowie neurologische Krankheiten wie Epilepsie. Doch auch zuvor gesunde Kinder konnte eine Sars-CoV-2-Infektion so schwer treffen, dass sie auf einer Intensivstation behandelt werden mussten. Immerhin drei Viertel der jungen Intensivpatienten hatten keinerlei bekannte Vorerkrankungen.

Das Risiko für eine Verlegung auf die Intensivstation stieg auch an, wenn sich Kinder zusätzlich zum Coronavirus noch mit weiteren Erregern von Atemwegserkrankungen infiziert hatten. Von diesen mehrfach infizierten Kindern hatten 24 Prozent ernste Komplikationen, während es unter den anderen nur sieben Prozent waren. Zu den weiteren Erregern gehörten gängige Erkältungs- und Influenzaviren. Dabei war die typische Grippesaison schon vorbei, als die Wissenschaftler ihre Daten sammelten. Die Forscher warnen daher, dass Komplikationen im kommenden Winter - wenn deutlich mehr Erreger zirkulieren - häufiger auftreten könnten.

Mit der Arbeit will das internationale Team in erster Linie Kliniken informieren, worauf sie sich einstellen müssen. Die insgesamt 582 untersuchten Kinder waren alle zur Untersuchung oder Behandlung in ein Krankenhaus gekommen. Kinder, die die Infektion ohne größere Beschwerden daheim auskurierten, wurden nicht in die Analyse einbezogen. Damit kann die Arbeit keine Aussagen darüber treffen, wie häufig Komplikationen unter allen Kindern sind.

Ein Viertel der Kinder mit Covid-19 hatte Magen-Darm-Beschwerden

Von den untersuchten fast 600 Kindern wurden acht Prozent auf der Intensivstation behandelt. Etwa die Hälfte von ihnen musste künstlich beatmet werden - oft mehr als eine Woche lang. Vier Kinder - das sind 0,7 Prozent der Untersuchten - starben. Berücksichtigt man, dass viele Kinder nur milde oder gar asymptomatisch erkranken, dürfte die Sterberate unter allen Kindern noch deutlich niedriger liegen.

Am häufigsten litten Kinder und Jugendliche an Fieber und Atemwegsbeschwerden. Etwa ein Viertel der Patienten klagte über Magen-Darm-Probleme - zum Teil fehlten bei ihnen die Atembeschwerden.

Die Studie ist die erste große Untersuchung zu Covid-kranken Kindern in Europa. Doch letztlich ist auch sie bereits von der Aktualität eingeholt worden. Nachdem die Datenerhebung abgeschlossen war, meldeten Pädiater aus den USA und einigen europäischen Ländern eine weitere besorgniserregende Entwicklung. Sie hatten bei einigen Kindern, die positiv auf das Coronavirus getestet worden waren, Entzündungen verschiedener Organe festgestellt. Herz, Lungen, Niere, Gehirn, Haut, Augen oder Verdauungsorgane waren betroffen. Das Phänomen wurde Multisystemisches Entzündungssyndrom getauft; es kann zum Schock und Organversagen führen.

Noch ist vieles offen, darunter auch die Frage, ob das Syndrom wirklich ursächlich auf eine Infektion mit Sars-CoV-2 zurückgeht, warum es bislang nur in einigen Ländern beobachtet wurde und ob es Langzeitschäden hinterlassen kann. Zu diesen Fragen konnte auch die aktuelle Lancet-Studie nichts beitragen.

Das Multisystemische Entzündungssyndrom ähnelt teilweise dem Kawasaki-Syndrom, das schon in den 1960er-Jahren in Japan erstmals beschrieben wurde. Auch diese Störung haben Mediziner bei Covid-erkrankten Kindern beobachtet. Sie tritt vor allem bei unter Fünfjährigen auf und geht mit einer Entzündung der Blutgefäße einher, mit Fieber und oft auch einem Hautausschlag. Im Extremfall kann sie das Herz angreifen.

Zu den Unsicherheiten gehört auch, dass Pädiater noch nicht genug darüber wissen, mit welchen Medikamenten sie Kinder mit schweren Covid-Erkrankungen am besten behandeln können. Sie stellten große Unterschiede in den Richtlinien der verschiedenen europäischen Länder fest - und fordern dringend, auch Kinder und Jugendliche in die Suche nach geeigneten Behandlungsmethoden miteinzubeziehen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4949207
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.