Süddeutsche Zeitung

Strommarkt:Raus aus der Hängematte

Lesezeit: 2 min

Es ist das Ende einer Epoche - bald wechselt das erste Stromnetz den Besitzer. Der Schritt ist richtig, denn das Geschäftsmodell des integrierten Stromkonzerns ist überholt.

Michael Bauchmüller

Es ist eine Frage nur noch von Wochen, bis das erste deutsche Hochspannungsnetz verkauft wird. Die Gespräche zwischen dem Stromkonzern Vattenfall und einem Bankenkonsortium laufen seit Monaten, noch in diesem Jahr soll der Vertrag stehen. Eine ganze Epoche geht damit dem Ende entgegen: die Ära der vollintegrierten Energiekonzerne.

An kaum einem anderen Stromkonzern, allenfalls noch am Essener Konkurrenten RWE, lässt sich dieses Konzept klarer nachvollziehen als an Vattenfall Europe. In der Lausitz fördert das Unternehmen selber Braunkohle, in den eigenen Kraftwerken heizt es damit die Kessel, durch die eigenen Leitungen transportiert es den Strom in die Verbrauchszentren - meist auch zu den eigenen Kunden.

Jahrzehntelang prägte dieses Modell die deutsche Stromwelt. Nur verträgt es sich allzu schlecht mit einem liberalisierten Strommarkt, in dem ausländische Konkurrenten und selbst Mini-Stadtwerke - Letztere nicht selten mit eigenen Kraftwerken - um Kunden buhlen.

Verzerrte Anreize

Denn beim Stromnetz sind die Anreize bisher verzerrt. Wer ein Netz betreibt - und nur ein Netz - der will normalerweise möglichst viel Strom durchleiten. Der wird sein Netz so auslegen, dass möglichst viel Strom an möglichst vielen Orten eingespeist wird, dass möglichst viele Verbraucher ihn abnehmen. Nur dann wächst der Umsatz.

Doch dieses Kalkül verändert sich, sobald die Interessen eines Energie-Erzeugers hinzukommen. Der nämlich hat mäßiges Interesse an Konkurrenz im eigenen Netz; er will vor allem den eigenen Strom durch die eigenen Leitungen bugsieren.

Entsprechend gestalten sich auch die Planungen für den Aus- und Umbau der Stromautobahnen. Beispiele gab es in der Vergangenheit zuhauf. Verzögerungen beim Ausbau grenzüberschreitender Leitungen, beim Anschluss von Kraftwerken der Konkurrenz, bei den Zuleitungen zu Windparks, all das geschah; entsprechende Gerichtsordner füllen Regale.

Freiwilliger Verzicht auf Diskriminierungs-Potential

Mit immer neuen Vorgaben hat die Politik darauf reagiert. Sie verlangte die formale Unabhängigkeit der Netztöchter, erließ Verordnungen über den Netzanschluss, regulierte die Netzentgelte. Die sauberste Lösung aber hat sie stets vereitelt: die klare Abtrennung der Netze.

Gerade deshalb ist das Beispiel Vattenfall so wichtig. Als erstes Unternehmen will es freiwillig auf das Diskriminierungs-Potential verzichten - weil dem zu wenig Erlös-Potential gegenübersteht.

Anders sieht das für das Bankenkonsortium aus: Die regulierten Renditen sind zwar nicht üppig, aber verlässlich wie eine solide Staatsanleihe. Strom fließt immer. Auch der Düsseldorfer Eon-Konzern, der bald auf Druck der EU-Kommission sein Stromnetz veräußern will, wird dem Geschäft nicht lange nachtrauern, zumal die neue Bundesregierung schon die nächsten Eingriffe in das Geschäft mit dem Stromnetz erwägt.

Der Abschied vom integrierten Stromkonzern ist gewagt, aber richtig. Gewagt, weil das alte Geschäftsmodell immer auch eine Art Hängematte war. Erzeugung, Transport, Vertrieb - irgendein Geschäft funktionierte immer, meist ergänzten sie sich prächtig.

Und richtig, weil diese Zeiten nicht wiederkehren. Sie sind einem Wandel zum Opfer gefallen, den mancher Strommanager erst viel zu spät erkannte. Vattenfalls Schritt ist so gesehen ein Stück Anerkenntnis politischer Realitäten. Das Unternehmen nimmt das Heft des Handelns wieder in die Hand; womöglich gerade rechtzeitig.

Der beste Netzbetreiber

So viel Wandel könnte auch RWE und EnBW zum Einlenken zwingen. Derzeit halten beide krampfhaft an ihren Stromnetzen fest, wenn auch mit unterschiedlicher Motivation. Doch ihre Position wird in dem Maße schwächer, in dem eine grundlegende Erkenntnis wächst: Das natürliche Monopol einer milliardenschweren Infrastruktur und eine Dienstleistung, die auf diese angewiesen ist, gehören nicht zusammen.

Nicht auf liberalisierten Märkten, nicht in einer Volkswirtschaft, die an einer effizienten Bewirtschaftung ihrer Infrastruktur interessiert ist. Solange Behörden die Qualität der Stromnetze überwachen, ist ein unabhängiger Dritter zwangsläufig der beste Netzbetreiber. Und sei es eine Bank.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.134142
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ von 03.11.2009/pak
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.