Süddeutsche Zeitung

Konsum:So will die EU Produkte aus Zwangsarbeit stoppen

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Behörden sollen Verdachtsfälle untersuchen und den Verkauf und Import verbieten. Die Maßnahmen sollen aber nicht nur Waren aus der chinesischen Uiguren-Provinz treffen.

Von Björn Finke, Brüssel

Viele Menschen wollen sich vor Covid schützen, indem sie manchmal dünne blaue Einmal-Handschuhe tragen. Der Großteil dieser Handschuhe kommt aus Malaysia - und wird dort auch von Zwangsarbeitern gefertigt. Solche und andere Waren, bei denen Zwangsarbeiter beteiligt sind, sollen künftig nicht mehr in der EU verkauft werden dürfen. Nationale Aufsichtsbehörden sollen die Güter aus dem Verkehr ziehen, Zöllner sollen Im- und Exporte stoppen. Dies sieht eine Verordnung vor, welche die Kommission in dieser Woche präsentieren will. Der Süddeutschen Zeitung liegt ein 38-seitiger Entwurf vor.

Nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO gibt es 27,6 Millionen Zwangsarbeiter, von denen mehr als die Hälfte in Asien und Ozeanien ausgebeutet werden. Auf China entfällt wohl ein beträchtlicher Teil: Der Regierung wird vorgeworfen, in der Provinz Xinjiang Uiguren und andere muslimische Minderheiten in Lagern Zwangsarbeit verrichten zu lassen. Waren, die damit in Verbindung stehen, dürfen künftig nicht mehr in die EU exportiert werden. Damit könnte das Gesetz, dem erst noch Europaparlament und Ministerrat - das Gremium der Mitgliedstaaten - zustimmen müssen, die Beziehungen zu China weiter belasten. Zumal Brüssel kürzlich schon mit anderen handelspolitischen Initiativen die Gangart gegenüber China verschärft hat.

Der SPD-Europaabgeordnete Bernd Lange, der Vorsitzende des Handelsausschusses, betont aber, das neue EU-Gesetz sei "keine Lex China". Es gebe auch bei Produkten aus anderen Ländern Sklavenarbeit. Neben den Handschuhen aus Malaysia nennt er etwa Zuckerrohr aus Mittelamerika. Außerdem zielt die Verordnung, die zwei Jahre nach der Verabschiedung in Kraft treten soll, auch auf illegale Fabriken innerhalb der EU ab, in denen moderne Sklaven ausgebeutet werden. Deren Güter dürfen nicht vertrieben oder aus Europa ausgeführt werden. Dass der Rechtsakt neben Importen genauso Waren aus der EU in den Fokus nimmt, sei wichtig, weil sich ansonsten andere Staaten bei der Welthandelsorganisation wegen Protektionismus beschweren könnten, erläutert Lange.

Konkret sieht die Verordnung vor, dass Behörden der Mitgliedstaaten Informationen sammeln und prüfen, ob bei bestimmten Produkten das Risiko besteht, dass Hersteller oder Zulieferer Zwangsarbeiter beschäftigen. Die Kommission will zudem eine Datenbank zu besonders betroffenen Gütern aufbauen. Gerät ein Unternehmen oder ein Produkt in Verdacht, leiten die Behörden Untersuchungen ein. Die Beamten dürfen Betrieben Besuche abstatten, auch im Ausland. Kann die Firma die Vorwürfe nicht entkräften, verbieten die Behörden den Verkauf in der EU sowie Im- und Exporte. Waren, die schon in den Regalen sind, werden zurückgerufen und zerstört oder gespendet.

Volkswagen und BASF haben Werke in der Uiguren-Provinz

Wollen sich Konzerne derartigen Ärger ersparen, müssen sie sorgfältig prüfen, ob ihre Zulieferer in aller Welt vielleicht Zwangsarbeiter beschäftigen. Allerdings will Brüssel solche Bemühungen ohnehin bald vorschreiben: Vor einem halben Jahr legte die Kommission den Entwurf eines EU-Lieferkettengesetzes vor, das über die deutsche Version deutlich hinausgeht. Die Richtlinie verlangt, dass Firmen bei der kompletten Lieferkette auf Verstöße gegen Menschenrechte und Umweltverschmutzung achten und diese abstellen.

Der SPD-Handelspolitiker Lange sagt, das Zwangsarbeitsverbot könnte zu "Veränderungen bei den Wertschöpfungsketten" führen. Sprich: Unternehmen könnten sich von Zulieferern trennen, bei denen ein Risiko besteht, dass sie in irgendeiner Form von Zwangsarbeit profitieren. In der chinesischen Provinz Xinjiang haben zum Beispiel auch die Dax-Konzerne Volkswagen und BASF Niederlassungen, zusammen mit Partnern vor Ort. Lange sagt dazu, deutsche Unternehmen würden sich ebenfalls "ihre Wertschöpfungsketten anschauen und vielleicht ändern müssen".

Kritik an dem Vorschlag kommt von den Grünen. Anna Cavazzini, die handelspolitische Sprecherin der Fraktion im Europaparlament, begrüßt die Initiative zwar grundsätzlich: "Der Handlungsdruck ist groß", sagt sie. Produkte, bei denen Zwangsarbeiter beteiligt seien, "landen oft in unseren Supermarktregalen, was europäische Verbraucherinnen und Verbraucher zu unfreiwilligen Komplizen macht". Doch in den Verhandlungen über das Gesetz im Parlament werde sie darauf dringen, dass "die Hürde der Beweislast" für die Behörden nicht zu hoch sei.

Cavazzini würde es lieber sehen, dass der Rechtsakt den Unternehmen die Beweislast aufbürdet - so wie bei einem ähnlichen Gesetz in den USA. Gibt es Hinweise auf Zwangsarbeit, müssen die Konzerne dort nachweisen, dass ihre Zulieferer mit solchen Machenschaften nichts zu tun haben. Lange verteidigt den Ansatz der Kommission dagegen und lehnt "einen Generalverdacht gegen Unternehmen und bestimmte Staaten" ab. Der CDU-Europaabgeordnete Daniel Caspary stimmt dem Sozialdemokraten zu. "Eine Umkehr der Beweislast, wie sie manche Kollegen im Europaparlament fordern, ist von den Unternehmen schlicht nicht zu leisten", sagt der Handelspolitiker.

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