Süddeutsche Zeitung

Gehalt:Viele Deutsche könnten in diesem Jahr mehr verdienen

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Zahlreiche Firmen buhlen mit Gehaltssteigerungen um Fachkräfte. Der Mindestlohn treibt die Bezahlung insgesamt hoch. Die Frage ist, wie viel die Inflation auffrisst.

Von Alexander Hagelüken

Die Deutschen und ihr Geld, das ist weiterhin ein Tabu. Anders als etwa in Schweden wissen die meisten Arbeitnehmer nicht, was ihre Kollegen verdienen. Laut einer neuen Befragung gibt es sogar in Ehen große Geheimnisse: 30 Prozent der Beschäftigten haben keine Ahnung, was ihr Partner verdient. Das geht aus dem Stepstone-Gehaltsreport hervor, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Dabei wird in diesem Jahr besonders spannend, wie sich der Verdienst entwickelt.

Viele Beschäftigte haben zwei Jahre hinter sich, in denen es finanziell flau lief. 2020 sorgte die Corona-Pandemie für massenhafte Kurzarbeit. Eine echte Gehaltserhöhung bekam in der Krise kaum einer. Vergangenes Jahr erholte sich die Wirtschaft, die Löhne zogen an - aber die starken Preissteigerungen ließen davon wenig übrig. Das zeigen die aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamts, sie sind für das dritte Quartal 2021. Demnach lagen die Bruttoverdienste mit Sonderzahlungen von Juli bis September um 3,9 Prozent höher als ein Jahr zuvor. "Dieser Zuwachs wurde komplett durch die Inflation aufgezehrt", rechnet Statistikerin Susanna Geisler vor. Eine andere Studie zeigt für das Gesamtjahr real, also nach Abzug der Inflation, sogar niedrigere Löhne.

Und dieses Jahr? Läuft es besser, jedenfalls wenn Verdienstexperten recht behalten. "2022 könnte ein Jahr der Gehaltssteigerungen werden", sagt Korbinian Nagel von Stepstone. Das Jobportal kooperiert erstmals mit der Gehaltsdatenbank gehalt.de, wodurch der Report auf 600 000 Einkommensdaten basiert. Nagel erwartet, dass die Gehälter in diesem Jahr nominal um drei bis 4,7 Prozent steigen. Falls die Inflation bei etwa drei Prozent liegt, wie Regierung und Forscher voraussagen, bleibt für viele Beschäftigte ein Plus auf dem Konto.

"Die Erwerbsbevölkerung schrumpft", sagt Nagel. "Wir erleben eine Arbeiterlosigkeit. Unternehmen konkurrieren um immer weniger Bewerber, was sich in den Gehaltsniveaus niederschlägt." Ähnlich positive Trends für die Bezahlung sind auch woanders zu hören. Das Ifo-Institut befragte mehr als 600 Personalchefs. Ergebnis: 40 Prozent der Firmen wollen in den kommenden Monaten ihre Mitarbeiterzahl erhöhen - und die meisten sind bereit, wegen des knapper werdenden Personals mehr zu zahlen. Die meisten Firmen erwarten dieses Jahr steigende Gehälter, im Durchschnitt satte 4,7 Prozent. Das verspricht auch nach Inflation mehr Geld.

Ganz oben bei den Lohnsteigerungen: Führungskräfte und Fachkräfte mit Ausbildung. Besonders suchen die Firmen Softwareentwickler, generell IT-Fachleute und Ingenieure. Stark gefragt sind aber auch Berufe, die zuletzt nicht in jeder Hitliste auftauchten: Mechanikerinnen, Steuerfachleute, Schweißer, Schreiner, Bäckerinnen, Gärtner oder Pflegekräfte. Dem Ifo-Institut zufolge fehlten noch nie so vielen Firmen Fachkräfte.

Je größer die Firma, desto höher meist das Einkommen

Das Besondere an 2022: Diesmal können auch Beschäftigte mit mehr Geld rechnen, bei denen es knapp ist. Die Bundesregierung will den Mindestlohn von 9,82 Euro am 1. Oktober auf zwölf Euro erhöhen - ein Plus von mehr als 20 Prozent. Das sorgt gerade in der Gastronomie oder im Einzelhandel für bessere Bezahlung, aber auch bei Dienstleistern generell. Profitieren werden nicht nur jene, die bisher weniger als zwölf Euro verdienen. Auch Beschäftigte oberhalb des neuen Mindestlohns werden mehr bekommen, damit sie nicht abwandern, erwarten Fachleute.

Korbinian Nagel von Stepstone sieht zwei zentrale Argumente dafür, dass die Löhne in diesem Jahr überdurchschnittlich steigen: Die Konkurrenz der Firmen um weniger Bewerber und den Mindestlohn. Thorsten Schulten von der Hans-Böckler-Stiftung ist etwas skeptischer. Er rechnet im Durchschnitt mit zwei bis 2,5 Prozent mehr Lohn, vor Inflation. Für gesuchte Fachkräfte sei aber deutlich mehr drin. Auch auf breiter Front rechnet Schulten mit kräftigen Lohnsteigerungen - 2023, falls sich der wirtschaftliche Aufschwung bis dann intensiviert.

Generell zeigt der Gehaltsreport, dass etwa Ärztinnen weit überdurchschnittlich verdienen: Mit 6500 Euro brutto monatlich fast doppelt so viel wie das mittlere Einkommen im Land. Auf den nächsten Plätzen folgen Ingenieure, IT-Leute oder Unternehmensberaterinnen. Auch die Branchen unterscheiden sich sehr. Besonders viel zahlen Halbleiter- und Biotechfirmen, Banken, Pharma- und Autoindustrie. Und je größer die Firma, desto höher meist das Einkommen: Bei Unternehmen mit mehr als 5000 Beschäftigten lässt sich im Mittel 60 Prozent mehr verdienen als bei Firmen mit bis zu 50 Beschäftigten.

Wer mit seiner Bezahlung unzufrieden ist, kann je nach Beruf unter Umständen Trends wie den Fachkräftemangel für sich nutzen. Laut Umfrage bekam immerhin jeder dritte Arbeitnehmer, der 2021 nach einer Gehaltserhöhung fragte, sie am Ende auch. Im Mittel sprang dabei weit mehr heraus als die ungewöhnlich hohe Jahresinflation von rund drei Prozent. Und wenn sich die Chefin hartleibig gibt, lohnt womöglich ein Blick nach außen: Zwei Drittel jener, die den Job wechseln, verdienen in der neuen Firma mehr. Im Mittel sogar deutlich mehr.

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