Süddeutsche Zeitung

Verkehrsprognose:Wissing erwartet Lkw-Boom - und will deshalb Straßen ausbauen

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Die Bundesregierung will Güter künftig eigentlich mit der Bahn transportieren lassen. Doch nun kommt eine Vorhersage des Verkehrsministers zu einem ganz anderen Fazit.

Von Markus Balser, Berlin

Lebensmittel, Rohstoffe oder Autoteile: Die Elefantenrennen auf den rechten Spuren deutscher Autobahnen machen Tag für Tag klar, welche Bedeutung der Lastwagenverkehr längst für das ganze Land hat. Doch die Deutschen müssen sich nach einer Prognose im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums bis 2051 auf noch viel mehr Güterverkehr einstellen. Laut dem zuständigen Minister Volker Wissing wächst der Transport von Waren und Gütern in den kommenden knapp 30 Jahren um rund 50 Prozent.

Der Straßenverkehr soll dabei eine immer größere Rolle spielen, obwohl die Bundesregierung sich eigentlich zum Ziel gesetzt hatte, Güter stärker auf die umweltfreundliche Schiene zu verlagern. Doch die Prognose kommt zu einem ganz anderen Schluss: Die Bedeutung von Lkw-Lieferungen werde sogar noch zunehmen, heißt es darin. Denn der ohnehin dominante Güterverkehr über die Straße spiele mit einem Plus von 54 Prozent in Zukunft eine noch größere Rolle. Für die Schiene rechnen die Studienautoren bis zur Mitte des Jahrhunderts lediglich mit einem Zuwachs von 33 Prozent. Der Lkw bleibe damit das dominierende Verkehrsmittel im Güterbereich, sagte Wissing.

Der Verkehrsminister will mit den Ergebnissen auch seine Position in einem verfahrenen politischen Streit stärken. Denn innerhalb der Bundesregierung wird gerade hart darum gerungen, wie stark die Straßeninfrastruktur ausgebaut werden und ob im Rahmen einer Planungsbeschleunigung auch der Bau von Autobahnen vereinfacht werden soll. Wissing befürwortet dies, der grüne Koalitionspartner lehnt es ab. Die Zahlen machten klar, dass Deutschland künftig neben einer besseren Bahn- auch eine bessere Straßeninfrastruktur und neue Autobahnen brauche, sagte Wissing. Sonst seien die erwarteten Verkehrsströme nicht zu bewältigen.

Der Personenverkehr hingegen steigt laut der Prognose nur noch leicht an. Die Studie geht von einem Plus von vier Prozent auf der Straße aus. Starke Zuwächse verbuchen Bahn- und Luftverkehr (jeweils plus 50 Prozent) sowie der Radverkehr (plus 30 Prozent). Das Auto bleibe allerdings das mit Abstand wichtigste Fortbewegungsmittel. "Wir benötigen einen leistungsfähigen und klimaneutralen Verkehrsträger Straße", sagte Wissing. So müssten Nadelöhre beseitigt werden, die für Staus sorgten. Diese verursachten einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden.

Umweltministerium will Ergebnisse prüfen

Das Bundesumweltministerium äußerte sich am Freitag zurückhaltend zu den Angaben. Es gelte nun, die Ergebnisse zu prüfen, sagte ein Sprecher. Über die Priorität bei einer Beschleunigung von Planungsverfahren schwelt in der Ampelkoalition seit Wochen ein heftiger Streit. Wissing will nicht nur Brücken, sondern auch Autobahnen schneller bauen lassen - das lehnen aber Umweltministerin Steffi Lemke und die Grünen ab. Sie pochen angesichts der vorgesehenen Klimaschutzziele auf Vorrang für die Schiene.

Ein Koalitionsausschuss soll Ende des Monats eine Lösung in dem verfahrenen Streit finden. Doch noch sind die Fronten verhärtet. Grünen-Chefin Ricarda Lang forderte den Verkehrsminister am Freitag zu mehr Entschlossenheit beim Klimaschutz auf. Der Aufgabe im Verkehr müssten sich Bund, Länder und Kommunen gemeinsam stellen. "Dafür muss das Verkehrsministerium jetzt endlich konkrete Vorschläge liefern, wie die Emissionen im Verkehrssektor gesenkt werden können", sagte sie beim Aktionstag von Fridays for Future und der Gewerkschaft Verdi.

Auch Umweltschützer übten harte Kritik an der Prognose und den Schlüssen des Verkehrsministers. "Die vorgestellten Zahlen sowie begleitenden Äußerungen der FDP und ihres Verkehrsministers machen deutlich: Diese Partei hat kein Interesse an moderner und zukunftsfähiger Verkehrspolitik und auch nicht an der Einhaltung rechtsverbindlicher Klimaziele", sagte Jürgen Resch, Chef der Deutschen Umwelthilfe. Stattdessen opfere sie all das dem Ausbau der Straße.

Die Studie im Auftrag des Verkehrsministeriums stellt auch die bisherigen Planungen der Bundesregierung im Verkehrswegeplan in Frage. Der gilt als Blaupause für den Ausbau der Verkehrswege bis 2030. Laut Wissing haben sich die Vorzeichen für die künftigen Verkehrsströme drastisch verändert - vor allem in einem Punkt: Die bisherigen Planungen aus dem Jahr 2014 gingen demnach von einer bis 2040 deutlich schrumpfenden Bevölkerung Deutschlands aus, für die insgesamt auch weniger Güter transportiert und weniger Strecken im Personenverkehr zurückgelegt werden würden.

Seit 2015 aber entfernt sich die tatsächliche Bevölkerungszahl zusehends von den bisherigen Prognosen. Statt 75 bis 78 Millionen Bundesbürger im Jahr 2040 geht das Verkehrsministerium inzwischen stabil von einer Bevölkerung von etwa 83 Millionen Deutschen aus. Und das wirke sich auch auf den Verkehr aus.

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