Süddeutsche Zeitung

Handel:Wie Cem Özdemir die Lebensmittelverschwendung eindämmen will

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Jedes Jahr werden in Deutschland 11 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen. Das wollen der Bundesernährungsminister und große Handelsketten jetzt mit zahlreichen Maßnahmen verhindern.

Von Constanze von Bullion

Bananen mit kleinen Schönheitsfehlern? Sind in Supermärkten in der Regel unverkäuflich. Ungeöffnete Joghurtbecher am Krankenhausbett? Wandern nach dem Abräumen direkt in den Müll. Quark mit abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum? Kommt weg, sicher ist sicher. 11 Millionen Tonnen Lebensmittel werden in Deutschland jedes Jahr weggeworfen, ein guter Teil davon wäre ohne jede Einschränkung genießbar. Die Bundesregierung will dieses Wohlstandsproblem nun eindämmen, zusammen mit großen Lebensmittelketten.

Am Dienstag hat Bundesernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) mit dem Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels und 14 Groß- und Einzelhandelsunternehmen eine Vereinbarung unterzeichnet, die die Verschwendung und Fehlplanung in der Lebensmittelvermarktung eindämmen soll. In einem gemeinsamen "Pakt gegen Lebensmittelverschwendung", der in Berlin vorgestellt wurde, verpflichten sich Unternehmen wie Aldi, Edeka, Metro oder Penny, ihre Lebensmittelabfälle zu reduzieren, mehr Übriggebliebenes zu verschenken und Lieferketten zu optimieren - und dies auch kontrollieren zu lassen.

Die Vereinbarung sieht vor, dass Lebensmittelabfälle in Discountern und im Handel bis 2025 um 30 Prozent reduziert werden, bis 2030 sollen sie halbiert sein. Eine deutsche Erfindung ist dieser Schritt nicht. Özdemir setzt zusammen mit großen Lebensmittelketten nur um, was die Vereinten Nationen mit der Agenda 2030 "Nachhaltiger Konsum und nachhaltige Produktion" längst festgelegt haben: dass heillose Verschwendung in Industrieländern und Hunger in der Welt entschlossener bekämpft werden müssen, auch durch Abfallreduktion entlang der Versorgungskette.

Man habe "klare und verbindliche Regeln verabredet"

"Unser Pakt basiert auf Freiwilligkeit, aber ist alles andere als eine lose Vereinbarung", erklärte Bundesernährungsminister Özdemir am Dienstag. Man habe "klare und verbindliche Regeln verabredet", die auch "überprüft werden und zu denen die Unternehmen öffentlich Rechenschaft ablegen". Im Zentrum stehe "das Miteinander". Özdemir präsentierte die Vereinbarung pünktlich zur internationalen Konferenz "Politik gegen Hunger", die am Dienstag in Berlin stattfand.

Die Vereinbarung, die bis Ende 2031 gelten soll, verpflichtet die unterzeichnenden Lebensmittelunternehmen ab sofort, überschüssige und noch genießbare Ware weiterzugeben, zumindest einen Teil davon. Schon jetzt spenden viele Supermärkte liegen gebliebene Salatköpfe oder Brot mit abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum an karitative Einrichtungen, freiwillig. Die Weitergabe soll nun verpflichtend werden und jedes Unternehmen "mindestens eine feste Kooperation mit einer entsprechenden Empfängerorganisation" nachweisen, heißt es im Eckpunktepapier der Vereinbarung: "Verzehrfähige Lebensmittel sollen primär an soziale Einrichtungen wie die Tafeln gespendet werden." Verschmähtes oder Verwelktes kann aber auch an Vermittlerplattformen "oder an eigene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter" abgegeben werden.

In der Selbstverpflichtung wurde außerdem vereinbart, dass Lebensmittel "nicht durch aktives Handeln gezielt für den Verzehr unbrauchbar gemacht werden dürften" - eine Regelung, die auch in Frankreich gilt, um Verschwendung zu verhindern. Was nicht für den menschlichen Verzehr geeignet ist, soll möglichst hochwertiger Verwendung zugeführt oder zu Tierfutter verarbeitet werden. Aber auch eigenes Missmanagement geloben die Lebensmittelketten konsequenter anzugehen.

Denn nicht selten ist es überzogener Einkauf, der zu Überangebot in Läden führt - und in die Tonne. Verabredet wurden nun "spezifische Maßnahmen hinsichtlich Mehrmengen und Retouren", auch mehr Schulung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie die Optimierung von Logistik- und Kühlketten. Ob die Vorsätze auch umgesetzt werden, soll das Thünen-Institut für Marktanalyse überprüfen. Das Bundesforschungsinstitut für ländliche Räume, Landwirtschaft, Wald und Fischerei soll ein "jährliches öffentliches Reporting" vorlegen, das transparent macht, welche Unternehmen ihren Verpflichtungen nachgekommen sind - und welche nicht.

Nicht vereinbart werden konnten haftungs- und steuerrechtliche Maßnahmen, um Lebensmittelverschwendung zu bekämpfen. Özdemir will darüber weiter mit den Ländern und Justizminister Marco Buschmann (FDP) sprechen. Geplant ist aber auch eine verstärkte "Verbrauchersensibilisierung". Denn im Handel fallen nur sieben Prozent der weggeworfenen Nahrungsmittel an. 15 Prozent entstehen bei ihrer Verarbeitung, 17 Prozent in Kantinen und bei der Außer-Haus-Verpflegung. Hauptverschwender guten Essens sind Verbraucherinnen und Verbraucher. Fast 60 Prozent der Lebensmittelabfälle in Deutschland stammen aus privaten Küchen.

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