Süddeutsche Zeitung

Raumfahrt:Andere fliegen höher

Lesezeit: 3 min

Die Raumfahrt liefert Daten für autonomes Fahren oder die Klimaforschung. Es geht also um Schlüsseltechnologien - und Souveränität. Trotzdem kürzt die Regierung das Budget.

Von Dieter Sürig

In den USA erschien alles leichter: mehr Investoren, unkomplizierte Genehmigungsverfahren. Warum also nicht dorthin gehen, um Kleinraketen zu bauen, dachten sich die Gründer von Isar Aerospace, bevor sie ihr Unternehmen 2018 anmeldeten. Andererseits dachten sie, dass ihr Start-up doch auch in Deutschland eine Chance haben sollte. "Es kann nicht sein, dass überall auf der Welt etwas in dem Bereich passiert, nur in Europa nicht", sagte Gründer Daniel Metzler damals. Vier Jahre später baut er seine Prototypen mit 250 Mitarbeitern in einer eigenen Fabrik bei München, hat bei Investoren wie Airbus Ventures und Porsche dem Analysten Dealroom zufolge bereits etwa 185 Millionen Euro eingesammelt, beim Microlauncher-Wettbewerb des Bundes eine Förderung von mehr als elf Millionen Euro bekommen sowie einen EU-Förderpreis von zehn Millionen Euro. Also alles gut in der deutschen Raumfahrt?

Auch auf Luft- und Raumfahrtmessen wie bei der ILA in Berlin kann der Eindruck entstehen, Raumfahrt sei in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Dicht umringt sind Auftritte von Astronauten wie Matthias Maurer oder Thomas Reiter. Für viele scheint das Thema Raumfahrt damit jedoch erschöpft zu sein. Dies spiegelt sich bisweilen auch in der Politik wider. Im Koalitionsvertrag von SPD, FDP und Grünen finden sich ganze drei Sätze dazu. Ein Podiumsteilnehmer hat es auf der ILA auf den Punkt gebracht: Man möge doch jedes Ministerium fragen, ob es von der Raumfahrt profitiert. Kein Ressort werde dies verneinen. Und dabei geht es nicht nur um Telekommunikation, Navi oder Wetterbilder.

Kurzum: Die wachsende Bedeutung drückt sich nach Ansicht von Kritikern nicht in den deutschen Mitteln für die Raumfahrt aus - eine Aufstockung sei überfällig, um bei solchen Zukunftstechnologien dranbleiben zu können. Dass der deutsche Risikokapitalgeber Einstein Industries Ventures 300 Millionen Euro in die kommerzielle Raumfahrt stecken möchte, zeigt, wohin der Weg geht. Das Budget für das nationale Raumfahrtprogramm beträgt hingegen 380 Millionen Euro, im Haushaltsentwurf für 2023 stehen 340 Millionen Euro. Obwohl der Koalitionsvertrag eine Stärkung der Raumfahrt verspricht. Das bevölkerungsärmere Frankreich wendet das Doppelte dafür auf.

"Wer heute nicht investiert, macht sich von anderen Staaten abhängig."

Ähnlich ist es beim deutschen Beitrag für die europäische Raumfahrtagentur Esa (ohne die Programme Galileo und Copernicus). Dem Haushaltsentwurf zufolge soll er 2023 um 30 Millionen auf 885 Millionen Euro sinken. Frankreich ist derzeit größter Beitragszahler der Esa, Italien schickt sich an, aufzuholen. Letztlich geht es darum, wer die europäische Raumfahrt künftig mitgestaltet: Wer Zukunftstechnologien und Arbeitsplätze aufbauen kann und wer Know-how und Hightech-Jobs verliert.

Dass Deutschland und Europa bei der Raumfahrt abgehängt werden könnten, fürchtet der Industrieverband BDI. Der Abstand zu den USA und China sei größer geworden, was etwa die Anzahl der Raketenstarts oder den Aufbau von Konstellationen betreffe, heißt es in einem Strategiepapier. "Wer heute nicht investiert, macht sich von anderen Staaten abhängig", sagt Matthias Wachter, Geschäftsführer der BDI-Initiative New Space. Raumfahrt müsse deshalb höchste Priorität haben. Die Initiative von etwa 50 Unternehmen regt an, das nationale Raumfahrtbudget an dasjenige Frankreichs anzugleichen und nach US-Vorbild im Kanzleramt einen Weltraumrat zu etablieren. "Wir brauchen größere Ambitionen und einen Systemwechsel in der Raumfahrt", sagt Wachter.

Der Arbeitskreis Raumfahrt KMU mit 40 Start-ups und Mittelständlern verweist auf das geplante europäische Satelliten-Breitbandnetz, Kleinsatelliten, Klima-Monitoring, militärische Anwendungen, Mondmissionen oder eine Optimierung der Landwirtschaft. "Sollte das Raumfahrtbudget nicht aufgestockt werden, kann Deutschland sich bei den neuen Themenbereichen nicht beteiligen oder müsste bei den zentralen, bisherigen Themen kürzen oder aussteigen", warnt Ernst Pfeiffer. Sein Verband fordert sukzessive 650 Millionen Euro für das nationale Raumfahrtprogramm und 1,35 Milliarden Euro als deutschen Esa-Beitrag.

Expertenrunde im Kanzleramt

Dabei scheint Bundeskanzler Olaf Scholz die Raumfahrt schon zur Chefsache gemacht zu haben. Auch wenn bei außerirdischen Dingen das Bundeswirtschaftsministerium federführend ist, hat das Kanzleramt Insidern zufolge zu einer vertraulichen Expertenrunde aus Politik und Wirtschaft geladen. Dabei soll es um Erdbeobachtung, Navigation und Breitbandsatelliten, aber auch um eine europäische Astronautenkapsel gegangen sein. Womöglich wollte Scholz den Stellenwert der Raumfahrt neu definieren. Denn für gestochen scharfe Ukraine-Fotos aus dem All sind Satelliten nötig. Ebenso für Umweltdaten zum Kampf gegen den Klimawandel, wofür die neue Raumfahrtbeauftragte Anna Christmann (Grüne) gerne wirbt. Und die Autoindustrie braucht für autonomes Fahren Navigations- und Breitbandsignale. Ein Regierungssprecher bestätigt nur, dass das Bundeskanzleramt "regelmäßig Gespräche zu raumfahrtpolitischen Themen" führe.

Isar-Chef Daniel Metzler hat übrigens gemeinsam mit 17 anderen europäischen Space-Start-ups eine Initiative gestartet, um ein "weltweit wettbewerbsfähiges europäisches Raumfahrt-Ökosystem zu schaffen". Unter anderem fordern sie, dass öffentliche Auftraggeber nach Nasa-Vorbild mehr als Kunden denn als Mitentwickler auftreten und den Wettbewerb zwischen Start-ups und Konzernen in den Ausschreibungen fairer zu gestalten. "Start-ups werden lediglich als Zulieferer behandelt statt als echte und meist günstigere Alternative", klagt Metzler. Newcomer würden im Gegensatz zu den USA immer noch "sehr stiefmütterlich" behandelt. Dadurch gingen Hunderte Millionen Euro Steuergeld verloren. In die USA würde er trotzdem auch heute nicht gehen. "Ich bin überzeugter Europäer, wir haben die besten Talente weltweit", sagt er. Der Krieg zeige die Abhängigkeit von einer privaten US-Internet-Satellitenkonstellation. "Wir müssen endlich souverän werden."

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