Süddeutsche Zeitung

Zahlungen an chinesische Klinik-Chefs:Schmiergeld für Siemens-Produkte geflossen

Lesezeit: 3 min

Von Christoph Giesen, Peking, Klaus Ott und Nicolas Richter

Beim Handel mit Medizintechnik-Geräten von Siemens ist in China über Jahre hinweg Schmiergeld geflossen. Das besagen mehr als 40 Urteile chinesischer Strafgerichte, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen. In fast allen Fällen hatten Zwischenhändler die Verantwortlichen von Krankenhäusern bestochen, damit diese sich für den Kauf von Siemens-Produkten entschieden, beispielsweise Computertomografen zur Erkennung von Krebserkrankungen. Geschmiert wurde den Urteilen zufolge nicht nur mit Bargeld, sondern auch mit Geschenken: Uhren, Kleider, Kameras, ja sogar Immobilien. Hinzu kamen Geschäfte, bei denen zwei damalige Beschäftigte von Siemens chinesische Krankenhaus-Direktoren bestochen hatten. Zahlreiche solcher Direktoren wurden verurteilt; zu teils hohen Gefängnisstrafen. Ein früherer Siemens-Mitarbeiter bekam drei Jahre Haft auf Bewährung.

Die Urteile dokumentieren, wie schwierig es in bestimmten Staaten ist, Handel frei von Korruption zu treiben. China rangiert im weltweiten Index der Anti-Korruptionsinitiative Transparency International derzeit nur auf Platz 77 von 180 Ländern, wird aber als Absatzmarkt immer bedeutender für westliche Konzerne. Siemens verkauft dort im Gesundheitssektor inzwischen jährlich Geräte für 1,6 Milliarden Euro, steht aber nach Einschätzung von Branchenkreisen unter Druck, sich in diesem Markt zu behaupten.

Der in München ansässige Industriekonzern teilte auf Anfrage mit, eine eigene, umfassende Analyse chinesischer Urteile zeige, dass bei Konkurrenten "eine ähnliche Anzahl von Vorgängen existiert". Siemens erklärte weiter, auf die in China üblichen Zwischenhändler habe man "nur begrenzt Einfluss". Diese Firmen arbeiteten sehr eigenständig. Siemens überprüfe in der Regel alle drei Jahre die Geschäftsbücher und Konten der Zwischenhändler, bei Verdachtsmomenten auch häufiger.

Nach Einschätzung von Siemens zeigen die Urteile, dass der chinesische Staat zunehmend gegen Korruption vorgehe. "Wir begrüßen und unterstützen diese Entwicklung." Aufgeschreckt durch die Gerichtsverfahren, die Geschäfte von 2004 bis 2014 betreffen, hat Siemens seit Mitte 2016 seinen Handel mit Medizintechnik-Geräten in China untersucht. Dazu gibt es zwei interne Prüfberichte vom 7. März 2017 und vom 15. Januar 2018, die aber unter Verschluss bleiben. Zum Inhalt dieser Untersuchungsberichte schweigt der Konzern. Siemens hat die Zahl der Zwischenhändler in China inzwischen drastisch reduziert, auf derzeit noch rund 300 Firmen. Das geschah aus mehreren Gründen; unter anderem, um das Risiko von Gesetzesverstößen zu verringern.

Firmen wie jene in China, die als Zwischenhändler große Aufträge vermitteln, führen nach Einschätzung von Transparency International "immer zu großen Korruptionsrisiken". Dort kämen ausländische Unternehmen ohne solche Vermittler "teilweise gar nicht in die Märkte hinein", sagt Otto Geiß, Vorstandsmitglied von Transparency in Deutschland. Das habe politische Gründe. Es sei daher wichtig, sich bei solchen Zwischenhändlern "umfassende Prüfungsrechte auszubedingen". Je schwieriger der Markt, desto mehr müssten Unternehmen tun, um Korruption zu verhindern. Angesichts der vielen Urteile in China müssten Unternehmen ihre dortigen Vermittler häufiger als bisher kontrollieren sowie alle Geschäfte ab einer bestimmten Größenordnung gesondert überprüfen, fordert Transparency-Vorstand Geiß. Siemens hatte die Zahl der Zwischenhändler beziehungsweise Berater, die Millionenaufträge vermitteln, früher schon einmal deutlich verringert.

Nach dem großen Schmiergeldskandal 2006 gründete Siemens eine Kontrolleinheit

Das war nach dem Schmiergeldskandal im vergangenen Jahrzehnt geschehen. Die Staatsanwaltschaft München I hatte 2006 ein weltweites System von schwarzen Kassen und Schmiergeldzahlungen bei Siemens enthüllt, was zu der Verurteilung von Managern sowie zu Geldbußen für das Unternehmen in Deutschland, den USA und anderen Staaten in Höhe von insgesamt mehr als einer Milliarde Euro führte. Bei den Ermittlungen hatte sich herausgestellt, dass Siemens in vielen Fällen nicht direkt, sondern über dazwischen geschaltete Berater Regierungen und Geschäftspartner geschmiert hatte, um den Zuschlag für lukrative Aufträge zu erhalten. Das betraf etwa den Bau von Kraftwerken oder die Lieferung von Industrieanlagen.

Nach dem Schmiergeldskandal baute Siemens eine große Unternehmenseinheit auf, die mit strengen Kontrollen Korruption künftig verhindern sollte. Der Konzern wollte sich zum Vorbild entwickeln. "Nur saubere Geschäfte sind Siemens-Geschäfte. Ohne Wenn und Aber. Ohne Kompromisse", betont Vorstandschef Joe Kaeser. Siemens sei ein gebranntes Kind. Alle Mitarbeiter seien gefordert, die Regeln des fairen Wettbewerbs stets zu befolgen, vorzuleben und anderen zu vermitteln, erklärte Kaeser vor einem Jahr bei der Vorlage der neuesten Richtlinien von Siemens für das eigene Geschäft. Dieser Anspruch stößt in Ländern wie China aber offenbar schnell an Grenzen.

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