Süddeutsche Zeitung

Geldpolitik:USA verschärfen Kampf gegen Inflation

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Um den Preisanstieg zu stoppen, will die amerikanische Notenbank ihre Nullzinspolitik beenden. Geht sie dabei zu zögerlich oder zu rasch vor, drohen weltweit wirtschaftliche Verwerfungen.

Von Claus Hulverscheidt

Das Punktdiagramm ist in der Familie der wissenschaftlichen Schaubilder so etwas wie das hässliche Entlein, eine Schar simpler Farbtupfer, die es mit ihren teils sehr viel komplexeren Brüdern und Schwestern einfach nicht aufnehmen kann. Und doch wartete in dieser Woche die gesamte Wirtschafts- und Finanzwelt mit größter Spannung auf exakt einen solchen Dot-Plot, wie er im Englischen sehr viel schöner genannt wird. Einmal im Vierteljahr nämlich veröffentlicht der geldpolitische Ausschuss der US-Notenbank Fed eine simple Übersicht, die Aufschluss darüber gibt, wie sich die Leitzinsen aus Sicht des Gremiums mittelfristig entwickeln könnten und auf welche Kreditkosten sich Bürger, Unternehmen und Finanzmärkte entsprechend einstellen müssen. Jeder der kleinen blauen Punkte stellt dabei die anonymisierte Prognose eines der 18 Ausschussmitglieder dar.

Noch vor sechs Monaten ging wegen der Corona-Pandemie eine deutliche Mehrheit der Notenbanker davon aus, dass das Thema Leitzinsen im Jahr 2022 überhaupt nicht auf der Tagesordnung stehen würde. Zu fragil schien die wirtschaftliche Lage, zu groß die Lücke auf dem Arbeitsmarkt, die das Virus gerissen hatte. Seit diesem Mittwoch ist nun klar, dass dies eine Fehleinschätzung war: Angesichts einer Inflationsrate von zuletzt fast sieben Prozent - der höchsten seit 40 Jahren - und einem Rückgang der Arbeitslosenquote auf 4,2 Prozent will die Fed ihren Kurs in den kommenden Monaten drastisch ändern und die Nullzinspolitik beenden.

Wie die Notenbank nach zweitägigen Beratungen ihres wichtigsten Entscheidungsgremiums bekanntgab, soll nicht nur das laufende Programm zur Konjunkturstützung deutlich schneller auslaufen als bislang geplant. Vielmehr gehen laut Dot-Plot zwölf der 18 Ausschussmitglieder mittlerweile davon aus, dass sie im kommenden Jahr zudem gezwungen sein werden, ihren wichtigsten Leitzins, die sogenannte Tagesgeldzielspanne, von derzeit null bis 0,25 Prozent mindestens dreimal um jeweils einen Viertelpunkt auf dann 0,75 bis ein Prozent anzuheben. Das wäre deutlich rascher als bisher gedacht. Zwei Ausschussmitglieder rechnen sogar mit vier Schritten für 2022. Ende 2023 könnte die Spanne dann gar in der Nähe von zwei Prozent liegen.

Die Fed nimmt weltweit Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung

Sollte es dazu kommen, hätte das weit über die USA hinaus Konsequenzen für die Darlehenszinsen und die Börsenkurse - und damit unter anderem für Häuslebauer, Autokäufer, Kreditkartenbesitzer, Sparer und hoch verschuldete Regierungen. Denn als Hüterin der Weltwährung Dollar nimmt die Fed mit ihren Entscheidungen Einfluss auf die Wirtschafts-, Börsen- und Staatsschuldenentwicklung auf allen fünf Erdteilen.

Notenbankchef Jerome Powell und seine Mitstreiter hatten lange gehofft, der rasante Anstieg vieler Waren- und Dienstleistungspreise sei nur ein "vorübergehendes" Phänomen, das mit Überwindung der Pandemie von allein wieder verschwinden werde. Dafür sprach lange Zeit auch einiges, schließlich sind die hohen Teuerungsraten in vielen Ländern vor allem Ausdruck jener Produktions- und Lieferengpässe, die Lockdowns und andere Beschränkungen weltweit mit sich gebracht haben. Zugleich haben viele Bürger mehr Geld in der Tasche als sonst, weil sie Hilfen vom Staat erhalten oder sich etwa teure Reisen gespart haben. Daraus ergibt sich ein Mix aus hoher Nachfrage und geringem Angebot, der zwangsläufig zu höheren Preisen führt.

Powell sagte im Anschluss an die Ausschusssitzung, er gehe nach wie vor davon aus, dass sich die coronabedingten Produktions- und Lieferprobleme im Laufe des kommenden Jahres abschwächen und die Inflationsraten in den USA und andernorts entsprechend sinken würden. Richtig sei aber auch, dass der Preisdruck größer sei, länger anhalten werde und mehr Wirtschaftsbereiche erfasst habe, als die Fed das lange gedacht habe. Vor allem für Bürger mit geringen Einkommen werde der Alltag dadurch spürbar härter.

Eine Spirale aus immer höheren Preisen und Löhnen wäre volkswirtschaftlich gefährlich

Tatsächlich hat der Preisauftrieb mittlerweile auch Branchen erreicht, die von Corona kaum betroffen sind. Zugleich setzt sich bei vielen Menschen der Eindruck fest, dass die Gefahr dauerhaft höherer Inflationsraten wohl doch größer ist als gedacht. Das hat massive Auswirkungen auf Geldanlageentscheidungen und Gehaltsforderungen und ist für jede Notenbank ein Alarmsignal: Nicht die Verteuerung einzelner Güter nämlich ist volkswirtschaftlich gesehen gefährlich, wohl aber eine sich selbst beschleunigende Spirale aus immer höheren Preisen und Löhnen. Auch Powell verwies darauf, dass die Gehälter vieler Arbeitnehmer in jüngster Zeit überdurchschnittlich stark gestiegen sei. Eine Lohn-Preis-Spirale sieht er aber nach eigenem Bekunden noch nicht.

Wie allgemein erwartet, kündigte der Fed-Chef zudem an, dass seine Behörde ihre massiven Käufe von US-Staatsanleihen und hypothekenbesicherten Wertpapieren deutlich schneller reduzieren werde als bislang geplant. Mit dem Programm pumpte die Fed bisher Monat für Monat 120 Milliarden Dollar in die Wirtschaft, um die langfristigen Kreditzinsen niedrig zu halten und die Konjunktur nach Ausbruch der Corona-Pandemie zu stabilisieren. Nach bisheriger Planung sollten die Käufe langsam zurückgefahren und Mitte 2022 komplett aufgegeben werden. Stattdessen will die Notenbank das Programm nun bereits Mitte März beenden. Damit wäre auch der Weg für die erste Leitzinserhöhung seit 2018 deutlich früher frei als bisher gedacht.

Seit Wochen bemüht sich das Weiße Haus recht erfolglos, die Inflationsrate zu senken

Die Beschlüsse der Fed haben aber nicht nur ökonomische Folgen, sie beeinflussen auch die politische Lage in den USA in einem Maß, wie es das seit Jahrzehnten nicht gegeben hat. Obwohl die dortigen Wirtschaftsdaten besser sind als etwa in der EU, kämpft Präsident Joe Biden mit miserablen Umfragewerten. Wichtigster Grund - noch vor einer Reihe anderer Faktoren: die hohe Inflationsrate. Die Situation ist für Biden vor allem deshalb dramatisch, weil in nicht einmal elf Monaten Kongresswahlen anstehen. Verlieren die Demokraten dabei ihre knappen Mehrheiten in Senat und Repräsentantenhaus, hätte der Präsident kaum noch eine Chance, Gesetze durchzusetzen. Seit Wochen arbeitet das Weiße Haus deshalb an einer Strategie, um die Inflationsrate zu senken - bislang allerdings ohne durchschlagenden Erfolg. Zwar ging der Öl- und damit auch der Benzinpreis ein Stück zurück. Das lag allerdings weniger an Bidens Maßnahmen als an der neuen Omikron-Variante des Coronavirus, die den Aufschwung bedroht.

Die Fed steht damit vor ihrer größten Bewährungsprobe seit der Weltfinanz- und Wirtschaftskrise vor mehr als einem Jahrzehnt. Gelingt es ihr, Bürger, Manager und Finanzmärkte durch einige gezielte Zinsschritte und eine klare Kommunikationsstrategie davon zu überzeugen, dass sie die Inflation unter Kontrolle hat, kann sich die wirtschaftliche Lage im kommenden Jahr wieder entspannen. Geht sie jedoch zu zögerlich oder auch zu rasch vor, droht entweder die Inflationswelle weiter anzuschwellen oder aber ein konjunktureller Absturz. In beiden Fällen bräuchten Bidens Demokraten bei den Wahlen im November wohl gar nicht erst anzutreten.

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