Süddeutsche Zeitung

Integration:Der große Job-Flop

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Von Thomas Öchsner, Berlin

Als Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) im Juli 2016 ankündigte, 100 000 Ein-Euro-Jobs für Flüchtlinge zu schaffen, war sie noch optimistisch: "Es ist gut und wichtig, dass wir Geflüchteten die Chance geben, möglichst früh zu erleben, wie der Arbeitsalltag bei uns aussieht." Mit dem neuen Angebot hätten sie die Chance, aus ihren Unterkünften herauszukommen, deutsche Kollegen und die Arbeit hier kennenzulernen, sagte Nahles.

Im August vergangenen Jahres lief das Programm mit dem Titel "Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen" an. Gedacht war es für Geflüchtete, die auf ihre Asylentscheidung länger warten müssen. 300 Millionen pro Jahr von 2017 bis 2019, insgesamt etwa eine Milliarde Euro inklusive 2016, wollte die Bundesregierung dafür ausgeben. Doch jetzt zeigt sich: Das meiste Geld wird nicht gebraucht, weil es mit den 100 000 Jobs offenbar nichts wird. Ende März waren laut Bundesarbeitsministerium fast 25 000 Stellen beantragt. Wie viele tatsächlich besetzt sind, ist nicht bekannt. Nun wird das Ministerium den allergrößten Teil des Geldes den Jobcentern zur Verfügung stellen. Dies geht aus einem Schreiben von Nahles' Staatssekretär Thorben Albrecht an die zuständigen Ministerien in den 16 Bundesländern hervor.

Albrecht teilt darin mit, dass von 2018 an 240 Millionen Euro aus dem Ein-Euro-Job-Programm für Flüchtlinge "zur Verstärkung des Verwaltungskostenbudgets" der Jobcenter eingesetzt werden. "Damit sollen vom Jahr 2018 an nur noch bis zu 60 Millionen Euro jährlich für das Arbeitsmarktprogramm ,Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen' zur Verfügung stehen." Brigitte Pothmer, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen, hält das für einen Skandal. "Mit den 240 Millionen Euro sollen zukünftig Personalkosten, Mieten und Energierechnungen der Jobcenter bezahlt werden. Das Geld wird also zum Löcherstopfen in den Jobcentern benutzt, deren Verwaltungsetat seit Jahren unterfinanziert ist, und nicht für den gedachten Zweck, nämlich für die Flüchtlinge", sagt die Bundestagsabgeordnete. Für sie ist das Programm gescheitert: "Man sollte das jetzt schleunigst abwickeln."

Kritiker warnten, das Geld sei besser in Ausbildungsprogrammen aufgehoben

Eine Sprecherin des Arbeitsministeriums erwidert, das Programm sei "erfolgreich angelaufen". Eine gewisse Anlaufzeit sei immer nötig. Albrecht weist in seinem Brief darauf hin: Die zusätzlichen Mittel für die Jobcenter könnten dazu beitragen, "Flüchtlinge durch Betreuung und Maßnahmen individueller, passgenauer und intensiver zu fördern". Pothmer hält diese Aussage jedoch für wenig glaubwürdig: Die Regierung habe ja stets betont, für die Integration der Flüchtlinge seien zusätzliche Mittel im Haushalt vorhanden. Folglich dürfte bei den Jobcentern für diese Aufgabe "gar kein weiterer Bedarf bestehen".

Kritiker des Programms hatten bereits früh davor gewarnt, dass durch die beschleunigte Bearbeitung von Asylanträgen Zwischenlösungen mit Ein-Euro-Jobs für Asylbewerber gar nicht nötig seien. Genau damit begründet Staatssekretär Albrecht nun das Umwidmen der Millionen-Ausgaben: Gerade Flüchtlinge mit guter Bleibeperspektive, also die Hauptzielgruppe des Programms, "wechseln durch zügigere Asylverfahren schneller in die Grundsicherung für Arbeitssuchende", schreibt er. Für diese Gruppe gelten Ein-Euro-Jobs jedoch als nicht geeignet. Es gab aber noch andere Bedenken. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung warnte: Die Kosten für die Planung, Realisierung und Überwachung seien "hoch", das Geld sei besser in Ausbildungsprogrammen aufgehoben.

Pothmer wirft Nahles deshalb vor, "alle Expertenwarnungen in den Wind geschlagen zu haben: Das Scheitern des völlig überflüssigen Programms geht voll auf ihre Kappe."

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SZ vom 20.04.2017
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